Aktuell – 27.11.2013

Journalismus vor dem roten Vorhang

 

Ein platschvoller Saal im Neumarkttheater Zürich. Nichts Spektakuläres: Sechs Personen sitzen an einem Tisch und diskutieren Und es geht einzig um Journalismus. Die Journalismusdebatte lebt offensichtlich. Dabei kommt auch der Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz. Dafür sorgt schon der Hauptprotagonist des Abends, Constantin Seibt, mit seinem speziellen Slang. Der Journalist des Tages-Anzeigers hat das Buch "Deadline" publiziert – und das ist der Anlass des Abends.

Es gehe um die Angst, so Seibt, als Journalist eine Leiche zu produzieren. Angesichts der Strukturkrise der Medien brauche es neue Konzepte. "In der Chefetage findet man dazu kaum Interesse". Also lanciert Seibt die Debatte an der Basis.

Unter welchen Bedingungen hat Journalismus in Zukunft eine Chance? Michèle Binswanger (Tages-Anzeiger) blieb nüchtern: denn unabhängig von Verteilersystemen und Geschäftsmodellen, "Schreiben bleibt Schreiben, Journalismus bleibt Journalismus". Aber sie forderte im Journalismus mehr Haltung ein. Haltung sei nicht "Meinung" – "journalistische Haltung heisst, dass man fürs Publikum nicht berechenbar wird". Die Debatte am Theatertisch drehte um die bekannten Fragen: liegt die Zukunft im Online-Journalismus – und wie unterscheidet sich dieser überhaupt vom traditionellen Journalismus? Geht es um Distributionsformen, um Geschäftsmodelle oder um Inhalte? Bringt die Paywall etwas? Wie wichtig sind social media und Publikumskontakte? Und soll das Publikum die Themen bestimmen – und was heisst dann "Relevanz" noch?

Daniel Binswanger (Das Magazin) kritisierte den Klickzahlen-Fetischismus. "Das zerstört jeden Ansatz zu einer journalistischen Haltung". Roger Schawinski kritisierte die Tamedia: "Die Tamedia beherrscht den Markt, aber der Markt bricht zusammen." Christof Moser (Schweiz am Sonntag) fordert gute Rahmenbedingungen für die Arbeit, "die Struktur kann einem das Genick brechen". Und er fordert dazu auf, über social media und vor Ort vermehrt den Kontakt mit dem Publikum zu suchen. "Journalisten sollten verpflichtet sein, 50 Prozent ihrer Arbeitszeit nur nachzudenken, und aus den Redaktionstuben hinaus zu den Leuten zu gehen".

Michèle Binswanger fordert mehr Mut zu neuen Wegen, warnt aber auch vor "linearem Denken": Lösungen sieht sie in einer Mischung von verschiedenen Ansätzen. Peter Hogenkamp, der Online-Stratege (noch NZZ), ist überzeugt, dass sich im Online-Bereich noch tolle Chancen auftun werden. Und empfiehlt sonst ganz einfach "selber zu schreiben – allenfalls auch eine eigene comunity zu gründen".

Daniel Binswanger zeigt sich am Schluss der Debatte etwas irritiert "wenn an einer solchen Diskussion mit Pathos gefordert wird, dass der Journalist mehr nachdenken müsse. Sind wir tatsächlich soweit gekommen?"

Master of ceremonie, Constantin Seibt, stellte am Schluss fest, dass hinter den journalistischen Leistungen erstaunlich viele Rezepte stehen. "Es wurde derart viel diskutiert, dass jetzt vielleicht niemand mehr weiss, wohin es geht." "Man sollte nie aufgeben" antwortete Michèle Binswanger – und sie meinte dies weder zynisch noch resignativ. Tatsächlich hatte die Diskussionsrunde etwas konstruktives und ehrliches. Denn sie vermied es, die an Verlegertagungen üblichen Rettungsbotschaften zu verkünden – die sich dann alle sechs Monate wieder ändern.

Die Probleme der Journalismusbranche sind offensichtlich, niemand kennt die Lösung – soweit waren sich zwar alle einig. Dennoch kam bei allen Gesprächsteilnehmer-innen die Lust am Journalismus herüber. Natürlich auch bei Constantin Seibt. Nur, zum Teufel, welche Vorschläge hat denn der Buchautor? "Es ist ein charmantes und intelligentes Buch", warb Seibt. "Wie man besser schreibt" verspricht der Buchtitel. Also Lesen!

Und offenbar ist doch auch die Chefetage interessiert: "Wir werden Constis Empfehlungen zum Lokaljournalismus umsetzen" sagte Tagi-Chefredaktor Res Strehle bei der Begrüssung."

Und wir werden das beobachten.

(Constantin Seibt: DEADLINE – Wie man besser schreibt. Verlag Kein & Aber. – Diskussion im Theater Neumarkt vom 26. November 13.)

 

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