Service public – 14.11.2016

«Weniger Kindergarten!»

Die Zukunft des Service public und der SRG wird kontrovers und hitzig debattiert. Aber was meinen eigentlich Journalistinnen und Journalisten von der Basis? Was halten sie von der Auseinandersetzung zwischen den Verlegern und der SRG? EDITO hat herumgefragt.

Von Bettina Büsser*

Eins steht fest: Die Debatten wären weniger gehässig und pragmatischer, wenn die «Basis» diskutieren würde. Denn wird in der Politik über die SRG und den Service public diskutiert, kann es schnell einmal giftig werden. Und äussern sich Vertreter von SRG und Verlegern über die mediale Zukunft, sieht es nach zwei unversöhnlichen Lagern aus. Fragt man (wie es EDITO getan hat) jedoch Journalistinnen und Journalisten an der Basis der Medienhäuser, denkt eine Mehrheit ziemlich differenziert.

«Interessiert mich nicht»

Natürlich gibt es diejenigen, die sich weder um die SRG-Diskussion im Parlament noch um die Auseinandersetzungen zwischen Verlegern und SRG kümmern. «Ich interessiere mich nicht für Politik und informiere mich auch nicht darüber. Deshalb kann ich nichts dazu sagen», meint etwa eine Print-Journalistin. Und schämt sich ein bisschen. Andere schämen sich nicht und sagen Sätze wie: «Es interessiert mich so wie andere politische Themen, gehört aber nicht in mein Ressort.» Auf seiner Redaktion erzählt ein Mitarbeiter einer Sonntagszeitung, sei das Interesse eher klein: «Die Leute sind wenig sensibilisiert, es gibt kein kollektives Bewusstsein. Das zeigt sich ja auch bei der GAV-Diskussion.»

Der auf der politischen Ebene ausgetragene Streit um SRG und Service public betrifft besonders diejenigen, die bei der SRG arbeiten. Schliesslich stehen auch deren Arbeitsplätze auf dem Spiel. Und sie spüren es im Alltag: «Wir stehen unter besonderer Beobachtung», erzählt ein SRG-Radio-Mitarbeiter: «Das bekommen wir immer dann zu spüren, wenn wir mit Akteuren, Experten oder aber auch der breiten Bevölkerung in Kontakt kommen.» Ihn trifft besonders, dass der SRG – und damit ihm – immer wieder vorgeworfen wird, «parteiisch oder ‹Bundesbern-nah› zu berichten.

Sie beschäftige, so eine SRG-Journalistin, dass in der Öffentlichkeit immer die Kosten für die SRG bemängelt würden: «Die Qualität unserer Arbeit wird nicht in Frage gestellt und sogar von vielen gelobt, aber es ist, als ob sie keine Verbindung zwischen den Billag-Kosten und den Programmen herstellen würden.» Sie ist pessimistisch, was die Zukunft angeht, und fürchtet generell eine Reduktion des Staates auf das, was die Privaten nicht übernehmen können und wollen: «Es ist ein offensiver Diskurs, und ich spüre keine aktive Verteidigung des Service public in den Parteien, die ihn unterstützen könnten.»

Einen gewissen Trost könnte sie bei einigen ihrer Kolleginnen und Kollegen in den privaten Medienhäusern finden. Zwar kümmert die politische Debatte einige der Befragten nicht, andere hingegen verteidigen den Service public – und zwar mit einer Vielfalt von Begründungen. Da ist etwa die Journalistin einer Sonntagszeitung, für die vor allem das SRG-Radio ein wichtiges Informationsmedium ist und die deshalb der SRG eine starke Position wünscht, damit sie sich «viele kompetente Journalistinnen und Journalisten leisten und weiterhin ein gutes Korrespondentennetz pflegen kann». Oder der Tageszeitungs-Journalist, der sich um die Medienvielfalt sorgt, die auf nationaler Ebene klar abgenommen habe, seit mehrere Zeitungen zusammen gemeinsame Mantelteile herausgeben: «Kein anderes Medienhaus leistet einen auch nur annähernd mit der SRG vergleichbaren Beitrag zur nationalen Kohäsion.»

