Aktuell – 17.06.2014

Die Swisscom – der neue Mediengigant

Swisscom einigt sich mit PubliGroupe und deren Grossaktionären, so die Meldung vom 17. Juni. Das läuft auf einen Kauf der PubliGroupe durch den Telekomkonzern hinaus. Der Hintergrund zu diesem Megadeal in der Schweizer Medienlandschaft. Von Markus Knöpfli

Heute geht es um Publigroupe, aber zuerst um die traditionelle Publicitas. Als PubliGroupe am 2. April mitteilte, sie werde ihr Kerngeschäft an die Münchner Beteiligungsgesellschaft Aurelius verkaufen, verstieg sich der Publizist Karl Lüönd, der derzeit für PubliGroupe die Unternehmensgeschichte aufbereitet, in der BaZ und im "Tages-Anzeiger" zu Superlativen: Von der "grössten Umwälzung im Schweizer Mediengeschäft der letzten 20 Jahre" war da die Rede, oder auch davon, dass "die Machtverhältnisse im Zeitungswesen umgewälzt" würden. Was bedrohlich klingt, ist es in Wirklichkeit nicht. Denn Publicitas besteht und funktioniert weiter, sie ist bloss in andern Händen. Kurzfristig wird sich also nicht viel ändern.
Längerfristig aber durchaus. Doch auch das ist nicht neu. Denn selbst wenn Publicitas bei der PubliGroupe geblieben wäre, stünden happige Veränderungen an, von denen einige bereits eingeleitet sind. Egal, ob früher PubliGroupe oder heute Aurelius, beide stehen mit Publicitas vor derselben Herausforderung: Letztes Jahr gingen die Anzeigenverkäufe via Publicitas um 10 Prozent zurück, bei der gesamten Presse gar um 13 Prozent. Für das laufende Jahr werden ähnliche Einbussen erwartet.

Digitale Visionen. Um das Defizit bei Publicitas zu stopfen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Runter mit den Kosten, und zwar schneller als die Print-Umsätze einbrechen. Das aber bedeutet vor allem Stellenabbau. Die zweite Variante: Die eingeschlagene Vorwärtsstrategie muss zügig realisiert werden. Publicitas will einen digitalen Marktplatz aufbauen, über den alle Werbeformen (Inserate, TV-, Radio- und Kino-Spots, Online- und Mobile-Werbung und auch Plakate) angeboten, gebucht und abgewickelt werden können. Gelingts, wäre es eine Weltneuheit. Damit entstünde aus dem einstigen Inseratevermittler ein primär technischer Dienstleister, der der gesamten Werbebranche die Arbeit erleichtert. Ob sich diese ambitionierte Vision tatsächlich realisieren lässt oder ob sich Publicitas damit übernimmt, bleibt abzuwarten. Zumal PubliGroupe-Chef Hanspeter Rohner schon seit sieben Jahren davon spricht …
Genau das ist der entscheidende Unterschied zwischen PubliGroupe und Aurelius: Letztere dürfte zielstrebiger und skrupelloser zur Sache gehen – und sie hat offenbar genug Geld zum Investieren. Aber eine gänzlich andere Strategie oder gar eine Umwälzung ist nicht in Sicht.
Was aber, wenn Publicitas auch unter Aurelius nicht reüssiert oder der deutsche Konzern das Schweizer Geschäft einstellt? Dann würde zwar eine 124-jährige Tradition beendet, doch für die meisten Verleger wäre dies keine Katastrophe mehr. Viele, auch Kleine, haben sich bereits auf dieses Szenario eingestellt – aus der Not heraus. Denn viele sagen, Publicitas sei kaum mehr aktiv für die Presse unterwegs, sondern leite bloss jene Inserate weiter, die ohnehin reinkommen. Allerdings ist auch die Funktion der Publicitas als blosser Kanal zwischen Werbekunden und Verlagen nicht zu unterschätzen: Etwa die Hälfte der Inserate in Zeitungen und Anzeigern wird nach wie vor über die Tools von Publicitas abgewickelt. Sollten diese den Mediaagenturen nicht mehr zur Verfügung stehen, würde deren Arbeitsaufwand steigen, was die Printwerbung aus ihrer Sicht unattraktiver macht. Weitere Werberückgänge bei den Verlagen könnten die Folge sein.

