17. Januar 2005 von Bettina Büsser

“Ich entscheide hie und da auch gegen die reine ökonomische Vernunft”

Mathis Lüdin, Verleger der “Basellandschaftlichen Zeitung”, über die Optionen eines Unabhängigen, die Konsequenzen einer Familientradition und den Zustand des Verlegerverbands.

Klartext: Herr Lüdin, wie gefällt es Ihnen, wenn die Publicitas Liestal mit dem Slogan “Basellandschaftliche Zeitung. Die Tageszeitung der Basler Goldküste” wirbt?
MATHIS LÜDIN: Ich war an der Entwicklung dieses Slogans beteiligt. Die Grundidee war, der restlichen Schweiz beizubringen: Es gibt in der Region Basel auch so etwas wie eine Goldküste und die liegt in Baselland. Man weiss zu wenig Bescheid über unsere Gegend, denkt immer nur an Baselstadt. Aber Baselstadt hat rund 180’000 Einwohner und Einwohnerinnen, Baselland etwa 240’000.
Klartext: Wird Ihnen beim Begriff “Goldküste” nicht Angst und Bange? Um die Zeitung an der Zürcher Goldküste, die “Zürichsee-Zeitung”, tobt momentan eine Art Übernahmekampf.
LÜDIN: (lacht) Das hat mit der Zürcher Goldküste nichts zu tun. Es geht darum zu zeigen, dass wir eine überdurchschnittlich kaufkraftstarke Region sind und dass man deswegen für eine nationale Werbekampagne auch die “Basellandschaftliche Zeitung” belegen muss.
Klartext: Der Fall “Zürichsee-Zeitung” zeigt, dass “Landzeitungen” Begehrlichkeiten auf sich ziehen. Übernahmen oder zumindest Kooperationen sind ein Thema – auch bei Ihnen?
LÜDIN: Im Moment gebärdet sich die PubliGroupe ein bisschen medienpolitisch, will den Medienmix in der Schweiz beeinflussen. Sie hat die Beteiligung der NZZ an den Zürcher Landzeitungen ermöglicht – aber bei mir besteht diese Gefahr nicht. Im Unterschied zu diesen Zürcher Zeitungen sind wir total unabhängig von der PubliGroupe, sie ist nicht an uns beteiligt. Hier kann die PubliGroupe nicht mitdealen.

Klartext: PubliGroupe-Generaldirektor Hans-Peter Rohner hat im KLARTEXT-Interview gesagt, es gebe in der Schweiz zwölf Markträume, die überhaupt eigenständige Mediensysteme generieren könnten. Nördlich des Hauensteins ist nur noch ein Medienraum vorgesehen.
LÜDIN: Wenn Rohner das als Medienraum bezeichnet, finde ich: Grundsätzlich ja. Es sagt aber noch nichts darüber aus, wie viele Produkte hier existieren können. Im Moment gibt es in diesem Raum immerhin zwei Tageszeitungen, zwei Lokalradios und neuerdings auch zwei Lokalfernsehen. Wenn Rohner damit meint, mittelfristig werde es von jeder Mediensorte nur noch ein Produkt geben…
Klartext: … das sagt er …
LÜDIN: So sagt er es eben nicht, das würde er sich nicht getrauen. Er sagt jedoch etwas anderes, was mich erschreckt: Er sagt, die PubliGroupe wolle immer im gleichen Boot mit den Gewinnern sitzen. Das heisst, sie analysiert, welcher Marktteilnehmer gewinnen wird – und mit dem arbeitet sie zusammen. Das müsste mir Angst machen, schliesslich ist die PubliGroupe mit 37 Prozent an der “Basler Zeitung” beteiligt.
Klartext: Weshalb Angst?
LÜDIN: Herr Rohner hat im Kanton Zürich einen grossen Deal eingefädelt, der dazu führt, dass die NZZ ihren Inseratebereich an die PubliGroupe abgibt. Man könnte ihr nun unterstellen, dass sie genau denselben Deal mit “Tages-Anzeiger”, “Basler Zeitung” und “Berner Zeitung” plant. Die PubliGroupe würde gerne den Inserateteil des “Tages-Anzeigers” pachten. Wenn sie dafür der Tamedia ihre Beteiligung an der “Basler Zeitung” quasi auf dem Tablett serviert, gerät einiges in Bewegung. An der “Berner Zeitung” ist die Tamedia bereits mit 49 Prozent beteiligt. Es ist denkbar, dass die PubliGroupe sagt: “Wir haben Hand geboten für das Konstrukt NLZ-‚Bund‘-‚St. Galler Tagblatt‘-Zürcher Landzeitungen – und jetzt schaffen wir ein Gegengewicht mit ‚Tages-Anzeiger‘-‚Berner Zeitung‘-‚Basler Zeitung‘. Und sind in beiden Fällen an vorderster Front mit dabei.” Dann wird es unter Umständen ungemütlich für uns.

