Aktuell – 12.06.2014

Eine neue NZZ in Vorbereitung

Die NZZ prüft offenbar eine völlige Neukonzeption ihrer Tageszeitung. Und sie befragt dazu intensiv ausgewählte Leserinnen und Leser. Wie sieht der Entwurf für eine neue NZZ aus? Von Max Trossmann und Philipp Cueni

Bisher stand im Titelkopf der NZZ: "Zeitung für die Schweiz". Neu steht dort "Hintergrund  Analyse  Meinung". Und das beschreibt eigentlich schon den Kern des neuen Konzepts: Zwar kommt diese neue NZZ weiterhin als Tageszeitung heraus, aber sie erinnert eher an eine Wochenzeitung wie DIE ZEIT.

Bisher wurde die NZZ immer langsam und sachte verändert – deswegen auch der Übername "alte Tante". Mit Blick auf diese Geschichte wäre diese Veränderung schon fast eine grössere Revolution. Für den einen Autor dieses Artikels sind die Veränderungen denn auch auffällig und massiv. Und er reagierte zuerst einmal positiv. Ein jüngerer Kollege, passionierter NZZ-Leser und früherer Journalist, fürchtet um seine gewohnte Tageszeitung und bewertet den neuen Auftritt eher negativ. Ihm fehlen die kurzen Texte, die qualifizierte Auswahl zur Chronik des Geschehens. Der zweite Autor dieses Textes, ein kürzlich pensionierter Journalist und erfahrener Blattmacher, beurteilt die Veränderungen als gar nicht so gross. Die Bewertungen sind also überraschend unterschiedlich. Was also sagen die Fakten?

Die NZZ hat das Institut LINK beauftragt, eine Abonnentenbefragung durchzuführen: Die Leserinnen und Leser sollen "eine mögliche Variante einer zukünftigen NZZ" beurteilen. Wer sich auf die Befragung eingelassen hatte, musste sich etwa eine halbe Stunde Zeit nehmen, um die detaillierte Online-Befragung zu beantworten. Dazu hatte er eine Ausgabe der NZZ vom 6. Februar erhalten, wie es sie sonst nicht gibt. Das ist eine gedruckte, vollständige Ausgabe mit allen Bünden inklusive Anzeigen, TV-Programm und Wetter – wie "normal" eben, nur anders.

Der erste Eindruck: Ein weitgehender Verzicht auf die Chronistenpflicht – die soll vielleicht die Onlineversion erfüllen. Sozusagen alle Kurzmeldungen entfallen, es bleiben längere Texte als Berichte, Analysen und Kommentare. Damit enthält die Zeitung weniger Themen, bietet aber mehr Vertiefung. Gleich auf Seite 3 (nach einer nicht klar definierten Seite 2) "IM FOKUS" mit grossem Titel, luftigem Lead, grossem Bild und einem langen Text. Auch Seite 5 "INTERNATIONAL" nach gleichem Schema, die Seiten 6 + 7 gar als Doppelseite mit einem riesigen Panoramabild über alle Spalten hinweg ebenso monothematisch. Mehr als zwei  Themen gibt es pro Seite nicht mehr. Am Ende des ersten Bundes dann die Seite 12 "NACHRICHTEN GLOBAL" mit neun Meldungen zu "International", "Schweiz" und "Wirtschaft" – ein Versuch, doch noch eine Handvoll wichtiger Meldungen vom Vortage unterzubringen.

Der NZZ-Entwurf weist neu vier (bisher drei), aber schlankere Bünde auf. Im zweiten sind SCHWEIZ (auch mit einem einseitigen Aufmacher), ZÜRICH und SPORT untergebracht, im dritten WIRTSCHAFT, im vierten FEUILLETON sowie MEINUNG+DEBATTE. MEINUNG+DEBATTE ist neu auf vier Seiten ausgelegt (bisher meistens zwei) – auch so wird die Orientierungs- und Diskursfunktion betont. Die ganze Zeitung wird mit 48 Seiten vorgestellt. Offen bleibt, wo zusätzliche Anzeigen und Special-Seiten (wie MEDIEN oder WISSENSCHAFT) untergebracht und ob weiterhin Beilagen wie OUTDOOR oder REISEN produziert werden.

In diesen Bünden zwei bis vier finden sich ganz selten auch kürzere Texte und zum Teil wird auch zur Tradition der Berichterstattung zurückgekehrt – etwa (ausgerechnet) mit einem Bericht zu einem Fussballspiel.

Was übrigens auch jeglicher Logik widerspricht: Wenn die Zeitung davon ausgeht, dass sich das Publikum über News vermutlich via Online oder Radio/TV informiert, dann ist nicht nachvollziehbar, warum man dennoch an den Traditionen des Wetterberichts und des TV-Programms festhält.

