Aktuell – 19.04.2013

Erich Gysling zum Schweizer Medienpreis an Arnold Hottinger

Der Lifetime Achievement Award beim Schweizer Medienpreis geht an Arnold Hottinger . Er hat sich dem Druck nach Aktualität entzogen – und hat als Journalist Massstäbe gesetzt. Erich Gysling hat an der Preisverleihung in Bern die Laudatio gehalten. Ein Plädoyer für engagierten und hintergründigen Journalismus.

Er ist ein unermüdlicher Kämpfer gegen Vorurteile, gegen Oberflächlichkeit, gegen Clichées, gegen historische Verzerrungen, gegen Manipulationen – und ein ebenso unermüdlicher Kämpfer für Menschlichkeit, für Verständnis, für Fairness, für Gerechtigkeit. Er ist auch ein Lehrer – ein Lehrer allerdings, der nicht daran glaubt, andere belehren zu können, sondern der sich auf das Wesentliche konzentriert, der Hintergründe ausleuchtet, Zusammenhänge verständlich macht. Und er ist ein bisweilen auch scharfer Kritiker – ein Kritiker Jener vor allem, die glauben, der Westen habe letzten Endes immer recht und dessen Werte über jene anderer Kulturen, anderer Zivilisationen stellen.

Wir alle verdanken Arnold Hottinger unendlich viel Wissen über die arabische und in weiterem Sinne über die islamische Welt. Während Jahrzehnten durch seine Beiträge in der Neuen Zürcher Zeitung und im Radio, dann auch durch seine Bücher, die für Jeden, der sich für den Nahen und den Mittleren Osten interessiert, zu Referenzwerken geworden sind. Wer nicht nur an der Oberfläche bleiben will, MUSS mindestens seine Bücher "Islamische Welt" und "Die Länder des Islam" gelesen, und gründlich gelesen, haben. Und wer Analysen, Background zu den jetzigen Veränderungen in der arabischen Welt erfahren will, sollte Hottingers Beiträge auf der Internet-Plattform "Journal 21" beachten. Verfasst sind sie von einer Persönlichkeit, die sich auf der Visitenkarte mit grandiosem Understatement als "Retired Middle East Correspondent" bezeichnet – eine Formel, hinter der, zumindest im deutschsprachigen Raum, der kenntnisreichste, erfahrenste Publizist in Sachen Berichterstattung und Analyse der nah- und mittelöstlichen Welt steht. Und auch das ist wesentlich: Arnold Hottinger interessiert sich nicht einfach für die Politik und die Politiker, sondern auch, nein vor allem, für die von politischen Entscheidungen betroffenen Menschen.

Ich verfolgte Hottingers Berichte in der NZZ und am Radio schon seit dem Beginn der sechziger Jahre, als ich, zehn Jahre jünger als er, in den Bereich Aussenpolitik im Journalismus einstieg. Damals wurde in Kollegenkreisen mit Bewunderung mitverfolgt, wie er sich dem – bereits in jenen Jahren vorhandenen – Druck zur Hetze nach Aktualität, nach dem "Primeur", entzog, sich beispielsweise für Wochen von Kontakten mit der Redaktion verabschiedete, indem er auf (so erschien es uns zumindest) echt riskante Weise mit jemenitischen Kämpfern durch die Wüste zog. Das tat er nicht aus irgendwelchen abenteuerlichen Gelüsten heraus, sondern schlicht deshalb, weil er WISSEN wollte, was die Menschen dort bewegte, was sie dachten, was sie motivierte. Er war mit seinen Publikationen (das weiss er vielleicht gar nicht) einer der Gründe, weshalb ich selbst mich in die arabische und später die Sprache Irans, des farsi, einarbeitete, und ich war – bin es rückblickend noch immer – sehr glücklich darüber, dass ich mit ihm zusammen in den 90er Jahren an einem Buch mitwirken konnte. Auch da lernte ich von ihm wieder unendlich viel.

Aber vielleicht erlauben Sie mir auch eine kleine Nebenbemerkung, und sie ist vielleicht sogar ein wenig indiskret. Wir hatten einmal gemeinsam einen Interview-Termin beim damaligen jordanischen König Hussein, und Arnold Hottinger war, in Kollegenkreisen, für ein bestimmtes Arbeits-Accessoire, eine rote Plastik-Tasche, bekannt. Die nahm er auch zum Termin mit dem König mit – ja nicht nur zu ihm, sondern auch noch zum nachfolgenden Gespräch mit Königin Nuur. Sie im blauen Kleid auf dunkelroten Pseudo-Barock-Sesseln, Arnold Hottinger daneben mit der roten Plastik-Tasche… Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: ich bewunderte, bewundere ihn nach wie vor, dafür: Etikette galt ihm wenig, er wollte nur Eines: Substanz. Die Königin blickte übrigens total cool über die Plastik-Tasche hinweg.

Dass Du, lieber Arnold Hottinger, heute den "Reinhardt von Graffenried Lifetime Achievement Award" erhältst, erfüllt mich mit grosser Freude. Und ich danke Dir dafür, dass Du uns, auch mir, durch Deine Arbeit, durch Deine Persönlichkeit, so viel gegeben hast und weiterhin gibst.

Arnold Hottinger, *1926,  war von 1961 bis 1991 Nahost-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung", erst mit Sitz in Beirut, später in Madrid und ab 1982 in Nikosia. Er berichtete auch für Radio DRS ("Echo der Zeit") sowie andere Radiostationen und publizierte in Zeitschriften. Arnold Hottinger hat mehrere Bücher geschrieben. Der 87-Jährige lebt heute in Zug und ist nach wie vor ein gefragter Experte. Seine aktuellen Artikel sind online im "Journal21" zu lesen.

Erich Gysling, *1936, wurde 1964 Leiter der Tagesschau-Redaktion bei SF DRS, 1968 Mitbegründer der Sendung Rundschau. Ab 1972 leitete er für zehn Jahre die Ausland-Redaktion der Weltwoche,  1982 Rückkehr zum Schweizer Fernsehen, ab 1985 Chefredaktor und Leiter der Tagesschau, 1990 Leitung der Rundschau, von 1994 bis 1996 Chefkommentator für politische Ereignisse. Seither arbeitet er freiberuflich.

 

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