Aktuell – 07.03.2014

Fall "Carlos": Medienspektakel ohne Ende

Der Fall "Carlos" ist auch eine Mediengeschichte, das zeigt nicht zuletzt der "Magazin"-Artikel "Der Verrat". Und offensichtlich wollen die Medien nicht damit aufhören, die Geschichte weiter und weiter zu treiben – bis hin zur eigentlichen Treibjagd.

 

"Wie funktionieren Journalisten und Politiker? Und was sagt ihr Zusammenspiel über unsere Gesellschaft aus? Der Fall Carlos ist ein Lehrstück über die Angst vor den Medien" – so lautet der Vorspann des Artikels "Der Verrat" im "Magazin". Mathias Ninck hat darin die Hintergründe des Falls "Carlos" aufgezeichnet – von der TV-Reportage "Der Jugendanwalt" über Hansueli Gürber, in der auch erstmals über "Carlos" und das "Sondersetting" für ihn berichtet wurde, über die erste Reaktion des "Blicks", die Reaktionen der übrigen Medien, die Reaktionen der Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich und schliesslich des für die Justiz zuständigen Regierungsrates Martin Graf, bis hin zum Entscheid des Bundesgerichts.

Die "Carlos"-Geschichte kann in ihren Grundzügen als bekannt vorausgesetzt werden. Ninck hat es aber durch seine Recherchen geschafft, sie mit sehr vielen wichtigen Hintergrundinformationen zu versehen – ein sauberes Stück journalistische Arbeit.

"Volkes Stimme" in den Online-Kommentaren

Zu einem guten Teil weniger sauber war die journalistische Arbeit im Fall "Carlos" vorher. Obwohl Ninck einen starken Fokus auf das Verhalten der Oberjugendanwaltschaft und des Regierungsrats Martin Graf legt, wird klar, wie viel Einfluss die Medienschaffenden dabei hatten. Und diese Medienschaffenden wiederum waren getrieben voneinander (Wer hat noch mehr Details wie Deo-Marke o.ä. aus dem Leben von "Carlos"?) und auch vom "Erfolg" ihrer Geschichten: Die Online-Kommentarspalten platzten fast aus den Nähten ob all der "Kuscheljustiz"-, "Bürgerwehr muss her"-, "Schafft den aus"- und "Verhätschelter Krimineller"-Kommentare.

Nincks Artikel endet damit, dass das Bundesgericht anordnet, "Carlos‘" Sondersetting solle weitergeführt werden. Doch hier ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende; die Medienschaffenden treiben sie weiter und weiter: Die NZZ hat herausgefunden, dass "Carlos" aktuell in den Niederlanden ist, um dort ein Kampfsport-Zentrum zu besuchen. Und sie weiss – unter der Spitzmarke "Skandal ohne Ende" – etwa zu vermelden, dass er in "einem komfortablen Hotel mit Swimmingpool, Fitnesscenter und Sauna" untergebracht ist. Was Volkes Stimme in den Online-Kommentaren dazu meint, ist abzusehen.

Natürlich haben die anderen Medien auf die NZZ-News reagiert.  "Blick" etwa hat die Geschichte aufgenommen, titelt auf der Frontseite "Fall Carlos: Jetzt drehen die Behörden durch!", erzählt von dem "Luxusreisli" in die Niederlande, das die Behörden  "Carlos" "spendiert" hätten. Und besucht das Kampfsportzentrum,  das "Carlos" Ziel sein soll.  Dort finden sich zwar nur Leute, die "Carlos" erst einmal – in der Schweiz – gesehen haben, und "Carlos" findet der "Blick" nicht. Dennoch reicht das für einen Artikel. Die "Carlos"-Geschichte wird weitergetrieben und hat langsam den Charakter einer Treibjagd angenommen.

 

2 Kommentare

#1

Von Küffer Kurt
08.03.2014
Auch in einer direkten Demokratie existiert eine Gewaltentrennung zwischen Legislative und Exekutive. Letztere hat Entscheidungsbefugnisse und soll sich nicht von der "Vox populi" beeinflussen lassen. Hier sind Fachentscheide gefragt und nicht Emotionen. Über diese Entscheidungsgrundlagen sind die Medien auch zu informieren, gelingt dies nicht spricht "Frust popoli" und wähnt unfähige Behörden am Werk. Die "Populisten-Presse" wartet nur darauf, Staat und Behörden demontieren zu können. Die Partei dahinter bringt bald die nächste Initiative unters Volk. So wird Regierung und Staat unterhöhlt. Das Chaos lässt grüssen und die Bananenrepuplik ist in Sichtweite.

#2

Von Andreas
09.03.2014
Und Ninck's Text ist jetzt das gelbe vom Ei, weil er im Magazin steht? Die Botschaft hör ich wohl, aber spätestens seit Markus Wenger fehlt mir der Glaube. Vox populi ist nicht immer vox dei, aber genau so unreflektiert, wie Blick & Co auf "Carlos" eindroschen, ergreift Ninck Partei für ihn und die versammelten Profiteure à la Riesen-Oggenfuss & Co. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

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