Aktuell – 13.12.2018

«Die Qualität von ‹20 Minuten› ist nicht so schlecht»

Je weniger die Medien über lokale Politik berichten, desto tiefer ist die Wahlbeteiligung in den Gemeinden. Welche Auswirkungen das hat, sagt Politikprofessor Daniel Kübler im Gespräch.

Von Nina Fargahi

EDITO: Herr Kübler, wie informieren Sie sich?

Daniel Kübler: Ich lese die NZZ im Printabo, im Zug lese ich «20 Minuten». Ausserdem höre ich Lokalradio und auch das «Echo der Zeit». Ich habe aber keinen Fernseher.

Sie haben in Ihrer Studie den Einfluss von Lokaljournalismus auf die politische Beteiligung in Gemeinden untersucht. Je weniger die Medien über lokale Politik berichten, desto tiefer ist die Wahlbeteiligung in den Gemeinden. Kann man sagen, dass ohne Journalismus keine Demokratie möglich ist?

Ja, das kann man so sagen.

Warum ist der Journalismus auf Gemeinde­ebene so wichtig?

Der Journalismus ist auf allen Ebenen wichtig, aber auf Gemeindeebene manifestiert sich der Medienwandel als Erstes, weil der Lokaljournalismus oft als Erstes weggespart wird.

Mittlerweile gibt es viele regionale Online­zeitungen wie «Prime News» in Basel, «Die Ost­schweiz», «tsüri.ch» und andere.

Es kommt nicht darauf an, ob die Informationen online oder auf Papier vermittelt werden. Wir haben in der Studie die Onlineversionen auch berücksichtigt. Es kommt weniger auf die Art und Weise an, wie die Nachrichten die Leute erreichen, sondern darum, ob die Nachrichten überhaupt produziert werden.

Ersetzen die neuen lokalen Onlinemedien oder alternative Onlinekanäle die Printzeitungen nicht?

Wenn es so wäre, hätten wir in unserer Studie diesen Zusammenhang zwischen Lokalberichterstattung und politischer Wahlbeteiligung nicht finden können. Wir konnten bis jetzt empirisch keine Kompensation für den schwindenden Lokaljournalismus feststellen.

«Wäre Journalismus unwichtig, würden die Mächtigen nicht ständig so ausflippen.»

Warum reicht es nicht, wenn sich die Bewohner einer kleinen Gemeinde via Amtsblatt informieren?

Lokaljournalismus ist mehr als Behördenpropaganda. Letzteres interessiert die Leute nicht. Man greift nicht zur Regionalzeitung, weil man die letzte Rede des Gemeindepräsidenten nachlesen möchte, sondern weil man sich lebendige und kritische Berichte zum lokalen Geschehen wünscht. Und überhaupt: Es gibt Gemeinden, die mit ihren Amtsanzeigern den Lokalblättern die wenigen Werbekunden streitig machen.

Wie könnte man unabhängigen Lokaljourna­lismus fördern?

Es könnten sich zum Beispiel einige Gemeinden zusammentun und eine Stiftung gründen, die den Lokaljournalismus unterstützt, aber keinen inhaltlichen Einfluss ausübt.

Müssten nicht die Leute selbst Initiativen ergreifen, wenn die Lokalberichterstattung in ihrer Ge­mein­de schrumpft oder ausbleibt?

Das ist illusorisch. Lokaljournalismus ist ein «meritorisches Gut»: Wenn er da ist, liest man ihn, und wenn er fehlt, merkt man nicht, dass man das Bedürfnis eigentlich hätte, ihn zu lesen. Aber dafür sind die meisten Leute nicht bereit, zu bezahlen.

Zwischen den grossen Anbietern, welche immer mehr fusionieren und zentralisieren, versucht Christoph Blocher mit dem Kauf von Regionalblättern die Lücken zu füllen.

