Aktuell – 07.05.2013

Die Geschworene, die die "Weltwoche" schuldig sprach

Die "Weltwoche" ist bei den "Zürcher Prozessen" von der Anklage der Schreckung der Bevölkerung, der Rassendiskriminierung und der Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung freigesprochen worden. Die Geschworene Patrizia Fedier war für einen Schuldspruch, unterlag aber mit 1 zu 6 Stimmen. Dennoch ist sie sehr zufrieden damit, am Prozess teilgenommen zu haben. Interview: Bettina Büsser

EDITO+KLARTEXT: Wie kam es dazu, dass Sie Geschworene an diesen "Zürcher Prozessen" waren?

Patrizia Fedier: Ich war letztes Jahr beim Projekt "100% Zürich – Eine statistische Kettenreaktion" der Gruppe Rimini Protokoll mit dabei und wurde mit einigen Leuten, die damals mitgemacht haben, zum Casting für die "Zürcher Prozesse" eingeladen. Ich empfinde es als grossartiges Geschenk, dass ich jetzt dabei war.

Was war Ihre Motivation zum Mitmachen?

Ich bin interessiert daran, was läuft, habe mich schon manches Mal über die "Weltwoche" geärgert, auch über Diskurse in der Gesellschaft, die zu "Weltwoche"-Themen und –Artikeln geführt wurden. Und ich war noch nie an einer Gerichtsverhandlung.

Was haben Sie erwartet?

Erwartet habe ich, dass öffentlich diskutiert wird. Man spricht über die "Weltwoche", ärgert sich über sie, deshalb ist es wichtig, dass man Meinungen darüber austauscht und nicht nur immer schimpft. Diese Veranstaltung war für mich ein Fortschritt, ein Beweis der Reifung in der Schweiz, weil das Thema zur Diskussion kam, Öffentlichkeit erhielt, für verschiedene Menschen zugänglich wurde. Vor zwanzig Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen, denn damals hatte man zwar seine Meinung, aber man traute sich nicht, darüber zu sprechen oder hatte kein Forum dafür.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Ja. Es war sehr interessant, einmal Teil einer Gerichtsverhandlung zu sein. Und ich habe sehr interessante Leute gesehen und gehört. Die Meinungen, die vertreten wurden, haben mir neue Nahrung zum Denken gegeben. Ich bin sehr zufrieden, dass ich mitgemacht habe.

Es ging ja auch darum, wo die Grenzen der Medienfreiheit liegen. Was bedeutet Medienfreiheit für Sie?

Ich bin in der Tschechoslowakei aufgewachsen, unter deutschem Protektorat. Damals habe ich gelernt, dass man nicht einfach sagen darf, was man denkt. Denn ich bin vom Gymnasium geflogen, weil ich, nachdem Italien 1943 den Waffenstillstand erklärt hat, gesagt habe: Wenn alle Waffenstillstand machen, ist fertig mit dem Krieg.

Ich finde freie Meinungsäusserung wichtig, habe aber eigentlich erst jetzt darüber nachgedacht, dass es auch eine Verantwortung für seine Äusserungen gibt. Wenn ich lese, was die "Weltwoche" schreibt, wenn ich sehe, wie etwa die Minarettinitiative erfolgreich war, denke ich: Da werden Leute, die sich nicht viele Gedanken machen oder machen können, in etwas hineingeführt, laufen mit und sind dafür.

Wo sind für Sie die Grenzen der Medienfreiheit?

Mich hat zum Beispiel der Experte der Verteidigung, Hamed Abdel-Samad, sehr beeindruckt: Er ist ein ägyptischer Autor, ein Verfechter der Meinungsäusserungsfreiheit und ein Islamkritiker, gegen ihn wurde wegen Büchern, die er geschrieben hat, eine Fatwa ausgesprochen. Man konnte sehr gut nachvollziehen, dass es ihm um die Meinungsäusserungsfreiheit geht. Doch am Schluss hat er etwas sehr Wichtiges gesagt: Er habe sich damals gefreut, nach Europa zu kommen, weil hier Meinungsäusserungsfreiheit herrsche. Doch als er gekommen sei, habe er ein vergiftetes gesellschaftliches Klima vorgefunden. Damit hat er eigentlich gegen seine Auftraggeber gesprochen, denn für mich vergiftet die "Weltwoche" das Klima mit.

Sie waren die einzige Geschworene, die sich für einen Schuldspruch entschied. Weshalb?

Für mich war es klar, nachdem ich die Menschen im Zeugenstand gehört habe. Als wir jedoch über unsere Entscheidungsfindung zu diskutieren begannen, stellte ich fest, dass die anderen Geschworenen fanden, wir könnten eigentlich nicht über "schuldig" oder "nicht schuldig" urteilen. Doch der Rechtsexperte Giusep Nay hatte immer wieder betont, es gehe nicht um eine juristische Verurteilung, sondern darum, das Gesetz auf die gesellschaftliche Ebene hinunterzubrechen. Wenn wir es aber auf der gesellschaftlichen Ebene betrachten, habe ich als Mitglied der Gesellschaft, als Bürgerin die Aufgabe zu schauen, dass keine Vergiftung des Klimas passiert und die Menschen verantworten müssen, was sie aussprechen und schreiben.

Die anderen Geschworenen hatten die Idee, sich, anstatt ein Urteil zu sprechen, der Stimme zu enthalten und zu sagen: Wir können euch nicht verurteilen, aber wir geben euch Ratschläge. Also eine Sonntagspredigt halten. Und schlussendlich haben sie das Urteil gesprochen: "unschuldig, aber" – eben mit dem Kommentar: Bitte, seid so gut und nehmt Rücksicht.

Ich habe meine Haltung dann auch begründet: Wenn man sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit beruft, hat man als Journalist auch eine Verantwortung dafür, was man sagt und schreibt. Diese Verantwortung wurde bei den eingeklagten "Weltwoche"-Texten nicht wahrgenommen. Ausserdem haben wir heute als Gesellschaft immense Probleme zu bewältigen, und es wird anstatt Konsens Unfrieden gestiftet.

War es – im Nachhinein betrachtet – sinnvoll, mitzumachen?

Sehr, sehr. Es war für mich auch sehr spannend zu hören, der Anteil der "Weltwoche" an der Presseauflage mache nur sieben Prozent aus. Ich war sehr erstaunt: Wenn der Anteil wirklich so klein ist, weshalb hat die "Weltwoche" mit ihren Artikel eine so grosse Popularität? Dann habe ich verstanden, dass viele Medien und Personen reproduzieren, was die "Weltwoche" schreibt – auch wenn sie eigentlich dagegen sind.

Gibt es andere Medien, die nach Ihrer Ansicht ebenfalls so einen Prozess verdient hätten?

Es wurde während des Prozesses gesagt, man hätte auch die WOZ anklagen können. Ich sage mal: Die linke Seite übertreibt auch oft, das ist mir hie und da ebenfalls zu dick aufgetragen.

 

Zur Person: Patrizia Fedier, 84, war eine der sieben Geschworenen an den "Zürcher Prozessen".  In der Tschechoslowakei als sogenannte "Volksdeutsche" geboren, kam sie 1948 als Flüchtling in die Schweiz und arbeitete in der ersten Zeit als Küchenmädchen und Haushaltshilfe. Später gründete sie eine Familie, arbeitete als Körpertherapeutin, war im Tanztheater "Dritter Frühling" aktiv und spielt bis heute Theater.

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