Substanzverlust und Diskriminierung

Ein Mitarbeiter eines Privatradios findet die Angriffe auf den Service public viel zu massiv, da die SRG Zugang zu kostenlosen Qualitätsinformationen ermögliche. Er, der in der Westschweiz arbeitet, befürchtet ausserdem bei einer starken Reduktion des Service public «einen Substanzverlust und eine Diskriminierung von Minderheiten».

«Der Streit ist sinnlos, wenn am Schluss alle verlieren.»

Es wird auch politisch argumentiert. «Die Politik ist verantwortlich dafür, dass die Schweizer Medienlandschaft nicht noch mehr ‹blocherisiert› wird. Dieser Aufgabe kann sie nur gerecht werden, wenn sie die SRG stützt», sagt eine Regionalzeitungs-Journalistin. Und eine Tageszeitung-Journalistin sieht die SRG als einziges Unternehmen, das «eine einigermassen neutrale Information der Bürgerinnen und Bürger garantiert und auch wirklich dazu verpflichtet ist». Zudem sei sie für die Medienschaffenden auch wichtig, weil sie eine «anständige, gute Arbeitgeberin» sei.

Solidarität ja, aber …

Für andere, die bei privaten Medien arbeiten, spielt vor allem die Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen bei der SRG eine Rolle. Diese ist jedoch bei manchen mit einem «Aber» versehen: «Obwohl ich als Journalistin in einer Zeitung andere Realitäten kenne als die SRG-Kollegen», hängt etwa eine Redaktorin einer Sonntagszeitung an ihre Solidaritätsbekundung an. Und einer ihrer Kollegen beobachtet bei manchen Print-Journalisten «die Vorstellung, die SRG-Journis seien überfüttert, während wir seit Jahren leiden».

Ein «Aber» ist auch spürbar, wenn es um den Konflikt zwischen Verlegern und SRG geht. «Ich verfolge diesen Streit und gebe beiden Seiten recht», findet eine Privat-TV-Journalistin – aber dass es für ihr Medium natürlich sehr gut wäre, wenn den Privaten mehr Gebühren zugesprochen würden: «Denn in der aktuellen wirtschaftlichen Situation kann man sich journalistisch nicht so tief ins Thema einarbeiten, wie es SRG-Leute tun können.»

Umstrittene Online-Werbung

Gerade im Online-Bereich, dem heiklen Punkt, wo sich die Interessen von SRG und Privaten direkt kreuzen, gibt es sehr klare Statements der Medienschaffenden aus privaten Unternehmen. Denn hier wird ein Verteilkampf wahrgenommen: «Das Online-Angebot der SRG konkurrenziert schon seit längerer Zeit unser Geschäft. Und wir müssen sparen», stellt ein Tageszeitungs-Journalist fest. Es sei in Ordnung, dass die SRG online Radio- und Fernseh-Beiträge aufschalte, findet eine Mitarbeiterin einer Sonntagszeitung, doch Gebühren für eine Newswebsite seien «nicht in Ordnung». Und schlicht ein «No-Go» ist für eine freie Print-Journalistin die Vorstellung, dass die SRG Online-Werbung machen dürfte: «Es ist zentral für die Printhäuser, dass sie es tun können und dort den Ausfall aus dem Print etwas kompensieren können.»

Auch die Gebühren sind aus Sicht derjenigen, die bei privaten Medien arbeiten, nicht sakrosankt. Es gibt Vorschläge wie «Ein Teil davon könnte in die neuen digitalen Medien fliessen» oder «Die kleinen privaten Elektronischen sollten mehr berücksichtigt werden». Ein Tageszeitungs-Redaktor schlägt eine Kürzung der Gebührengelder für die SRG auf zwei Drittel vor, dafür soll sie Online-Werbung betreiben können.

