Aktuell – 15.01.2015

Ordnung schaffen, um die Medien zu verstehen

"Lautsprecher und Widersprecher" – das Buch von Roger Blum spricht Medienwissenschaftler und Journalisten an. Thema sind die Mediensysteme verschiedenster Länder und deren Vergleich nach Typologien. Von Guido Keel.

Wer international reist und in den verschiedenen Ländern jeweils Medien konsumiert, der stellt fest, dass die Medien auch in scheinbar ähnlichen Ländern sehr unterschiedlich daherkommen. Und dies, obwohl die Menschen und Länder der Welt angeblich immer stärker globalisiert werden und Kulturen zunehmend konvergieren.

Das Buch "Lautsprecher und Widersprecher. Ein Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme" von Roger Blum macht diese Unterschiede zum Thema und versucht, Ordnung in die Welt der Mediensysteme zu bringen. Es spricht dabei nicht nur WissenschaftlerInnen, sondern auch JournalistInnen an. Blum legt ein neues Modell vor, wie die Mediensysteme im internationalen Vergleich sechs Typen zugeordnet werden können. Zudem liefert er 26 Länderportraits und zeigt, aufgrund welcher Eigenschaften diese Länder als Vertreter eines der sechs Typen verstanden werden können.

So erklärt Blum beispielsweise, wie scheinbar grundverschiedene Länder wie Italien, Ghana und der Libanon im Kern über ähnliche Mediensysteme verfügen: Die drei portraitierten Länder verfügen über eine demokratische Regierungsform, es dominiert eine liberale Wirtschaftsordnung, es herrscht Medienfreiheit, und gleichzeitig besitzt und  kontrolliert auch der Staat einen Teil der Medien. Allen Ländern ist zudem gemeinsam, dass die Journalisten kaum berufsspezifisch ausgebildet sind und medienethische Überlegungen im Alltag eine geringe Rolle spielen.

Für Journalistinnen und Journalisten ist Blums – sehr verständlich verfasstes – Buch zunächst nützlich, um unterschiedliche Mediensysteme zu verstehen. Denn es ist in Zeiten des globalen Nachrichtenflusses auch für Schweizer Journalisten unabdingbar zu verstehen, wie Medien in anderen Ländern funktionieren, um Nachrichten bzw. Medieninhalte aus anderen Ländern einschätzen zu können. Weiter zeigen die 26 Länderportraits aber auch, wie Medien auch noch organisiert sein und funktionieren könnten. Und damit wiederum liefert das Buch Material für das Verständnis der eigenen beruflichen Situation sowie zur Reflexion über Sinn und Funktion des Journalismus an sich.

Für die Wissenschaft ist zu hoffen, dass Blums Buch grosse Resonanz findet. Medienwissenschaftler versuchen seit Jahrzehnten, Typologien zu entwerfen, um mehr oder weniger einzigartige Mediensysteme vergleichen zu können. Die in der Wissenschaft über Jahrzehnte hinweg dominierende Typologie von Mediensystemen war das Modell der "Four Theories of the Press"* aus dem Jahr 1956. Obwohl sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Welt und die Medien seither fundamental verändert haben, galt das Modell lange als Referenz, wenn es um den Vergleich von Mediensystemen geht. Seit 2004 orientiert sich die Fachwelt zudem an einem weiteren Modell, dem Systemvergleich von Hallin und Mancini**. Dieses stellt einen engen Bezug zwischen Politik und Medien her und identifiziert dabei drei Typen von Mediensystemen. Grosser Nachteil dieses neuen Modells ist jedoch, dass es sich nur auf die westliche Welt bezieht, weshalb für einen globalen Vergleich von Mediensystemen nach wie vor oft auf die "Four Theories of the Press" rekurriert wird.

Blums Buch zeigt auf, was die beiden Modelle zu erklären vermögen und was nicht, zudem beschreibt er auch weitere Modelle, welche die Mediensysteme der Welt je nach Kriterien und Perspektive in zwei, drei, vier, fünf, sechs oder sieben Typen zu beschreiben versuchen. Wirklich gemeinsam ist diesen Modellen nur, dass sie sich nie durchgesetzt haben.

Hier setzt Blum an. Er entwickelt sein eigenes Modell, das anhand von elf Kriterien sechs verschiedene Arten von Mediensystemen definiert. Die elf Kriterien umfassen dabei die politische und die medienpolitische Situation eine Landes, aber auch die Frage, wer Medien besitzt und wer sie finanziert, und schliesslich Aspekte des Journalismus an sich wie die journalistische Kultur und die Professionalität. Dazu geht er von 26 konkreten Länderstudien aus und versucht, entlang der elf Kriterien eine Typenbildung vorzunehmen. Blums Modell knüpft an die Typologie von Hallin und Mancini an, erweitert sie aber so, dass Mediensysteme der ganzen Welt kategorisiert werden können.

Blum beschreibt nicht einfach ein weiteres Modell, sondern es bildet auch eine Art Synthese aus vorangegangenen Modellen und Diskursen. Und er erklärt, warum er andere denkbare Kriterien verworfen hat.

Das Buch vermag auf systematische und umfassende Art Ordnung in die Welt der Mediensysteme zu bringen. Wie Blum auch selbst schreibt, sind Typologien Vereinfachungen, die definitionsgemäss der Komplexität der Realität nicht vollends gerecht werden. Und entsprechend birgt jede Typologie zahlreiche Gefahren, auf die Blum auch offen hinweist: Die Länder und mit ihnen die Mediensysteme wandeln sich; Ländertypologien scheren teilweise heterogene Situationen innerhalb eines Landes über einen Kamm, so dass beispielsweise Querschläger im System oder Unterschiede zwischen Stadt und Land vernachlässigt werden. Darin liegt aber auch der Wert einer Typologie: Sie schafft Übersicht in einer sehr unübersichtlichen, dynamischen Welt. Sinnvoll ist diese Vereinfachung, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, anhand von sorgfältig auf ihre Relevanz geprüften Kriterien geschieht.

Roger Blum war Journalist, Redaktor und bis zu seiner Emeritierung Professor für Medienwissenschaft an der Uni Bern. Heute ist er Publizist und Präsident der UBI.
"Lautsprecher und Widersprecher. Ein Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme", Herbert von Halem Verlag, 2014.
Guido Keel ist Medienwissenschaftler und Dozent für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur.

 *Siebert, Fred S./Peterson, Theodore/Schram, Wilbour (1956): Four Theories of the Press. The Authoritarian, Libertarian, Social Responsibility, and Soviet Communist Concepts of What the Press Should Be and Do. Illinois: University of Illinois Press.
**Hallin, Daniel C./Mancini, Paolo (2004): Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics. New York et al.: Cambridge University Press.

 

Ihr Kommentar

Bitte füllen Sie alle Felder aus.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

* = erforderlich

Sicherheitscode *