Aktuell – 13.02.2019

Der Anfang vom Ende?

Eine abtretende Chefredaktorin und vierzehn Entlassungen – bei der renommierten Frauenzeitschrift «Annabelle» wird massiv gespart. Mit welchen Folgen?

Von Nina Fargahi

«Auf weitere 80 Jahre Annabelle!», gratulierte der Tamedia-Verleger Pietro Supino der Zeitschrift «Annabelle» zu ihrem achtzigsten Geburtstag. Das war im Oktober 2018. Drei Monate später folgt der Kahlschlag. 14 der insgesamt 39 MitarbeiterInnen werden entlassen, verkündet Tamedia Ende Januar.

Der Schock ist gross, obwohl die Ungewissheit die Redaktion seit Jahren  plagte. «Die Nachricht, den Job zu verlieren, ist für jede Einzelne und jeden Einzelnen eine schlimme», sagt die Chefredaktorin Silvia Binggeli. Sie selbst nimmt den Hut und verlässt «Annabelle» nach 20 Jahren.

In einem offenen Brief solidarisieren sich die Redaktorinnen des Tages-Anzeigers und Tamedia. Am 31. Januar 2019 schreiben sie an den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung: «Wir sind überzeugt, dass auch Sie Interesse an auffälligen journalistischen Inhalten haben. Daher appellieren wir an Sie, Ihren Entscheid noch einmal zu überdenken.» Mehr als 45 Redaktoren unterzeichnen den Brief.

Doch Tamedia bleibt hart und beruft sich auf die rückläufigen Zahlen aus dem Werbemarkt. Im Segment der Frauen- und Peoplezeitschriften seien die Werbeeinnahmen in den vergangenen 5 Jahren um 50 Prozent zurückgegangen, rund 20 Prozent davon im 2018.

In der Annabelle-Redaktion herrscht die Meinung vor, die Tamedia-Leitung habe sich nicht wirklich darum bemüht, inspirierte Lösungen zu suchen und die «Annabelle» am Leben zu erhalten. Dabei ist die «Annabelle» eine erfolgreiche Zeitschrift: Die Redaktion ist engagiert, zahlreiche Autorinnen haben Preise gewonnen, das Magazin hat sich zu einer starken Marke etabliert mit hohem Wiedererkennungswert.

Die «Annabelle» steht für hochwertigen Journalismus aus dem Haus Tamedia und ist eine Institution mit einer langen Geschichte. Gegründet im Jahr 1938 als erste Frauenzeitschrift im deutschsprachigen Raum, hat die «Annabelle» zuweilen für viel Wirbel gesorgt. Man denke an den Sommer 2006, als die «Annabelle» die Petition «Keine Schusswaffen zu Hause» lancierte, die zu einer Volksinitiative führte. Oder als sich das Magazin 2012 für eine Frauenquote stark machte. «Manchmal braucht es nur eine Frau, um die Schweiz zu verändern. Manchmal 30 Prozent», lautete der Titel. Die damalige Chefredaktorin Lisa Feldmann wurde deswegen vor den Verwaltungsrat zitiert.

Die «Annabelle» hat sich stets mit dem Frausein in der Schweiz auseinandergesetzt, hat vermeintliche Selbstverständlichkeiten mutig hinterfragt und sich für die Sache der Frauen eingesetzt. Sie konnte auch während den letzten Jahren eine treue Leserschaft halten.

Weshalb hat sich Tamedia trotzdem dazu entschieden, das Ende der «Annabelle» einzuläuten, obwohl die Mittel für einen anderen Weg vorhanden wären? Liegt der Grund vielleicht darin, dass in der Tamedia-Unternehmensleitung keine einzige Frau sitzt? Auf Anfrage heisst es: «Dieser Vorwurf ist schlicht unhaltbar. Wir haben uns den Entscheid in keinster Weise leicht gemacht.» Die Rede ist von einer Zusammenlegung der Zeitschrift mit dem Onlineportal. Allerdings arbeitet die Redaktion schon seit Jahren konvergent. Es geht vielmehr um die günstigere Produktion des Magazins. Beim Stellenabbau sind nicht nur die 14 Vollzeitstellen, sondern die Hälfte der Redaktion betroffen. Denn die Stellen, die seit zwei Jahren nur noch mit befristeten Verträgen besetzt werden, müssen ebenfalls miteinberechnet werden.

Während der Mitarbeiterinformation am 29. Januar 2019 wollte eine Journalistin wissen, ob die Tamedia-Führung auch Selbstkritik üben möge? Christoph Tonini von der Unternehmensleitung habe geantwortet, die Journalistinnen sollten endlich von ihrem hohen Ross runterkommen. Auch sie seien gefordert, sich Gedanken über die Finanzierung von Journalismus zu machen. Diese Aussage stellt die lange als wichtigstes Qualitätsmerkmal gehandelte Trennung von Verlag und Redaktion in Frage.

Wie wird das Produkt aussehen, wenn nur noch wenige Redaktoren dafür zuständig sind, Texte lediglich einzukaufen und zu produzieren, selbst aber nicht mehr gross zum Schreiben kommen? Eine Ahnung erhält man, wenn man auf «Le Matin» in der Romandie blickt: Auch da hat Tamedia die Redaktion in einer massiven Sparrunde verkleinert und in ein Onlineportal überführt, das nur noch Content bereitstellt, statt Geschichten zu recherchieren. Und nun tut man so, als gäbe es «Le Matin» noch, obwohl das einst schillernde Blatt im Grunde genommen nur noch eine Fassade ist. Droht der «Annabelle» das gleiche Schicksal? Eine Mitarbeiterin sagt: «Man hat die Zeitschrift kurzerhand erwürgt und schaut, was man mit der Leiche noch alles anstellen kann.»

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