Service public – 17.11.2016

Die grosse Verwirrung

Subsidiär oder komplementär – oder was? Eine Analyse zum neuen Buzzword in der Mediendebatte.

Von Robert Ruoff

Die Krise in der Medienwelt ist offenkundig. Peter Wanner, Verleger der AZ Medien, zitiert dazu gerne Umberto Eco: «Die Tageszeitung von heute ist die Wochenzeitung von morgen.» Jacqueline Badran, SP-Nationalrätin und Internet-Unternehmerin, formuliert es ein bisschen radikaler: «Die Qualitätszeitungen sterben einen langsamen Tod.» Und CVP-Präsident Gerhard Pfister sieht es so: «Die SRG gibt es in 20 Jahren nicht mehr.» Mehr noch: Vielleicht, so Pfister, gibt es in 20 Jahren auch keinen Journalismus mehr, wie wir ihn heute kennen.

Schöne neue Welt …

Die Katastrophenvision ist eine Folge der technologischen Revolution. Die Inhalte werden aus der Welt des bedruckten Papiers und der analogen Radio- und Fernsehwelt in die schöne neue Welt der Online-Angebote verschoben. Und weil alle Medienhäuser das gleichzeitig tun, die öffentlichen und die privaten, prallen sie im neuen Medienraum des Internets hart aufeinander. Die alten Businessmodelle – Werbung, Abonnements – zerbrechen. Für manche geht es um die schiere Existenz. Und für manche um den künftigen Profit. So stecken wir im Medienkrieg zwischen kommerziell finanzierten Privaten und dem Bollwerk des öffentlich finanzierten Service public der SRG.

Die Libertären, die im «Markt» das Allheilmittel sehen, reden von «Subsidiarität» im Mediensystem, popularisieren das mit dem mittlerweile gängigen Schlagwort: «Die SRG soll nur noch machen, was die Privaten nicht können.» Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) reicht ein entsprechendes Postulat ein, und Nationalrat Gregor Rutz (SVP) beruft sich mit seiner ganzen Fraktion auf den Subsidiaritäts-Artikel in der Bundesverfassung. Pietro Supino, der neue Präsident des Verlegerverbands VSM, formuliert es ein wenig freundlicher: «Komplementär» soll die Tätigkeit der SRG sein. Aber auch das bedeutet: Er will den Medienmarkt freiräumen für die kommerziellen Unternehmen. Die Verleger wollen die Einnahmen der SRG deshalb leicht senken, andere, wie die SVP, wollen die Gebühren um ein Drittel oder gar die Hälfte reduzieren, und über allem hängt die Drohung der «No Billag»-Initiative, die gar keine Mediengebühren mehr will, und das heisst: gar keine SRG. Und so gerät auch die SRG ins Schleudern auf dem Weg in die digitale Zukunft.

Problematische Mischfinanzierung

Der Schleuderkurs der SRG in dieser Revolution ist eine fast zwangsläufige Folge ihrer Mischfinanzierung. «Der Vogel schwankt so tief und still, er weiss nit, woner ane will», schreibt Johann Peter Hebel (in: «Das Gewitter»). Die SRG verkündet einerseits die digitale Zukunft mit der «Öffentlichkeit 4.0» und schafft es anderseits seit Jahren nicht, die Potenz der Radio-, Fernseh-und Online-Kanäle konvergent zusammenzuschalten. Sie verspricht Service public und nationalen Zusammenhalt und verstärkt den Austausch über die Sprachgrenzen sowie die Beschäftigung mit attraktiven Service-public-Themen. Aber gleichzeitig treibt sie mit der Beteiligung an der Werbeplattform Admeira ihre jahrzehntelange Kommerzialisierung weiter voran.

«Die SRG gibt es in 20 Jahren nicht mehr – vielleicht auch keinen Journalismus mehr, so wie wir ihn heute kennen.»

Gerhard Pfister, CVP-Präsident

Der SRG-Service public richtet sich auftragsgemäss an die Bürger von Staat und Gesellschaft. Und doch macht sie das Publikum gleichzeitig zu Konsumenten, die das SRG-Angebot mehrfach bezahlen: mit Aufmerksamkeit, Daten, den Werbungskosten im Produktpreis und schliesslich auch noch mit den Gebühren. Das untergräbt ihre Glaubwürdigkeit.