Klartext: Wie und mit wem sehen Sie denn die Zukunft Ihrer Zeitung”?
LÜDIN: Wir haben grundsätzlich drei Optionen. Wir können in irgendeiner Form mit der “Basler Zeitung” zusammengehen, beispielsweise in einer Art “Berner Modell” mit zwei Zeitungen, die aber beide der BaZ gehören. Oder man macht aus den beiden Zeitungen eine. Das würde sich hervorragend rechnen, wäre für die Region aber nicht wünschbar. Die zweite Option wäre “Mittelland”. Für jemanden, der sich nicht so auskennt, ergibt sich bei einer solchen Zusammenarbeit ein Gebiet aus einem Stück. Doch es ist kein Wirtschaftsraum. Aber die “Mitteland Zeitung” könnte mit uns ihre Auflage stattlich erhöhen. Option Nummer drei wäre ein Externer …
Klartext: Tamedia oder NZZ?
LÜDIN: In die NZZ-Regionalzeitungs-Gruppe würden wir vom Gebiet her hervorragend passen. Und auch die Tamedia könnte Interesse an uns haben. Die müssten dann schauen, dass wir eine gute Regionalzeitung bleiben, sonst verdienen sie nichts daran.
Klartext: Option Nummer vier ist die Selbständigkeit.
LÜDIN: Nein, das ist die Realität. Die vierte Option wäre mal Deutschland gewesen. Das ist aber jetzt aus wirtschaftlichen Gründen kein Thema mehr.
Klartext: Führen Sie konkrete Gespräche mit diesen potenziellen Partnern? Mit allen?
LÜDIN: Meine Standardantwort lautet: Grundsätzlich spreche ich jederzeit mit allen über alles. Mehr sage ich nicht, sonst gibt es sofort Gerede. Wenn ich an einer Tagung mit Peter Wanner am gleichen Tisch sitze, heisst es gleich, der Lüdin habe an die “Mittelland Zeitung” verkauft. Das ist schon geschehen, “Facts” und TeleBasel haben das vor zwei Jahren konsequent behauptet, obwohl ich klar dementiert hatte. Ich habe mich damals fragen müssen, wie man am besten dementiert, wenn es tatsächlich einfach nicht wahr ist? Das ist gar nicht so einfach.
Klartext: Das ist doch schön für Sie, wenn Sie so viel Aufmerksamkeit geniessen!
LÜDIN: Nein, das ist gar nicht lustig. Es ist schlecht für das Geschäft. Denn es bedeutet: Die “Basellandschaftliche Zeitung” gibt es nicht mehr lange. Als Familienunternehmen veröffentlichen wir ja unsere Zahlen nicht. Alles, was man über uns wissen kann, ist: Wir sind unabhängig, eigenständig und wir machen keine Verluste. Es macht allerdings keine Freude, wie wenig wir momentan mit dieser Zeitung verdienen. Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir können noch zehn Jahre lang weiter machen, wenn wir unbedingt wollen.

