Aktuell – 12.05.2013

Der "Zeuge", der die "Weltwoche" vertrat

Die "Weltwoche" ist bei den "Zürcher Prozessen" von der Anklage der Schreckung der Bevölkerung, der Rassendiskriminierung und der Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung freigesprochen worden. "Weltwoche"-Redaktor Alex Baur trat als einziger Vertreter seiner Zeitung auf. Die Prozess-Debatten fand er "sehr hochstehend", doch der Ausgang des Prozesses – Schuldspruch oder Freispruch – war für ihn "nicht entscheidend". Interview: Bettina Büsser

EDITO+KLARTEXT: Wie kam es dazu, dass Sie als Zeuge an diesen "Zürcher Prozessen" teilnahmen?

Alex Baur: Ich wurde als Zeuge vorgeladen, habe dann aber beantragt, als Auskunftsperson einvernommen zu werden. Denn wenn man die "Weltwoche" verurteilt hätte, hätte man konsequenterweise auch mich verurteilen müssen, denn ich trage die volle Verantwortung für jeden Satz, den ich geschrieben habe. Und einen Zeugen kann man nicht verurteilen.

Milo Rau hat mich angefragt. Innerhalb der "Weltwoche" hatte es eine Debatte darüber gegeben, ob man am Prozess teilnehmen soll. Eine Mehrheit war dagegen, ich hingegen war dafür. Es geht ja um Vorwürfe, die – unbegründet – immer wieder in der Luft liegen. Ich wollte mich dieser Debatte stellen und habe es getan. Das zeigt übrigens, wie die "Weltwoche" funktioniert: Niemand hat mich an der Teilnahme gehindert und niemand hat mir das übelgenommen.

Was war Ihre Motivation zum Mitmachen?

Es ging ja um Fragen, die ich mir seit fast 30 Jahren, seit ich Journalist bin, immer wieder gestellt habe: Was kannst du berichten? Wo liegt deine gesellschaftliche Verantwortung? Gibt es Themen, zu denen man nicht publizieren darf, weil sonst Vorurteile bestätigt würden?

Was haben Sie erwartet?

Ich habe mir gesagt: Das ist das Projekt derjenigen, die es veranstalten, ich stelle mich ihm passiv, stehe einfach Rede und Antwort. Ursprünglich hatte ich nicht vorgesehen, auch noch das Schlusswort zu halten.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Ich war überrascht, denn die Debatte war sehr hochstehend. Die Befürchtung, es werde eine total einseitige und unfaire Sache sein, hat sich nicht bestätigt. Es war interessant, dass Leute und Parteien, die einander so schlimm finden, dass sie normalerweise nicht miteinander debattieren, zusammengekommen sind und eine erstaunlich hochstehende Debatte geführt haben. Das lag natürlich auch an der Projektanlage: Vor Gericht muss man den anderen sprechen lassen, kann ihn nicht unterbrechen und muss der anderen Seite zuhören.

Es ging ja auch darum, wo die Grenzen der Medienfreiheit liegen. Was bedeutet Medienfreiheit für Sie?

Freiheit ist für mich grundsätzlich unteilbar. Die Medienfreiheit ist entweder ganz gewährleistet oder dann nicht. Selbstverständlich gibt es Grenzen der Medienfreiheit, sie sind durch das Strafrecht geregelt. Damit hatte ich nie Schwierigkeiten. Doch wenn man die Grenzen, die das Strafrecht setzt, um eine moralische Komponente ausweitet, wird die Medienfreiheit stark beschränkt. Das hat sich in diesem Prozess sehr schön gezeigt. Gegen diese Beschränkung wehre ich mich mit allen Mitteln. Und es erstaunt mich, dass nicht bei allen Journalisten – links oder rechts stehend –, sofort der Reflex einsetzt, diese Medienfreiheit zu verteidigen.

Eigentlich hat sich seit dem Kalten Krieg nichts verändert: Damals sagte man zu den Linken "Moskau einfach, wenn es dir nicht passt". Heute richten sich die Einschränkungen, quasi die moralische Guillotine, immer gegen rechts: "Wenn du das vertrittst, ist das so schlimm, dass man überhaupt nicht darüber diskutieren kann."

Wo sind für Sie die Grenzen der Medienfreiheit?

Das sind die strafrechtlich definierten Tatbestände. Ausserdem setzt auch der Medienkonsument Grenzen. Wenn wirklich absolut radikale Positionen vertreten werden, verkauft sich das nicht. Es findet also eine Selbstregulierung statt.

Sie waren der einzige Vertreter der "Weltwoche", der aufgetreten ist. Haben Sie die "Weltwoche" vertreten oder sich selbst?

Zu einem grossen Teil standen ja meine Artikel im Zentrum, zum Beispiel die Serie über die Sozialhilfe 2007, in der ich Nationalitäten genannt habe. Das wurde als rassistisch eingestuft. Ich habe also in erster Linie mich und meine Geschichten vertreten. Denn die "Weltwoche" ist ja ein Autorenblatt. Gleichzeitig habe ich die "Weltwoche" vertreten, denn ich bin ein Teil von ihr. Roger Köppel ist zwar eine ganz wichtige Person, aber er ist nicht die "Weltwoche". Es gibt bei uns keine Führerkultur, bei der von oben befohlen wird, wie die Geschichten auszusehen haben.

War es – im Nachhinein betrachtet – sinnvoll, mitzumachen?

Auf jeden Fall. Ich muss Milo Rau ein Kränzchen dafür winden, dass für die Jury wirklich durchschnittliche Leute aus der Bevölkerung ausgewählt wurden. Allerdings war das Resultat für mich nicht entscheidend. Es hätte nichts verändert für mich, wenn es zu einem Schuldspruch gekommen wäre. Denn ich anerkenne ich dieses Gericht oder das Urteil nicht, es war ja ein Spiel.

Gibt es andere Medien, die nach Ihrer Ansicht ebenfalls so einen Prozess verdient hätten?

"Schreckung der Bevölkerung" war ja ein Anklagepunkt und ein grosses Thema bei diesem Prozess. Unter diesem Titel könnte man auch einen Prozess zum Thema Fukushima führen: Ich war ja zweimal dort, und was ich hier zum Teil dazu gelesen und gesehen habe, gerade im Schweizer Fernsehen und im "Tages-Anzeiger", ist derart krass verzerrend, ist Panikmache, Hysterie und deckt sich nicht mit dem, was ich in Fukushima selber gesehen habe. In Japan ist wegen Fukushima nach wie vor kein Mensch gestorben. Die ganze Hysterie, die produziert wird, wäre für mich schon so einen Prozess wert. Denn es handelt sich ja nicht nur um ein einziges Medium wie die "Weltwoche", die ja ein relativ beschränktes Publikum hat, sondern um Massenmedien wie das Schweizer Fernsehen oder Produkte der Tamedia, die ganz andere Einflussmöglichkeiten haben.

 

Zur Person: Alex Baur, 51, ist "Weltwoche"-Redaktor und nahm als einziger Vertreter der Zeitung an den "Zürcher Prozessen" teil, an denen auch Artikel von ihm (Thema: Sozialhilfe) Teil der Anklage waren. Baur arbeitet seit vielen Jahren als Journalist, war etwa Lokaljournalist beim "Limmattaler", NZZ-Gerichtsberichterstatter, Reporter für die "SonntagZeitung" und den "Stern". Seit 2005 ist er "Weltwoche"-Redaktor.

 

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