Wettbewerb und Vielfalt

Der publizistische Abbau bei den kommerziellen Privaten macht diese aber nicht zu einer attraktiven Alternative. Verleger, Vermarktungsorganisationen und ihre politischen Verbündeten reden von Wettbewerb und Vielfalt. Aber die Verlage haben den Medienmarkt weitgehend regional aufgeteilt zwischen den Grossen: Tamedia, Ringier, NZZ, AZ Medien, Somedia. Verlegerpräsident Pietro Supino erklärt die Zeitungen zu den «mit Abstand wichtigsten Medien für die demokratische Meinungsbildung in unserem demokratischen Staat». Aber in der Praxis gilt das Wort von «Tages-Anzeiger»-Autor Constantin Seibt: «Die grossen Verlage verlassen den Journalismus: Sie bauen sich in hohem Tempo in Internet-Handelshäuser um.» Dazu betreibt die Branche einen stetigen Stellenabbau, und sie fördert systematisch die «strukturelle Konzentration»: die zeitungsübergreifende Organisation von Ressorts innerhalb eines Hauses oder den Austausch von Texten zwischen Redaktionen wie etwa «Tages-Anzeiger» und BaZ. Und die deklarierte Distanz zwischen Redaktion und Werbekunden scheint auch nicht mehr für alle Verleger gleich selbstverständlich.

Schon heute muss also die SRG in manchen Regionen «subsidiär» tätig werden, das heisst: Sie muss entsprechend ihrem Auftrag in Information, Kultur, Bildung, Sport und Unterhaltung mit ihren Angeboten mehr Vielfalt herstellen. Stellt sich die Frage, was die Privaten noch wirklich «können».

Subsidiär – subventionär

Der «Markt» ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nämlich mehr eine Idealvorstellung als eine wirtschaftliche Realität. Denn wer auf dem Medienmarkt Leistungen wie die SRG erbringen will, muss viel Kapital in die Hand nehmen und seine Position über Jahre mit Verlusten aufbauen. Tamedia hat sich nicht ohne Grund von seinen Radio- und Fernsehaktivitäten verabschiedet. Die kommerziellen und die konzessionierten privaten Fernsehsender erreichen über begrenzte Sendezeiten zum Beispiel mit News durchaus ansehnliche Reichweiten und Marktanteile. Insgesamt beträgt ihr Marktanteil aber weniger als 10 Prozent, während nur schon die fünf grössten deutschen Privatsender gegen 20 Prozent des Marktes besetzen (Mediapulse, 1. Semester 2016). Selbst wenn alle gesetzlichen Schranken für Schweizer Fernsehsender beseitigt würden (was ohnehin wünschenswert ist), hätten die ausländischen Anbieter beträchtliche Vorteile bei den Marktanteilen und der Kapitalkraft.

Die Attacke auf das Fernsehen und den Service public im Besonderen kommt aber noch von anderer Seite. Kai Diekmann, Herausgeber der deutschen «Bild» hat beim Swiss Media Forum mit Begeisterung über die Filme berichtet, die «Bild» gegen Entschädigung auf Facebook platziert: «Damit kann man das Fernsehen angreifen!» Und Facebook zahlt für die Videos, die auf Facebook gepostet werden.

Private greifen unter dem Titel «Open source» nach dem Tafelsilber der SRG.

Aus dem kommerziellen Medienmarkt der Schweiz sind all die Leistungen vom Text bis zum Bewegtbild nicht zu finanzieren. Das wissen die kommerziell denkenden Privaten. Und so greifen sie unter dem Titel «Open Source» nach dem Tafelsilber der SRG. Sie wollen, dass die SRG ihre Videos – da ja aus Gebühren «bereits bezahlt» – den privaten Medienhäusern möglichst gratis zur Verfügung stellt. Das wäre dann nicht «subsidiär», sondern «subventionär»: Es würde ganz einfach bedeuten, dass sich kommerzielle Unternehmen aus der zweckgebundenen Haushaltsgebühr für den Service public einen Zustupf für ihre Marge oder ihren Unternehmensgewinn holen.