Klartext: Sie haben in einem Interview gesagt: Wir haben Reserven bis unter die Decke.
LÜDIN: Das ganze riesige Areal hier, im Zentrum von Liestal, gehört uns. Es ist mit null Franken Hypothek belastet. Ich könnte also zu einer Bank gehen und sagen: Ich brauche 15 Millionen Franken. Die würde ich problemlos erhalten. Wir könnten also die “Basellandschaftliche Zeitung” noch jahrelang durchziehen. Aber wenn jetzt die Inserate nochmals drei Jahre hintereinander 15 Prozent unter dem Vorjahr liegen, kann keiner sagen, er könne sich das noch leisten. Die Frage ist dann allerdings, ob er daran glaubt, dass es wieder besser wird und diese Durststrecke finanziert werden muss.
Klartext: Wenn Sie “wir” sagen, meinen Sie nur die Zeitung oder Zeitung und Druckerei?
LÜDIN: Im Endeffekt muss man es konsolidiert anschauen. Gott sei Dank haben wir eine Druckerei, die sehr gut arbeitet. Und wir haben eine Zeitung, die bis vor zwei Jahren grosse Erträge eingebracht hat, jetzt aber im dritten Jahr eben nicht mehr. In der internen Rechnung liegen wir für die Zeitung unter Null, doch in der konsolidierten Rechnung liegen wir über Null.
Klartext: Welche Sparmassnahmen hat das nach sich gezogen? Wir haben gehört, Sie hätten keine Stellen abgebaut, aber es werde weniger mit freien Fotografen und Fotografinnen gearbeitet.
LÜDIN: Tatsache ist, dass wir bis Ende letztes Jahr alles ausgebaut haben! Wir haben mehr Geld für Freie ausgegeben, auch für freie Fotografen, allerdings ist dort jetzt der Plafond erreicht. Wir haben keine Stellen abgebaut, auch bei den Externen, sondern haben im Gegenteil die Seitenbudgets erhöht. Hintergrund dafür ist die Frühzustellung, die wir letztes Jahr eingeführt haben. Denn ich kann ja nicht in der Zustellung eine wesentliche Verbesserung vornehmen und gleichzeitig Teile der Zeitung verschlechtern. Die “Basler Zeitung” hat Stellen abgebaut; es wäre doch dumm, wenn wir jetzt auch abbauen und das bekannt wird. Also tun wir es bewusst nicht. Wir sind vermutlich die einzige Zeitung, die in den letzten Jahren in keiner Art und Weise gespart hat.
Klartext: Das können Sie sich leisten?
LÜDIN: Das können und müssen wir uns leisten. Wir machen Werbung mit dem Slogan “Wir bleiben, was wir sind”. Das heisst, wir bauen nicht ab, machen kein Tabloid, machen nicht alles farbig bis zum Gehtnichtmehr. Wir bleiben eine solide, gut gemachte regionale Tageszeitung, eine Komplettzeitung mit Ausland, Inland, Wirtschaft. Auf Letzteres bilde ich mir nicht wahnsinnig viel ein, es ist Agenturstoff. Aber Sie finden bei uns die zehn wichtigsten Ereignisse des Vortages aus Inland, Ausland, Wirtschaft, Sport und Kultur. Wir informieren über das Wichtigste, alles andere setzen wir voll für die Region ein.

Klartext: Sie haben 2003 die Frühzustellung eingeführt – ein ziemlich grosser Schritt, und offenbar nicht ganz so erfolgreich wie erhofft.
LÜDIN: Es war ein Manko, dass wir keine Frühzustellung hatten, und es war ein Abenteuer, sie einzuführen. Aus der Erfahrung von anderen Zeitungen wussten wir, dass man durch die Frühzustellung fünf bis acht Prozent dazugewinnen kann. Das wären dann bei uns gegen 1500 neue Abos gewesen, aber in der Realität waren es weniger. Wir haben durch die Frühzustellung etwa 1000 neue Abos gewonnen, gleichzeitig aber einmal mehr rund 700 verloren. – Ich habe mir von der Frühzustellung mehr erhofft. Doch im Zusammenhang mit der neuen “Basler Zeitung” ist sie Gold wert. Es gibt BaZ-Leser und Leserinnen aller Schattierungen, die jetzt frustriert eine Alternative suchen. Die “Basellandschaftliche Zeitung” ist eine Alternative, ohne Frühzustellung wären wir es nicht.
Klartext: Machen Sie gezielt Werbung als Alternative zur BaZ?
LÜDIN: Letztes Jahr haben wir sehr massiv Werbung gemacht unter dem Stichwort “die Alternative, jeden Morgen um 6.30 Uhr”. Die jetzige Werbung zeigt, in Anlehnung an die BaZ-Geschichte, dass die “Basellandschaftliche Zeitung” nicht neu erfunden wird: “Wir bleiben, was wir sind.”