Der Trend zu Hintergrund, zum längeren Stoff und grösserem Bild, wird durch eine Renovation des Layouts verstärkt: Mehr Weissraum (manchmal ganze Spalten textfrei mit Ausnahme eines Quotes oder Umlauftitels), viel Raum unter den Bildern sowie bei Titel und Lead. Keine Spaltenlinien mehr innerhalb der Artikel, sie trennen nur noch ganze Artikel voneinander. Alle Titel und Untertitel sind linksbündig, zuvor standen sie auf Mittelachse. Zudem sind sie etwas grösser und stärker durchschossen. Autor, Zwischentitel und Legenden sind neu in Groteskschrift (ohne Serifen). Mehr Raum umgibt auch die Zwischentitel im Text. Grösser sind auch die Rubriktitel im Seitenkopf. All das wirkt luftiger.

Und die NZZ soll nochmals etwas farbiger werden: Die meisten Zusatzelemente (Boxen, Hinweise, Grafiken) stehen neu auf dem schon bisher verwendeten Blaugrau. Grafiken und Tabellen scheinen etwas stärker in der Farbverwendung, sie sind so besser lesbar. Allerdings gibt es vereinzelt auch das bisherige Graubeige noch als Hintergrund. Ganz sparsam setzt die NZZ neu ein gebrochenes Rot ein (Seitenverweise in den Kopfanrissen der Front, die Obertitel auf der neuen Seite "Nachrichten Global"). Sogar ein Zartrosa ist einem Textkasten unterlegt.

Was bleibt? Die Grundschrift in der Grösse und gleich durchschossen wie bisher. Der 5-spaltige Blockumbruch, im Feuilleton der 4-spaltige, aufgelockert wie gesagt da und dort durch die freie Spalte.

Grosse und sehr grosse Fotos gab es schon bisher – trotzdem fallen sie in dieser neuen NZZ eindeutig mehr auf und werden für den Betrachter fast zum optischen Führer durch die Zeitung.

Auf der FRONTSEITE fällt als Verweis auf eine Reportage im Innenteil die Titelei auf, welche in das Fotobild eingepasst ist  – formal vielleicht ein Hinweis auf den leicht magazinigen Charakter der Zeitung. Neu auch drei deutliche Kopfanrisse (z.T. bebildert). Drei Texte sind auf der Front zu finden: Eine Kurzmeldung, ein Themenanriss und ein längerer Artikel.

Mit dem Setzen auf längere Texte, auf Hintergrund und Kommentar, braucht es vermehrt Autorinnen und Autoren, welche in grösseren Bögen schreiben können, welche Hintergrundwissen einbringen und Analysen vornehmen können. Als Beispiele mögen die drei ersten Texte ab Seite 3 dienen: Eine Analyse der Transformation in den ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas, zu den Gouverneurswahlen in Tokio ein Hintergrund zu den politischen Schwergewichten Japans, und ein Text zu häufigen Selbstmorden junger Frauen in Afghanistan als Folge des Zusammenpralls neuer Lebensweisen und alter Bräuche.

Bettina Schibli, Leiterin Unternehmenskommunikation NZZ, bestätigt gegenüber edito.ch, dass bei der NZZ neue Konzepte getestet werden und dabei die Erwartungshaltung an die gedruckte Zeitung neu definiert werde: sie müsse "stärker denn je einordnen und kommentieren, die reine Nachrichtenvermittlung rückt dagegen in den Hintergrund." Denn die NZZ setze "konsequent auf die Digitalisierung ihrer Inhalte über 7 Tage à 20 Stunden. Entsprechend muss die nur einmal in 24 Stunden erscheinende Print-Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» verstärkt die Rolle des "Ankers im reissenden Nachrichtenfluss" wahrnehmen".

Auf wann eine "neue NZZ" realisiert werde, dazu behält sich die NZZ bedeckt: Man arbeite an Entwürfen und Konzepten und teste diese breit im Markt: "Wir erhalten reges und sehr aufschlussreiches Feedback von den Befragten. Ob und wann allenfalls eine so weiterentwickelte Print- und Replika-Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» umgesetzt wird, ist aber noch völlig offen."

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1 Kommentar

#1

Von Hans Moser
21.06.2014
Angesichts des brutalen Wettbewerbs in der Medienbranche ist verständlich, dass sich auch die NZZ bemüht, ihr Auftreten so zu gestalten, dass sie für den unbefangenen Leser attraktiver wirkt. Ob dies den treuen Stammkunden und Abonnenten zusagt, muss man sich aber auch fragen. Es ist durchaus möglich, dass man letzten Endes mehr verliert als gewinnt.

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