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Aktuell – 23.09.2019

«Die New York Times hat der Meinungsäusserungsfreiheit einen herben Schlag versetzt»

Auch Karikaturistinnen und Pressezeichner sind von der Medienkrise betroffen. EDITO schaut auf die Veränderungen und nach möglichen Perspektiven.

Von Eva Hirschi

Medienkonzentration, Zeitdruck, Sparrunden: Nicht nur Journalistinnen und Fotografen stehen zunehmend unter Druck, auch für Pressezeichnende hat sich der Beruf über die letzten Jahrzehnte stark verändert. Eine kleine Umfrage zeigt: In der Schweiz ist fast kein Pressezeichner oder fast keine Karikaturistin Vollzeit angestellt, die meisten werden pro Zeichnung bezahlt. Zuletzt hat der politische Karikaturist Tom Künzli mit der eingestellten TagesWoche seinen fixen Platz verloren. Zudem hat der Tages-Anzeiger die Seite «Bellevue» abgeschafft, wo unter anderem Cartoons von freien Pressezeichnenden publiziert wurden. Die Inhalte würden zwar im Züritipp «organisatorisch vereint», was aber Umfang und Frequenz angehe, sei im Moment alles noch unklar.

Ausschliesslich von Pressezeichnungen kann kaum jemand mehr leben. Dies betrifft selbst bekannte Grössen wie Pitch Comment – «und dies, obwohl ich für mehrere Wochenzeitungen und Magazine arbeite», wie der Jurassier sagt. Er stellt fest, dass die Bezahlung in den letzten Jahren schlechter geworden ist. Eine Zeitung habe sein Honorar pro Zeichnung gar um einen Drittel gekürzt – obwohl er seit knapp zehn Jahren für sie arbeite. Wie viele andere ergänzt auch er seine Arbeit mit Aufträgen aus der Privatwirtschaft, etwa von Werbeagenturen.

«Angesichts heftiger Kritik wirken viele Medien wie paralysiert, der Umgang mit sozialen Netzwerken ist sehr unreif.»

Es gibt sie aber, die unabhängigen Satirezeitschriften wie Nebelspalter in der Deutschschweiz oder Vigousse in der Romandie. Doch sie kämpfen mit ähnlichen Problemen wie die Nachrichtenpresse, auch wenn sie als Kulturgut einen speziellen Status und Unterstützung von Mäzenen geniessen. «Wir haben zwar eine konstante ­Leserschaft, allerdings werden die Produktionskosten immer höher», sagt Stéphane Babey, Chefredaktor von ­Vigousse. Eine digitale Strategie wolle man allerdings nicht fahren: «Bei uns gibt es eine klare Nachfrage nach einem Printprodukt.»

Auch Marco Ratschiller, Chef­redaktor des Nebelspalter, geht nicht davon aus, dass es sein Magazin in Zukunft nur noch online geben wird, trotz grosser Konkurrenz durch virale Memes oder Cartoons: «Newsportale wie Watson bringen heute klickstarke Beiträge, indem sie kostenlos satirische oder witzige Reaktionen zu aktuellen Themen aus Twitter und Instagram zusammentragen und einbetten – zum Nulltarif. Dagegen ist mit unseren Produktionsmitteln nicht anzukommen», sagt Ratschiller. «Zugleich möchten wir nicht dasselbe tun, also Netzfundstücke und Arbeiten Dritter bei uns zu Markte tragen.»

Für ihn können gute Karikaturisten ein Identitätsmerkmal für die Medienmarke sein, wie etwa Felix Schaad beim Tages-Anzeiger oder Alexandre «Alex» Ballaman bei La Liberté: «Für mich bleibt ein Rätsel, warum Schweizer Chefredaktoren zwar registrieren, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Leserschaft sinkt und diese immer gezielter visuell getriggert werden muss, aber die dafür wie geschaffene Kurzform der Karikatur dann doch so stiefmütterlich behandelt wird.

Gute Karikaturen sind beste Werbung für ihre Zeitungen und gehen nicht selten viral», sagt Ratschiller. Zudem sähen gedruckte Zeitungen ihre Zukunft seit Jahren vor allem in Hintergrund und Einordnung; «gute Karikaturen sind dabei die sträflich vernachlässigte, ideale Kurzform für Kommentarspalten.»

Wachsende Selbstzensur. Bei zunehmender Medienkonzentration auf Online-Formate auszuweichen, ist aber schwierig. Die Digitalisierung empfinden Pressezeichnende als zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ermögliche sie zwar eine grössere Reichweite für die Zeichnungen, auf der anderen Seite impliziere sie aber auch eine Gratiskultur. Ruedi Widmer, Pressezeichner unter anderem für den Tages-Anzeiger, sagt dazu: «Als Cartoonist erreicht man via Social Media auch ein Publikum, das nicht mehr klassische Zeitungen liest oder ausserhalb des Verbreitungsgebietes einer Zeitung lebt. Allerdings ist es wie im Journalismus schwierig, online wirklich Geld zu verdienen.»

Der Druck sei zudem nicht nur auf wirtschaftlicher Seite präsent, sagt Pascal Pellegrino, Direktor des «Maison du Dessin de Presse» in Morges, wo seit 2009 jährlich drei bis vier Ausstellungen mit nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern stattfinden. Er stellt eine zunehmende Tendenz zur Selbstzensur fest: «Wir befinden uns in einer Zeit der politischen Korrektheit. Es ist schwierig geworden, sich so unabhängig auszudrücken wie vorher.»

