Zukunftsmodelle – 28.10.2017

Bietet Onlinern bessere Perspektiven!

An vorderster Front in jedem Medienhaus sitzt die Online-Redaktion. Warum nur geht man mit deren Leuten so schlecht um?

Von Tobias Bühlmann

Mehrmals wurde ich nach meinem Rat gefragt, was ein guter Weg für den Einstieg in den Journalismus sei. Meine Antwort: Mach ein Praktikum in einer Print- oder Rundfunkredaktion. Trete auf keinen Fall eine Online-Stelle an in der Hoffnung, sie diene dir als Sprungbrett. Diesen Rat habe ich oft erteilt, obwohl er mich schmerzt. Denn ich habe selbst lange Jahre als Online-Redaktor gearbeitet, zuerst für Swiss TXT, dann für SRF und schliesslich für die NZZ. Und ich habe diese Arbeit gerne gemacht: Das Themen-Spektrum am Newsdesk ist abwechslungsreich, ich habe mir ein breites Dossier-Wissen erarbeitet und meine Fähigkeiten als Gatekeeper geschärft, gerade auch für jene Momente, in denen eine schnelle Reaktion gefragt war. Dass ich den Beruf nach über zehn Jahren aufgegeben habe, lag nicht am Inhalt meiner Arbeit.

Ganz unten in der Hackordnung

Der Online-Auftritt eines Mediums kann nur dann überzeugen, wenn am Newsdesk gute Redaktorinnen und Redaktoren arbeiten. Den Verantwortlichen muss daran gelegen sein, gute Bedingungen zu schaffen und den Menschen, die da arbeiten, eine Perspektive zu bieten – eigentlich. Denn wer sich umschaut, sieht eine andere Realität: Die Onliner stehen in der Hackordnung der Redaktionen ganz unten. Oft erfahren sie von den alteingesessenen Kollegen aus den Ressorts, die Inhalte für Print oder Rundfunk herstellen, mehr Gering- denn Wertschätzung.

Bei der NZZ sprachen die Kolleginnen und Kollegen in den Fachressorts in Bezug auf die Leute vom Newsdesk von «Kindersoldaten» – ein Begriff, der in letzter Zeit allerdings seltener zu hören war. Beim SRF ist der Unterschied noch eklatanter: Ein ehemaliger Kollege von einem Nachrichtenmagazin des Schweizer Fernsehens tat gar mal sein Erstaunen kund über meinen journalistischen Instinkt, als wir eine Geschichte besprachen. Er fragte mich, wo ich vorher gearbeitet habe. Dass einer aus der Online-Redaktion solche Fähigkeiten mitbrachte, schien für ihn nicht denkbar.

Man könnte diese Beispiele abtun als Allüren von Redaktoren, die vom Zeitgeist überholt wurden und ihren Frust an den jungen Kollegen auslassen. Das Problem ist jedoch, dass auf den allermeisten Chefposten in Deutschschweizer Medienhäusern Redaktoren sitzen, die sich ihre Sporen in den Print- und Rundfunkredaktionen abverdient haben und die dort verbreitete Geringschätzung von Onlinern zu teilen scheinen.

«Dass ich den Beruf nach über zehn Jahren aufgegeben habe, lag nicht am Inhalt meiner Arbeit.»

Denn Wechsel aus den Online-Teams in die prestigeträchtigeren Redaktionen sind selten – und das liegt nicht daran, dass niemand den Wechsel versucht. Und auch in Bezug auf ihr Tagesgeschäft scheint man dem eigenen Personal wenig zuzutrauen: Braucht es Leute mit neuen Ideen für Online, setzen die Chefs in frappanter Regelmässigkeit auf Köpfe, die sich anderswo einen Namen gemacht haben.

Wo bleiben die Onliner auf Chefposten?

Noch seltener kommt es vor, dass die Arbeiter vom Newsdesk in ihrem Unternehmen in höhere Hierarchiestufen vorstossen. Bei meinem letzten Arbeitgeber NZZ sucht man unter den Tagesleitern, die den operativen Betrieb im Newsroom verantworten, vergeblich nach Leuten mit Online-Erfahrung vom Newsdesk – dabei feierte man bei der NZZ unlängst den zwanzigsten Jahrestag des Online-Auftritts, an erfahrenem Personal sollte es nicht mangeln.

Und als SRF im vergangenen Jahr eine neue Leitungsposition für die Redaktion News Online besetzte, setzten die Verantwortlichen lieber auf einen Redaktionsleiter vom Radio, in dessen vorheriger Position Online kaum eine Rolle spielte. Zwar gab es die Online-Redaktion damals schon seit gut zehn Jahren, doch offenbar traute man auch da keinem Onliner die nötigen Fähigkeiten zu.

Am fehlenden Talent kann es kaum liegen, denn die Arbeit ist anspruchsvoll: Aus der Masse an Agenturmeldungen, Medienmitteilungen und Social-Media-Posts müssen unter stetem Zeitdruck relevante Meldungen herausgefischt und sich anbahnende Geschichten rechtzeitig erkannt werden. Und aus alldem soll möglichst umgehend ein ansprechender Mix entstehen an Geschichten, die Online-gerecht daherkommen.