Klartext: Die “Basellandschaftliche Zeitung” erscheint ja mit drei Seiten “Stadt Basel”, drei Redaktoren sind für die Stadt zuständig. Lohnt es sich, der BaZ mitten in ihrem Stammgebiet die Stirn zu bieten?
LÜDIN: Wir erreichen in unserer Region eine sehr gute Abdeckung. Doch in Stadtnähe ist unsere Abdeckung schlecht, sie beträgt um die fünf Prozent. Die BaZ schneidet in den stadtnahen Gemeinden klar besser ab als wir. Um unsere Position in diesen Gemeinden zu verbessern, müssen wir über die Stadt berichten, denn die Leute in diesen stadtnahen Gemeinden sind auf Basel orientiert, die arbeiten dort, kaufen dort ein.
Klartext: Es gibt ja viele Pendler und Pendlerinnen in der Region.
LÜDIN: Die städtischen Gewerbetreibenden haben noch nicht ganz kapiert, dass sie einen grossen Zulauf aus unserer Region haben und dass sich Werbung bei uns deshalb lohnen würde. Was aber beinahe matchentscheidend ist, sind die Todesanzeigen. Hätte die “Basellandschaftliche Zeitung” die Todesanzeigen, die sich in der BaZ finden, würden wir Abonnenten und Abonnentinnen gewinnen. Denn viele Leute wollen nicht nur wissen, wer gestorben ist, sondern sie wollen auch wissen, wer die Angehörigen sind.
Klartext: Todesanzeigen sind ein wichtiger Lesestoff für ein älteres Publikum. Zumindest die Werbung will aber lieber Zeitungen mit jüngerem Publikum.
LÜDIN: Das ist so. Aber man muss Realist sein. Der grösste Teil der Jungen will keine Tageszeitung und will schon gar nicht dafür bezahlen. Der Aufwand, den man betreiben müsste, um die Jungen dazu zu bringen, ist zu hoch. Unser Zielpublikum sind einfach alle, die eine Tageszeitung lesen wollen. Unser Stammpublikum ist eher 30-jährig und älter. Über 50 Prozent unserer Leser und Leserinnen sind unter 50-jährig, ich verstehe nicht, weshalb man dann von Überalterung spricht.

Klartext: Zwischen Ihrer Zeitung und der BaZ gibt es eine starke Rivalität. Gleichzeitig wird neu der BaZ-“Stellefant” Ihrer Zeitung beigelegt, die Frühzustellung läuft via die BaZ-Zustellerin Prevag. Geht das Schritt für Schritt auf eine enge Zusammenarbeit zu?
LÜDIN: Bei der Zusammenarbeit mit der BaZ handelt es sich um Bereiche, welche unsere Eigenständigkeit nicht tangieren. Ein Inseratekombi wäre schon viel heikler, denn es ist schwierig, so etwas wieder rückgängig zu machen. Und eine redaktionelle Zusammenarbeit kommt nicht in Frage. Es ist blödsinnig, mit der Konkurrenz redaktionell zusammenzuarbeiten, denn damit geht die Eigenständigkeit verloren.
Klartext: Sie werden möglicherweise Ihre Zeitung bei der BaZ drucken lassen.
LÜDIN: Wenn es nicht um die redaktionelle und wirtschaftliche Eigenständigkeit geht, sollte man heute in unserer Branche alles, was sich rechnet, in irgendeiner Form gemeinsam machen. Es ist mir, ehrlich gesagt, nahezu Wurst, wo meine Zeitung in fünf Jahren gedruckt wird, da sie wahrscheinlich nicht viel teurer gedruckt wird als jetzt. Wir müssten in etwa fünf Jahren eine neue Rotationsmaschine anschaffen, und das werden wir nicht tun. Wir werden also auswärts drucken und dank der elektronischen Übermittlung kann das in Aarau, Zürich, Basel, sogar in Bern sein. Viele grosse Verlage haben neue, supermoderne Maschinen angeschafft, sie haben sicher ein Interesse an einer zusätzlichen Auslastung ihrer Maschinen. Ich denke, wir werden unseren Druckpartner auslesen können. Im Moment behalte ich einfach alles im Auge.
Klartext: Was bedeutet das für Ihre Druckerei hier in Liestal?
LÜDIN: Der Rotationsdruck würde eingestellt. Das hätte Auswirkungen auf einige Stellen in der Rotation. Aber wir können vielleicht dafür schauen, dass diejenige Firma, die unsere Zeitung dann druckt, Leute übernimmt. Im Bereich Akzidenzdruck wird die Druckerei schon etwas leiden, aber nicht sehr. Denn im Baselbiet hat sie kaum Konkurrenz, wir sind gut positioniert.