Globales Netz von Anbietern

Die wirkliche Marktmacht liegt auf dem Schweizer Medienmarkt bereits heute und in Zukunft bei Streamingunternehmen wie DAZN oder Netflix, bei Internet-Plattformen wie Amazon, Youtube und Facebook (mit zunehmend klassischen Medienaktivitäten) und bei Infrastrukturgesellschaften wie Swisscom oder UPC. UPC hat bereits den neuen Sportkanal MySports und die Aufschaltung von Netflix auf seinem Kabelangebot Horizon angekündigt. Im Hintergrund wirkt ein globales Netz von milliardenschweren Anbietern wie die Perform Group, die weltgrösste Kabelgesellschaft Liberty Global oder Discovery Communications mit den Fernsehrechten an den Olympischen Spielen von 2018 bis 2024. «Können» kommt in diesem Fall von «Kapital». Selbst die SRG kann etwa im Sport fast nur noch als «subsidiärer» Sublizenznehmer im Interesse des Schweizer Medienpublikums auftreten.

Der erste erkennbare Profiteur einer solchen Entwicklung wird kein Schweizer Medienhaus sein, sondern der Werbevermarkter Goldbach Media. In seinem Portfolio sind die Medien mit der nötigen Kapitalmacht bereits enthalten.

Schwächung des Schweizer Medienplatzes

Wer wie die Nationalräte Wasserfallen, Rutz und andere also unter dem Stichwort «Subsidiarität» die SRG demontieren und den Schweizer Medienmarkt freiräumen will, stärkt zuallererst die grossen Unternehmen des internationalen Medienkapitals, die sich die Filetstücke herausschneiden. Die «Subsidiarität» erweist sich in der Wirklichkeit des Medienmarktes als juristisch getarnte Agenda einer Lobby, die sich vom freigeräumten Markt mehr ökonomischen und/oder politischen Profit verspricht. Sie nennt das «unvermeidlichen Strukturwandel».

In Wirklichkeit ist es eine tiefgreifende Schwächung des Schweizer Medienplatzes.

Der Verfassungsartikel zur Subsidiarität ist dabei auf Radio und Fernsehen «und andere Formen der fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen» (wie etwa Online) gar nicht anwendbar. «Subsidiarität», stellt der Zürcher Medienrechtler Prof. Dr. Christoph Beat Graber diskussionslos fest, «ist ein allgemeiner Grundsatz staatlichen Handelns, der vor allem das Verhältnis zwischen den Ebenen Gemeinden/Kanton/Bund betrifft» (Art. 5a BV). Für fernmeldetechnische Medien wie Radio und Fernsehen, aber auch Online, gilt Artikel 93 der Bundesverfassung. Der Bund hat für die Rahmenbedingungen die Gesetzgebungskompetenz. Ansonsten sind «die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen und die Autonomie der Programmgestaltung … gewährleistet» (Art. 93 BV). Punkt.

Die Schwächung oder Demontage der SRG ist ganz offenkundig überhaupt kein geeignetes Mittel, um im revolutionären Übergang von der analogen zur digitalen Technologie eine entwicklungsfähige Schweizer Medienlandschaft zu erhalten. Staat und Gesellschaft der Schweiz haben gleichzeitig ein Interesse an starken, privaten Qualitätsmedien wie auch an starken öffentlichen Veranstaltern, wie es die Tradition des dualen Systems in der Schweiz will. Die publizistische Autonomie beider Bereiche muss gewährleistet sein. Aber weil sich die öffentlich und kommerziell finanzierten Medien in den gleichen digitalen Raum des Internets bewegen, muss das Mediensystem in der nächsten Etappe ökonomisch nicht als Gegensatz von Privat und Öffentlich sondern als Ganzes gedacht werden.

Die Gestaltungsgrundätze für Medien in einer freiheitlichen Gesellschaft bleiben dabei unverändert: Unabhängigkeit der Medien von politischen und wirtschaftlichen Zwängen und eine Vielfalt, in der die unterschiedlichen Interessen und Meinungen aller Gruppierungen, Schichten, Klassen in der Gesellschaft zum Ausdruck kommen können. Das bedeutet auch: ein institutionell stabiles, wirtschaftlich gesichertes System, das seine zentralen Funktionen auch in Zeiten sozialer und globaler Spannungen und Konflikte wahrnehmen kann.

1 Kommentar

Ihr Kommentar

Bitte füllen Sie alle Felder aus.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

* = erforderlich

Sicherheitscode *