«Hört euch um am Online-Desk, gebt den Arbeiterinnen und Arbeitern dort mehr Raum.»

Es liegt auf der Hand, dass Personen, die die Arbeit ihrer Untergebenen aus erster Hand kennen, viel Gutes bewirken können. Sie kennen die Sorgen und Nöte der Teams, können meist besser mit deren Bedürfnissen umgehen und sich eher das Vertrauen der Angestellten erwerben.

Die Herausforderungen bei der Leitung einer Online-Redaktion sind erheblich, nur schon was das Organisatorische angeht: Die Arbeit wird in Schichten geleistet. Entweder fängt man frühmorgens vor 7 Uhr an oder bleibt bis spätabends gegen Mitternacht in der Redaktion, und zwar sowohl an Werktagen wie an Sonn- und Feiertagen. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt bei der Organisation.

Platz für ein eigenes Profil

Ebenso wichtig ist die inhaltliche Erfahrung: Journalismus funktioniert online anders als Print und Rundfunk, das sollte inzwischen allen klar sein. Eine Geschichte, die als dreiminütiger Radiobeitrag funktioniert, lässt sich nicht einfach eins zu eins als Online-Text verwursten, ein Printartikel macht nicht automatisch eine gute Falle auf der Website, ein Tagesschau-Stück funktioniert nicht gleich gut isoliert auf dem Video-Portal im Netz.

Es wäre längst angezeigt, mehr auf die Redaktorinnen und Redaktoren am Newsdesk zu setzen, in ihre Fähigkeiten zu vertrauen und ihnen eine bessere Perspektive zu geben. Kurzum: Sie müssen als vollwertige Redaktionsmitglieder behandelt werden. Dazu gehört die Gelegenheit, sich ein eigenes journalistisches Profil zu erarbeiten. Hierbei braucht es die Möglichkeit, auch einmal losgelöst vom schnelllebigen Online-Tagesgeschäft eine eigene Recherche voranzutreiben und sich in einem Gebiet vertiefte Dossierkenntnisse zu erarbeiten. der darauf baut, dass die Onliner nebenher als Freie schreiben, wenn sie denn wollen, verkennt die Realität schwindender Budgets für Externe. Zudem stehen diesem Ansinnen nicht selten Konkurrenzverbote im Weg.

Bringt erst Spardruck den Wechsel?

Die fehlende Wertschätzung für die Leute von der Online-Redaktion drückt sich zudem auch recht unmittelbar in den Löhnen aus. Diese liegen für die Schichtarbeiter vom Newsdesk in der Regel unter jenen der Kolleginnen und Kollegen von Print und Rundfunk. Ein Beispiel, dass es auch anders laufen könnte, ist laut Aussagen dort Arbeitender Tamedia – ausgerechnet, ist man versucht zu sagen. Denn offenbar führt dort ausgerechnet der Spardruck dazu, dass die Grenzen zwischen Print und Online bei «Tages-Anzeiger» und «20minuten» stärker verwischen als in anderen Medienhäusern.

Gut möglich, dass das gemeinsame Leid die Leute enger zusammenschweisst. Allerdings stimmt es mich wenig zuversichtlich, wenn erst der stete Abbau zu einem Umdenken führt. Darum appelliere ich an die Leute an der Spitze der Medienhäuser: Hört euch um am Online-Desk, gebt den Arbeiterinnen und Arbeitern dort mehr Raum. Mehr Zufriedenheit führt zu einem motivierten Team, und dies garantiert ein besseres Produkt. Was eignet sich mehr als Alleinstellungsmerkmal in einer Medienwelt, die sich immer mehr angleicht?

Autor:
Tobias Bühlmann ist Ex-NZZ-Redaktor, heute Storyteller und Mediensprecher bei Zühlke.

2 Kommentare

#1

Von Remo
02.11.2017
Auch die Medienförderung von Bund und Kantonen hat noch nicht kapiert, daß wir im Digitalzeitalter leben:

http://www.rhätische-zeitung.ch/internetzeitung-graubuenden/

Der Trend wird nicht aufzuhalten sein, daß Leute digital Medien konsumieren.

Sogar Lexika wie der traditionsreiche Brockhaus wurden eingestellt. Früher gehörte es zum guten Ton, die dicken Bände des großen Brockhaus zuhause zu haben. Heute tut sich doch kein Mensch mehr an, solche Wälzer bei sich im Wohn- oder Arbeitszimmer zu lagern.

Man macht das digital per Mausklick.

Nicht mißzuverstehen: Ich mag Bücher, sammle sogar alte Bücher. Aber Nachrichten, Zeitungen usw., dort ist das Digitale nicht aufzuhalten.

Und Redaktionen, die die Leute, die digitale Inhalte liefern, ganz unten in der Hackordnung halten, die sind rückwärtsgewandt.

Ihr Kommentar

Bitte füllen Sie alle Felder aus.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

* = erforderlich

Sicherheitscode *