Aktuell – 21.10.2014

Maulkorb für Whistleblower: Parlament erschwert Recherchen

Schlechte Zeiten für Rechercheure: Der Ständerat hat im September ein medienfeindliches Whistleblower-Gesetz beschlossen. Ein Kommentar von Dominique Strebel.

Bundesrat und Ständerat wollen Arbeitnehmenden verbieten, an die Medien zu gelangen, wenn sie in ihren Firmen, also in der Privatwirtschaft, Missstände beobachten. Dies selbst dann, wenn sie die Missstände an eine interne Meldestelle und an eine externe Behörde wie die Staatsanwaltschaft gemeldet haben. Falls die Behörde die Whistleblower nämlich innert 14 Tagen informiert, darf die Öffentlichkeit nichts erfahren – selbst wenn die Behörde nichts gegen den Missstand macht. Die Whistleblower müssen schweigen.

"Die Rolle des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin beschränkt sich auf die Inkenntnissetzung der Behörde", schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zu der Teilrevision des Obligationenrechts . "Er oder sie hat die Angemessenheit der Reaktion der Behörde nicht zu beurteilen und ihre Entscheide nicht in Frage zu stellen" Und mit entwaffnender Klarheit: "Wenn das Vorgehen der Behörde unzureichend ist oder keine Auswirkungen auf das gemeldete unerlaubte Verhalten hat, darf sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht an die Öffentlichkeit wenden."

Das Hauptargument hier: Man wolle das Denunziantentum nicht fördern. Doch dies ist eine Angst ohne Anlass: Erstens gab es bisher kaum Whistleblower aus der Privatwirtschaft. Und zweitens war die überwiegende Zahl von Missstandsmeldungen bisher berechtigt: Von mangelndem Controlling bei der Sozialhilfe im Zürcher Sozialdepartement bis zum Ressortleiter im Seco, der mutmasslich in die eigene Tasche wirtschaftete.

Zudem behaupteten Bundesrätin Simonetta Sommaruga und die Ständeräte der Kommissionsmehrheit in der Ratsdebatte, man verschlechtere den Schutz von Whistleblowern nicht. Sommaruga im Originalton: "Ich möchte betonen, dass wir bewusst darauf geachtet haben, die Arbeitnehmenden nicht schlechter zustellen, als dies nach geltendem Recht der Fall ist." Mit Verlaub, Frau Bundesrätin, das ist falsch.

Gemäss Bundesgericht darf eine Arbeitnehmerin an die Medien gelangen, wenn die Behörde nichts unternimmt. So hält das höchste Schweizer Gericht in seinem Leitentscheid fest, dass der Arbeitnehmer an Medien gelangen dürfe, "wenn die Behörde untätig bleibt – und wenn es die Umstände rechtfertigen." (vgl. BGE 127 III 310, Erw. 5a).

Genau so entschied im Juli 2011 auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Heinisch. Gemäss EGMR beschädigten die Vorwürfe der deutschen Altenpflegerin Brigitte Heinisch zwar den Ruf und die Geschäftsinteressen des Arbeitgebers.In einer demokratischen Gesellschaft überwiege jedoch das Interesse der Allgemeinheit, von Missständen in der Altenpflege zu erfahren. Deshalb durfte die Altenpflegerin – nachdem die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Betruges eingestellt hatte – mit Informationen zu mutmasslichen Missständen im Altersheim an die Öffentlichkeit gelangen.

Gemäss geltender Rechtsprechung dürfen Whistleblower die "Angemessenheit der Reaktion der Behörde" also durchaus beurteilen und ihre Rolle beschränkt sich nicht bloss auf die "Inkenntnissetzung der Behörde". Wenn die Behörde untätig bleibt, dürfen sie an die Medien gehen. Damit ändert das vom Ständerat beschlossene medienfeindliche Gesetz durchaus die geltende Rechtslage und verstösst wohl auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Solch ungenügend informierte Gesetzesarbeit ist an und für sich bereits bedenklich. Zusätzlich aber werden damit die Rahmenbedingungen für qualitativ guten Journalismus weiter verschlechtert. So können Medienschaffende ihre "Watch-Dog"-Funktion immer weniger wahrnehmen, die notabene Politiker, Bundesgericht und EGMR immer wieder beschwören.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Nationalrat als Zweitrat diesen Fehler korrigiert.

Im öffentlichen Verwaltungsbereich ist die Regelung zumindest auf Bundesebene eindeutig besser: Hier ist eine Information an die Medien möglich, wenn nach einer Meldung an die eidgenössische Finanzkontrolle nichts passiert.

Dominique Strebel ist Journalist, Jurist, Studienleiter am MAZ und Co-Leiter des Recherchenetzwerks investigativ.ch

1 Kommentar

#1

Von Manuel Frey
23.10.2014
Super Artikel! Besten Dank.

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