Er habe den Eindruck, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch einen Einfluss auf die Meinungsäusserungsfreiheit hätten: «Kann ein bei Tamedia angestellter Karikaturist eine kritische Zeichnung über sein Verlagshaus machen? Ich weiss es nicht, aber ich stelle mir die Frage.»

Grafikerin und Pressezeichnerin Caroline Rutz sieht in der Digitalisierung ein weiteres Problem: Die Verantwortung. Da eine Zeichnung durch das Internet und die sozialen Medien rund um die Welt reise, könne man nicht mehr kontrollieren, wie die Zeichnung verwendet oder verstanden werde. «Einige Redaktionen verzichten deshalb lieber auf Pressezeichnungen, weil sie Angst vor möglichen Reaktionen haben», sagt Rutz.

«Sobald sie erfahren, dass man dafür bezahlen muss, sind sie überrascht und wollen nicht abonnieren.»

 

Ein Beispiel sind die Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris im Januar 2015, aber auch die im Juni gefällte Entscheidung der New York Times, keine politischen Pressezeichnungen mehr zu publizieren. Diesem Entscheid vorausgegangen war eine umstrittene Karikatur eines portugiesischen Pressezeichners über Benjamin Netanjahu und Donald Trump, die als antisemitisch kritisiert wurde und auf Social Media einen Shitstorm verursachte. Die New York Times entschuldigte sich, löschte das Bild und beendete die Zusammenarbeit mit der externen Agentur, von der das Bild stammte. Wenige Wochen später fiel der Entscheid, gar keine politischen Presszeichnungen mehr zu publizieren.

Davon betroffen war auch die Stelle des Schweizer Pressezeichners Patrick Chappatte. «Die New York Times hat damit der Meinungsäusserungsfreiheit einen herben Schlag versetzt», sagt er. Offiziell begründet die amerikanische Zeitung ihren Entscheid zwar nicht als Konsequenz der erwähnten Karikatur, doch Chappatte sieht das anders: «Dann frage ich mich, warum ich nur eine Woche vor der erwähnten Publikation der unglücklichen Zeichnung eine Glückwunsch-Nachricht des Verlegers erhalten habe, als ich mit dem 3. Preis des ‹Overseas Press Club Award› ausgezeichnet wurde – eben gerade für meine Karikaturen in der New York Times.»

Ausserdem wurden seine Zeichnungen seit letztem Jahr auch für die spanische und chinesische Ausgaben der New York Times übersetzt. «Es machte also den Anschein, als würden sie an Pressezeichnungen glauben und sie ausbauen wollen.»

Chappatte sieht das Problem allerdings nicht primär in der Digitalisierung, sondern in der Handhabung von Social Media: «Angesichts heftiger Kritik wirken viele Medien wie paralysiert, der Umgang mit sozialen Netzwerken ist sehr unreif. Es ist nicht das erste Mal, dass grosse Medienhäuser zurückweichen, sobald ihre Inhalte auf Kritik stossen.»

Ein ähnlicher Fall scheint sich in Kanada abgespielt zu haben, wo drei Trump-Karikaturen des Cartoonisten Michael de Adder viral gingen und ihm daraufhin die Zusammenarbeit mit Brunswick Media gekündigt wurde – nach 17 Jahren.

Im digitalen Zeitalter angekommen. Doch auch Pressezeichnungen versuchen sich neu zu erfinden. Die Berner Zeitung experimentiert zurzeit mit animierten Zeichnungen im Web. Nebelspalter-Chefredaktor Ratschiller könnte sich eine neue Art von Infografiken vorstellen: «Während Satiresendungen im Fernsehen zunehmend auch gleich die Informationen mitvermitteln und ganze Themen durchleuchten, wäre ähnliches auch im Print denkbar: witzig-satirische Infografiken etwa könnten dankbare Leser erreichen.»

Pressezeichner Ruedi Widmer sieht Potential in einer neuen Art von Live-Karikatur: «Im Moment scheint mit Liveauftritten und Cartoonlesungen, die auch in Richtung Spoken Word gehen, eine neue, durchaus einträgliche Kommunikationsform mit dem Publikum zu entstehen.»

Ein rein digitales Medium ausschliesslich für Pressezeichnungen schuf der Jurassier Luc Schindelholz mit der kostenpflichtigen App La Torche 2.0 im Oktober 2017. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um die weltweit einzige App für Lokalsatire. Für jeden Westschweizer Kanton publizieren Teams aus Journalismus und Pressezeichnung zu aktuellen Lokalthemen kurze Texte mit satirischen Illustrationen.

«Mein Ziel ist die Verteidigung von Pressezeichnenden mit einem innovativen und unabhängigen Format», sagt Schindelholz. Das Feedback sei sehr positiv, doch trotz günstigen Preisen (60 Franken im Jahr pro Region oder 140 Franken für das gesamte Angebot) liegen die Ergebnisse noch hinter den Erwartungen und der Möglichkeit, den Zeichnenden das von der Gewerkschaft empfohlene Mindesthonorar zu bezahlen. «Ehrlichgesagt habe ich mehr Abonnements erwartet», sagt Schindelholz eineinhalb Jahre nach der Gründung.

Für den Journalisten und Lehrer liegt einer der Schwierigkeiten darin, die junge Generation zu erreichen: «Es gibt viele Jugendliche, die die Idee toll finden, wenn ich ihnen von La Torche erzähle. Aber sobald sie erfahren, dass man dafür bezahlen muss, sind sie überrascht und wollen nicht abonnieren.»

Genau da sieht Schindelholz das Hauptproblem für Pressezeichnungen, aber auch für andere Medienprodukte: «Man muss den zukünftigen Generationen beibringen, dass Information, aber auch die Verteidigung der Meinungsäusserungsfreiheit einen Preis hat.»

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