Klartext: Ihre Familie ist ja schon seit Generationen in der Branche – haben die Lüdins als Druck- oder als Zeitungsunternehmen angefangen?
LÜDIN: Also, ich versuche mich kurz zu fassen. Anno 1832 haben sich die bösen Bauern und andere im Baselland gegen die Stadt aufgelehnt, das waren die so genannten “Trennungswirren”. Auf die Schlacht auf der “Hülftenschanz”, die wir natürlich gewonnen haben, folgte dann die Trennung in zwei Halbkantone. In Liestal wurde eine neue Regierung ausgerufen, die war sehr innovativ und fand, man brauche eine Zeitung. Ein Kaufmann und ein Drucker wurden beauftragt, im Kanton Aargau eine Druckmaschine zu kaufen. Und diese Maschine wurde hier (haut auf den Tisch) an der Schützenstrasse platziert. Die Zeitung hiess “Der unerschrockene Rauracher”, das passt mir. Der erste Chefredaktor war gleichzeitig Landschreiber der neuen Regierung. 1852 hat sich dann der Schützenhauptmann Matthias Lüdin, der den ganzen Krieg gegen Basel an vorderster Front mitgemacht hatte, vom Dienst zurückgezogen und Zeitung und Druckerei gekauft. Seit damals ist das Geschäft in der Hand der Familie Lüdin, ich bin der Vertreter der fünften Generation.
Klartext: Sie sind mit dem Wissen aufgewachsen: Ich werde irgendwann diese Zeitung übernehmen?
LÜDIN: Ich musste mir die Frage stellen – und ich wusste: Sicher nicht! Ich plante eine Karriere im Finanzbereich und war als Mitarbeiter des Sandoz-Finanzchefs auf dem besten Weg dazu. Dann starb mein Onkel, der Chefredaktor und Verlagsleiter der Zeitung. Mein Vater, der die Druckerei leitete und in meinem Bruder bereits einen künftigen Nachfolger hatte, fragte mich, ob ich die Aufgabe meines Onkels übernehmen könne. Doch damals gab es ebenfalls ein Zeitungssterben. Und ich wollte nicht einsteigen und dann zuschauen, wie die Zeitung “verreckt”. Erst nach einem neunmonatigen Volontariat bei den “Berner Nachrichten” war ich überzeugt: Wenn man es gut macht, kann man es machen. Also bin ich hier eingestiegen, zuerst als Redaktor und stellvertretender Verlagsleiter.
Klartext: Gibt es in Ihrer Familie potenzielle Nachfolger für Sie und Ihren Bruder?
LÜDIN: Meine beiden Söhne sind nicht interessiert, der Sohn und die Tochter meines Bruders ebenfalls nicht. Ja, wir haben ein Nachfolgeproblem. Aber ich bin jetzt 59, habe also noch gut sechs Jahre Zeit, um dieses Problem zu lösen. Bei der Druckerei ist die Ablösung einfacher, dort braucht es einen Techniker. Aber bei der Zeitung geht es auch um Inhalte, um Traditionen. Es wäre ein Horror, wenn man einen blindwütigen Jungmanager holt, der nur auf das Geld schaut.