Verlorene Machtfülle. In ihrer langen Geschichte hatte die Publicitas, respektive deren Mutter Publigroupe, eine starke Stellung in der Verlagsbrache. Sie funktionierte als Bank für die Verleger, hielt Beteiligungen an Verlagshäusern, sorgte für Preistreue in der Branche und trat an diversen Branchenanlässen entsprechend selbstsicher bis arrogant auf. Doch diese Machtposition bröckelt seit Jahren. Alain D. Bandle, CEO der Publicitas, schätzte Mitte 2013 den Marktanteil seiner Firma im gesamten Werbemarkt noch auf 20 Prozent (davon 50 Prozent bei Print, 75 Prozent beim Kino und je 5 Prozent bei Magazinen und Online).
In den letzten Monaten haben sich aber weitere Verleger und Kinobesitzer von Publicitas gelöst. Ende 2014 wird auch die NZZ-Mediengruppe den Schritt in die Eigenregie tun. Diese Emanzipation hat allerdings auch ihren Preis: Inseratetarife gelten heute bestenfalls als Richtwert, in Wirklichkeit sind sie verhandelbar. Aber auch diese Entwicklung hat mit dem Wechsel zu Aurelius nichts zu tun.
Natürlich ist auch ein umgekehrtes Szenario denkbar: Die neue Strategie von Publicitas geht auf, der digitale Marktplatz wird unter Aurelius umgesetzt und funktioniert einwandfrei, gemäss Bandle frühestens Ende 2015. In diesem Fall – und nur dann! – könnte sich eine neue Machtkonstellation anbahnen, weil Werbeauftraggeber und Agenturen über den neuen Marktplatz ihre Kampagnen in den unterschiedlichsten Medien wesentlich leichter planen und buchen können als heute.
Dem könnten sich dann auch Medienanbieter, die heute ohne Publicitas auskommen, nicht entziehen, glaubt Bandle. Er geht davon aus, dass über kurz oder lang (fast) alle Schweizer Medienanbieter – egal ob Tamedia oder Goldbach, APG oder Kinos, vielleicht sogar die SRG – ihr Werbeinventar auf dem neuen Marktplatz anbieten werden, werden müssen! Anders gesagt: Publicitas arbeitet an einem Comeback als Monopolist – diesmal in der neuen Funktion als Marktplatzanbieter. Aurelius wird diese Rolle zweifellos nach Kräften fördern.

Der Verkauf von PubliGroupe Die PubliGroupe-Aktionäre haben dem Verkauf der Publicitas bereits zugestimmt. An weiteren Investitionen sind sie nicht mehr interessiert.
Für die Rest-PubliGroupe waren bis gestern vier Varianten offen. Seit dem 17. Juni scheint aber klar, dass das Unternehmen von der Swisscom für 214 Franken pro Aktie gekauft wird. Dies empfiehlt der PubliGroupe-Verwaltungsrat den Aktionären. Interessiert war auch Tamedia, welche aber «nur» 190 Franken pro Aktie geboten hatte. Die Aktionäre müssen jetzt je für sich entscheiden, ob sie der Empfehlung folgen wollen oder nicht. Entsprechend behalten sie ihre Aktien oder sie verkaufen sie. Drei Grossaktionäre – Erbengemeinschaft Alfred Borter (11,4% Beteiligung), Jean-Robert Gerstenhauer Stiftung (12,9%) und Consuela Stiftung (1%) – haben sich bereits verpflichtet, an Swisscom zu verkaufen. Und klar war bereits vorher: Die 25 Prozent-Beteiligung an der NZZ-Tochter FPH ("St. Galler Tagblatt" und "Neue Luzerner Zeitung") geht für 53 Millionen Franken an die NZZ-Gruppe. Dies haben NZZ, PubliGroupe und Tamedia vereinbart. Und Swisscom ist damit einverstanden. Ähnlich dürfte es auch um die 20 Prozent-Beteiligung bei Südostschweiz Presse/Print und die 29 Prozent-Beteiligung bei der Hersant-Tochter SNP ("L’Express" und "L’Impartial") stehen. Denn das Abstossen dieser Beteiligungen war von PubliGroupe längst geplant. Damit ist nun die Zeit definitiv vorbei, in welcher Publicitas/PoubliGroupe bei den Verlagsstrategien mitreden konnte.
Entscheiden sich auch die übrigen Aktionäre für den Verkauf ihrer PubliGroupe-Aktien an die Swisscom, dann erhält diese Käuferin 49 Prozent am Adressverzeichnis local.ch sowie 47,5 Prozent beim europäischen Werbenetzwerk Zanox und noch weitere Firmen: So Spree7 und Improve Digital, die unter anderem Onlinetools für den Publicitas-Marktplatz bereitstellen. Und auch die 100 Prozent-Beteiligung an der Denon AG, die unter anderem persoenlich.com betreibt, ein Portal der Werbe- und Kommunikationsbranche. Offen ist, was davon weiterverkauft würde.
Klar ist nur: Swisscom, die schon 51% von local.ch mit seinen monatlich 2,31 Millionen Nutzern besitzt, ist vor allem an einer vollständigen Kontrolle über das Suchportal interessiert. Auch Tamedia, der der local.ch-Konkurrent search.ch (2,34 Millionen Nutzer) gehört und die als grösste PubliGroupe-Aktionärin 17.6 Prozent der Aktien hält, wird nicht leer ausgehen. Denn Tamedia und Swisscom hatten sich schon vor einigen Tagen geeinigt, dass sie die Unternehmen Local.ch und Search.ch in eine gemeinsame Tochtergesellschaft einbringen werden. Damit kommen die beiden Partner in diesem Segment zusammen und überschneidungsfrei auf monatlich 3,4 Millionen Nutzer oder 60 Prozent aller Schweizer Internetuser. Diese Machtballung rechtfertigt Tamedia damit, dass sich search.ch und local.ch gegen internationale Player wie Google behaupten müssten.
Die Übernahme der PubliGroupe durch Swisscom wie auch die Partnerschaft zwischen Swisscom und Tamedia bei local.ch/serach.ch müssen aber noch durch die Wettbewerbsbehörde WEKO genehmigt werden.

Markus Knöpfli ist freier Journalist in Basel.
Dieser Text erschien in leicht veränderter Version im gedruckten Heft von EDITO +Klartext mit Redaktionsschluss am 26. Mai

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