«Unwahrheiten korrigieren»

Wenn es konkret um Geld geht, wird es also auch in der «Basis» etwas hitziger. Aber nicht so hitzig wie in der öffentlichen Debatte. «Die Fronten haben sich in den vergangenen Monaten verhärtet, es wird gelogen und behauptet, Fakten verdreht, hauptsächlich, um Schlagzeilen zu machen», so ein Mitarbeiter eines SRG-Radios; er verbringe viel Zeit damit, in seinem Umfeld «Unwahrheiten» zu korrigieren.

Die befragten Medienschaffenden argumentieren nicht in Schlagzeilen. Viele von ihnen wünschen sich ein gesamtheitlicheres Denken. Es gehe, so ein Tageszeitungs-Journalist, um die Aufteilung des Werbekuchens, der sich mit dem Aufkommen digitaler Player wie Google oder Facebook verringert habe; die Schweizer Medien, «private wie öffentliche», müssten gemeinsam darauf reagieren.

Genau wie er betonen viele, dass es um die Zukunft des Journalismus gehe – egal, ob in öffentlichen oder privaten Medien. «Der Streit ist sinnlos, wenn am Schluss alle verlieren», findet eine Mitarbeiterin einer privaten Online-Plattform, und sie sieht viele Verlierer: Die privaten Medien, die aus wirtschaftlichen Gründen mit gesponserten Beiträgen die Glaubwürdigkeit des Journalismus aufs Spiel setzen; die öffentlichen Medien, die so unter Druck stehen, dass ihre Arbeit ebenfalls gefährdet ist. «Man würde besser an gemeinsamen Lösungen arbeiten», sagt sie: «Alle haben dieselben Probleme.» Bloss: Die perfekte Lösung hat auch die «Basis» nicht zu bieten. Fast alle wünschen sich zwar ein faires Mit- und Nebeneinander von Service-public- und privaten Medien – aber im Zweifelsfall ein bisschen mehr für das eigene Medium. Eine spezielle Idee bringt – ausgerechnet – ein SRG-Online-Journalist ein: Zwei gebührenfinanzierte Medienhäuser, «die sich gegenseitig konkurrieren und schlanker sind als die heutige SRG» und die ihre Nachrichtenbeiträge allen Medienhäusern zur Verfügung stellen – «so würden bei den privaten Medien Kräfte frei für wirklich exklusive Inhalte».

Eine Idee, der – ausgerechnet – eine Tageszeitungs-Journalistin vehement widerspricht. Wenn die Verleger gratis Inhalte von der SRG beziehen könnten, fragt sie, «wer garantiert dann, dass sie dies nicht dazu nutzen, weiter eigenes Personal abzubauen, während sie die Werbeeinnahmen, die sie ja dann auch dank der SRG-Inhalte erzielen, in den eigenen Sack stecken»? Sie findet die Attacken der Verleger gegen die SRG unverhältnismässig: «Die Verleger waren es und sie sind es noch immer, die ihre eigenen Bezahlprodukte mit Gratisangeboten konkurrenzieren.»

Eine grosse Mehrheit der Befragten begrüsst es, dass die Themen öffentlich diskutiert werden. Doch viele wünschen sich einen anderen Stil in der Debatte – und zwar von allen Seiten. «Ich erwarte von den Streitparteien, dass sie eigennützige Argumente künftig auslassen. Sie verfälschen das Problem beim Konsumenten», sagt eine Mitarbeiterin einer Regionalzeitung. Und ein Tageszeitungs-Journalist stellt fest, der Diskurs habe «selten Niveau» und werde zu oft auf der persönlichen Ebene ausgetragen: «Letztlich ist mein Wunsch an Verleger und SRG-Chefs daher derselbe wie jener an die Politiker: Weniger Kindergarten!»

* Mitarbeit: Alain Maillard und Philipp Cueni

EDITO hat Journalistinnen und Journalisten aus allen Medienbereichen und aus der Deutsch- und Westschweiz einige Fragen zu den aktuellen medienpolitischen Debatten gestellt. Der Text basiert auf 24 ausgefüllten Fragebögen/Gesprächen.

Andere Meinung, weitere Aspekte – wir führen die Debatte fort: redaktion(a)edito.ch

 

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