Klartext: Sie sind also eher ein Verleger als ein Manager?
LÜDIN: Ich bin ein Manager in dem Sinne, dass ich den Betrieb führe, die Leute führe, die Verantwortung trage. Aber wenn ein Manager nur auf die Zahlen schaut und das, was nicht rentiert, rausschmeisst, so bin ich kein Manager. Ich entscheide hie und da auch gegen die reine ökonomische Vernunft. Denn rein ökonomisch betrachtet, müsste ich meine Zeitung der “Basler Zeitung” verkaufen. Das brächte mir einen “Riesenbollen” Geld. Doch all jenen gegenüber, die hier gearbeitet und gekämpft haben, und gegenüber der Region wäre es nicht richtig.
Klartext: Sie werden als “Patron” bezeichnet.
LÜDIN: Ich hoffe, dass ich ein Patron im guten Sinne bin. Eine Firma wie unsere mit etwa 160 Angestellten ist eine Art Mikrokosmos, in dem alle Probleme auftreten, die es sonst auch gibt. Aids, Drogen, Konkurs … Und da kümmern wir uns um unsere Leute, ohne es an die grosse Glocke zu hängen. Wir haben nie Kurzarbeit gemacht, nie wegen Reorganisationen Leute entlassen, auch in dieser Rezession nicht. Wir tragen die Verantwortung für unser Personal und lassen ihm einen gewissen Spielraum. Das geht nur, wenn einer weiss, wo sein Job beginnt und wo er aufhört. Die Idee ist, dass einer sagt: Die Firma ist gut zu mir, also bin ich gut zu ihr. Wenn andere sagen, ich sei ein Patron, hoffe ich, dass sie es nicht allzu negativ interpretieren. Mir ist wichtig, dass ich nicht nur auf die Zahlen achte, sondern eben auch auf anderes. Sonst geht etwas verloren, das Gefühl für Tradition, für Heimat.
Klartext: Ist diese Haltung für Sie auch eine Motivation, sich an der redaktionellen Arbeit zu beteiligen? Wir haben gehört, dass Sie da mitreden.
LÜDIN: Es ist erstaunlich, was Sie alles hören. Und auch in diesem Fall hat es etwas: Ich nehme einmal in der Woche an der Redaktionssitzung teil, und zwar ausdrücklich nur im ersten Teil. Dort orientiere ich darüber, was aus der Sicht des Verlags wichtig ist, und stehe der Redaktion Red und Antwort. Das kann man negativ auslegen, als eine Einmischung. Wenn man es positiv sehen will, braucht es Zivilcourage, jede Woche hinzustehen. Und dabei auch gewisse Firmeninteressen in gutem Sinne hinüberzubringen.
Klartext: Geben Sie Empfehlungen ab, welche Themen aus der Sicht des Verlags bearbeitet werden müssten?
LÜDIN: Ja. Im Prinzip sind es Wünsche. Ich sage nicht: Hört mal, der hat bei uns einen Druckauftrag, deshalb müsst ihr das jetzt schönschreiben. Es ist eher so, dass man sagt, es wäre nicht schlecht, wenn wir uns da ein bisschen wohlwollend verhalten würden. Einer, der viel bei uns inseriert, hat auch einen gewissen Anspruch darauf, dass man über ihn berichtet, wenn es etwas zu berichten gibt.
Klartext: Und was sind Ihre Vorgaben im politischen Bereich?
LÜDIN: Grundsätzlich keine. Die Politik liegt in der Hand des Chefredaktors und der Redaktoren, da mische ich mich grundsätzlich nie ein. Meine Erfahrung ist, dass man die Leute einstellen muss, die in etwa das rüberbringen, was man denkt.
Klartext: Und welche Zeitung wollen Sie? Eine rechtsbürgerliche?
LÜDIN: Man hat mir den Tipp gegeben, ich solle es nie mehr sagen, aber ich sage es trotzdem: Ich will eine freisinnige Zeitung, und zwar freisinniger als die freisinnige Partei.
Klartext: Was heisst das konkret?
LÜDIN: Liberaler und offener. Wir sind wirklich für den freien Markt, auch wenn es beispielsweise um Parallelimporte geht.
Klartext: Kommen wir zurück auf Ihre Beteiligung am redaktionellen Teil Ihrer Zeitung.
LÜDIN: (lacht) Sie werden keinen Redaktor finden, der Ihnen sagt, ich würde permanent in den redaktionellen Teil hineinreden. Da ich selber als Journalist gearbeitet habe, habe ich einen grossen Respekt vor dieser Arbeit und finde, die Redaktion muss in 99 Prozent aller Fälle selber entscheiden können. Ich lese in meiner Zeitung täglich Dinge, die ich nicht gerne lese. Aber nach meinem Verständnis müssen Kommentare aller Art in dieser Zeitung Platz haben.

Klartext: Offenbar ist es einer Ihrer Grundsätze, dass es auf der Redaktion keine Teilzeitstellen gibt.
LÜDIN: In einer Zeitung von der Grösse der unsrigen geht es allein schon der Dienstpläne wegen nicht, dass einer 70 Prozent arbeitet, der andere 60 Prozent und der Dritte nur am Dienstag. Es wäre auch unfair, denn diejenigen, die hundert Prozent arbeiten, müssen mehr Abend- und Sonntagsdienst leisten als die Teilzeitarbeitenden. Teilzeit ist in unserer Branche praktisch nicht machbar, ohne dass es grosse Ungerechtigkeiten und Friktionen gibt. Es muss doch erlaubt sein, dass man sagt: Für mein System will ich Leute, die 100 Prozent arbeiten. Das sage ich bei der Anstellung klar. Und ich habe dann Mühe mit Leuten, die mir mit strahlenden Augen für eine 100-Prozent-Stelle zusagen, damit sie die Ausbildung hier machen dürfen und den Job kriegen – und ein Jahr später wollen sie reduzieren.
Klartext: Die “Basellandschaftliche Zeitung” schickt Leute ans MAZ und hat den Ruf, eine Ausbildungszeitung zu sein. Dabei besteht aber immer das Risiko, dass die Leute nach der Ausbildung weggehen.