Es ist begrüssenswert, wenn sich Herr Blocher dafür einsetzt, dass lokale Titel nicht verschwinden.

Diese nutzt er allerdings zu seinen Gunsten und wohl weniger, weil ihm der Lokal­journalismus am Herzen liegt.

Er kann die Regionalzeitungen nicht als Sprachrohr der SVP missbrauchen, denn das interessiert die Leute schlicht nicht. Wenn die Regionalzeitungen gelesen werden wollen, müssen sie auf die Interessen und Anliegen ihrer Leserschaft eingehen.

Blicken wir auf die letzten Wochen in der Medienschweiz: CH Media hat angekündigt, 200 Vollzeitstellen abzubauen. Kurz davor wurde bekannt, dass die Basler «TagesWoche» eingestellt wird. Welche Auswirkungen hat diese Ent­wicklung auf die öffentliche Debatte?

Die Politik wird volatiler. Für manche Behörden wird es schwieriger, zu erfahren, was die Leute in ihren Gemeinden bewegt. Dann treffen sie Entscheidungen, die zu Unverständnis in der Bevölkerung führen können. Es findet – wie Kurt Imhof einmal schön gesagt hat – eine «Entöffentlichung» des Lokalen statt. Nicht in den grossen Städten wie Zürich, Bern, Basel – hier findet eine oft lebhafte öffentliche Debatte statt. Problematisch sind die kleinen Orte. Ich wohne in Horgen, bin aber besser darüber informiert, was in der Stadt Zürich passiert.

Es gibt auch viele Leute, die mittlerweile gar keinen wirklichen Bezug zu ihrem Wohnort haben. Stichwort Expats.

Die unmittelbaren Lebensumstände betreffen einen immer. Expats sind sogar noch mehr auf die Lokalberichterstattung angewiesen, weil sie vielleicht die Leute in der Gemeinde noch nicht kennen und ­beispielsweise wissen möchten, wie das Schulsystem an ihrem Wohnort funktioniert.

«Es ist begrüssenswert, wenn sich Herr Blocher dafür einsetzt, dass lokale Titel nicht verschwinden.»

Was sagen Sie eigentlich dazu, dass gemäss Wemf-Zahlen «20 Minuten» die meistgelesene Zeitung der Schweiz ist?

Das kann man gut finden oder nicht. Man kann sich fragen, wieso die öffentlich-rechtlichen Sender der SRG nicht das Integrationsmedium sind; interessant ist, dass es sich bei «20 Minuten» um ein privates Unternehmen handelt. Ich glaube, die Journalisten sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Die Qualität von «20 Minuten» ist nicht so schlecht.

Kurz vor der Abstimmung hat «20 Minuten» ihre Frontseite für politische Inserate verkauft, was viel Kritik auslöste. Der «Republik»-Journalist Mark Dittli twitterte: «20min gibt seine Frontseite samt Logo her für politische Hetze mit nachweislich falschen/irreführenden Aus­sagen. Und tut dann so, als diene das der ‹offenen Debatte›. Das hat null mit Demo­kratie zu tun.» Hat er recht?

Ich habe das persönlich nicht gesehen. Aber wenn die Inserate klar als solche erkennbar waren – und nicht etwa mit redaktionellem Inhalt zu verwechseln –, sehe ich kein Problem. Dass Inserate auf der Frontseite abgedruckt werden, anstatt weiter innen, finde ich schon etwas speziell. Aber grundsätzlich spielt das keine Rolle.

Würden Sie Ihren Kindern und Studenten den Journalismus als Beruf empfehlen?

Ja, auch wenn es hartes Brot ist – es ist ein relevanter Beruf. Das zeigt sich zum Beispiel in den USA, wo die Presse massiv angegriffen wird. Wäre Journalismus ­unwichtig, würden die Mächtigen nicht ständig so aus­flippen.

Daniel Kübler ist Professor für Demokratieforschung
und Public Governance an der Universität Zürich.

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