LÜDIN: Das ist ein Fluch, aber es gehört dazu. Unser Prinzip ist, dass wir sehr viele Leute selber ausbilden: Es kann einer – am liebsten mit einem abgeschlossenen Studium – bei uns ein einjähriges Stage absolvieren, in dieser Zeit schicken wir ihn sechs Wochen lang ans MAZ, in die wirklich brauchbaren, wichtigen Kurse. Nach dem Stage hat er die Chance, dass er als Redaktor angestellt wird. Dieses System hat sich bewährt. Schlimm ist es, wenn einer nach der Ausbildung sagt: Dankeschön, adieu! Dann fühle ich mich “versecklet”. Deshalb sagen wir den Leuten, die sich bewerben, dass wir ihnen die Chance geben wollen, aber uns wünschen, dass sie nach der Ausbildung wenigstens drei Jahre lang hier bleiben.
Klartext: So, wie Sie es jetzt formulieren, stellen Sie die Leute selber ein. Oder entscheiden Sie gemeinsam mit dem Chefredaktor?
LÜDIN: Wir stellen sie gemeinsam ein. Ich würde nie jemanden einstellen, den Chefredaktor Widmer nicht will, und umgekehrt ist das auch so. Die Bewerbungsdossiers gehen über meinen und seinen Tisch, diejenigen, die sich vorstellen können, sprechen eine Stunde lang mit ihm, eine Stunde lang mit mir. Dann entscheiden wir. Bis auf einen Fall war es bisher immer so, dass wir denselben Favoriten hatten! Dann wird der Entscheid, wie im Kollektivvertrag vorgesehen, mit der Redaktion besprochen. Wenn jemand aus der Redaktion einen triftigen Grund gegen die Anstellung hat, kann er das an dieser Anhörung sagen. Es gab einmal einen Fall, bei dem wir aus der Redaktion einen triftigen Grund gegen eine Anstellung erfahren haben. Der Bewerber wurde nicht angestellt.
Klartext: Die “Basellandschaftliche Zeitung” arbeitet zwar viel mit freien MitarbeiterInnen zusammen – aber nicht mit Profi-, sondern mit Hobby-Freien.
LÜDIN: Es gibt in diesem Raum gar nicht viele Profis, die vom Journalismus leben. Es sind wenige und mit einigen davon arbeite ich. Dann gibt es noch eine andere Problematik: Schreibt ein freier Journalist viel für die BaZ, bin ich nicht so daran interessiert, dass er auch für mich schreibt. Ich mache keinen Konkurrenzausschluss, aber er darf nicht über dasselbe Ereignis für beide schreiben.

Klartext: Man sagt, dass Sie den Freien keine professionellen Honoraransätze bezahlen.
LÜDIN: Ich habe mich, so lange ich Mitglied des Verlegerverbands war, immer konsequent an alle Ansätze und Bestimmungen gehalten. Aber vor etwa zehn Jahren wurden die Kollektivverträge immer “bireweicher”, man konnte getrost sagen: Man macht zwar einen Vertrag, aber es hält sich keiner daran, weder die Journalisten noch die Verleger. Ich wollte nicht in so einem Verband Mitglied sein. Deshalb bin ich ausgetreten. Es geht gegen alle meine Überzeugungen, einen Vertrag zu unterschreiben, den man nicht einhält.
Klartext: Der Kollektivvertrag wurde von den Verlegern gekündigt, ist also kein Hindernis mehr.
LÜDIN: Das ist eine weitere Entwicklung, zu der ich sagen muss: Wie sich der Verlegerverband und vielleicht auch die andere Seite entwickelt haben, ist eigentlich jämmerlich. Wenn ein Vertrag keine Löhne, keine Arbeitszeiten und rein gar nichts mehr enthalten darf, macht es doch keinen Sinn. – Ich halte mich bei den Festangestellten an den Kollektivvertrag. Die Honorare der Freien habe ich auf einem bestimmten Stand eingefroren. Ich erlaube mir da einen eigenen Weg, indem ich quasi ein Zeilenhonorar auszahle. Je nachdem, in welchem Verhältnis der Zeitaufwand zur Textlänge steht, variiert das Zeilenhonorar.
Klartext: Konkret?
LÜDIN: Wenn ich Sie einen Tag lang an eine Veranstaltung schicke und Sie dürfen nur 15 Zeilen darüber schreiben, erhalten Sie entsprechend mehr pro Zeile oder eine Pauschale. Wenn Sie über einen Fussballmatch berichten, gibt es vielleicht eine Pauschale, bei einem Theaterstück gibt es wieder ein anderes Zeilenhonorar. Man sagt zwar, Zeilenhonorar sei mittelalterlich, aber es ist beim Abrechnen klar und einfach. Jeder kennt seine Ansätze und weiss, wie viel er schreiben darf oder was er geschrieben hat; das ist korrekt und transparent. Wichtig ist, dass jeder bei der Übernahme eines Auftrages ganz genau weiss, was er dafür erhalten wird.
Klartext: Aber Zeilenhonorare decken häufig den Aufwand nicht.
LÜDIN: Ich bezahle das, was ich nach meinem Empfinden, meiner Erfahrung und den Ansätzen des BR für angemessen halte. Ich bezahle zudem Dinge, die im Kollektivvertrag nicht enthalten sind. Wenn mir jemand seinen Text oder sein Bild elektronisch übermittelt, ist das eine Erleichterung für uns, deshalb bezahlen wir dafür zusätzlich fünf Franken. In den Kollektivverträgen gibt es so viele blödsinnige Abmachungen. Da sage ich: Weshalb sind wir – beide Seiten – nicht ehrlich? Ich bezahle die Spesen. Aber wenn Sie ein Halbtaxabo haben, bezahle ich doch nicht das ganze Billett.
Klartext: Als Hans Heinrich Coninx Verbandspräsident war, hiess es, die grossen Verlage würden Kollektivverträge aushandeln, welche die kleinen und mittleren Verlage gar nicht einhalten könnten.
LÜDIN: Wenn es hart auf hart kommt, setzen sich die Grossen durch. Bei Abstimmungen gibt es verschiedenfarbige Stimmzettel: Je nach Höhe der Auflage erhält man eine Farbe – der Stimmzettel eines grossen Verlegers zählt zwanzigmal mehr als derjenige eines Kleinen! Der Verlegerverband ist dermassen heterogen, dass nichts Schlaues herauskommen kann. Die Unterschiede sind einfach zu gross, um eine gemeinsame Position zu finden. Wenn etwa Gratiszeitungen das Thema sind, kann nichts Schlaues herauskommen, weil fast alle grossen Verleger noch eine Gratiszeitung haben. Bei Radio und Fernsehen ist es dasselbe. Als Vertreter der Printmedien finde ich diesen Verband eine Katastrophe.
Klartext: Nun ist ja mit Hanspeter Lebrument einer der “Mittleren” Präsident – kein Grund, wieder einzutreten?
LÜDIN: (lacht) Als ich ausgetreten bin, hat ein gewisser Lebrument zu mir gesagt: “Das kannst du nicht machen.” Ich habe ihm erklärt, weshalb ich austrete. Später ist er selber ausgetreten und hat mir gesagt: “Es war aus praktisch denselben Gründen wie bei dir.” Dass er jetzt Präsident ist, ist insofern schön, dass er wie ein mittelgrosser Verleger denken kann. Doch wenn er in dieser festgefahrenen Situation mit dem Kollektivvertrag einfach sagt, da kommen keine Honorare, keine Löhne mehr rein, dann ist das auch nicht sehr hilfreich.

Klartext: Stichwort Presseförderung: Wie sehen da Ihre Vorstellungen aus?
LÜDIN: Bei den elektronischen Medien macht man ein Theater um den Service public, unter diesem Stichwort erhalten sie Anteile am Gebührensplitting. Und was, bitte, machen wir? Wir bieten wahrscheinlich den wichtigsten Service public, wenn es um Wahlen und Abstimmungen geht, leisten wahnsinnig viel für unsere direkte Demokratie und den Föderalismus. Und dafür sollen wir nichts erhalten? Ich wünsche mir ein System, bei dem die Printmedien etwas für ihren Service public erhalten. Man könnte die Verteilung nach einem ganz einfachen System vornehmen, von mir aus je nach Anzahl der Personen, die auf einer Redaktion arbeiten.
Klartext: Also direkte Presseförderung?
LÜDIN: Ja. Wir erbringen einen Service public, für den wir entschädigt werden sollten. Die meisten Verleger befürchten, dass der Staat Einfluss auf die Zeitungen nimmt, wenn es eine direkte Presseförderung gibt. Davor habe ich gar keine Angst.
Klartext: Werden Sie sich dafür einsetzen?
LÜDIN: Nein. Ich habe so absolut genug von diesem Verband, dass ich nicht mehr mitmachen will.
Klartext: Und auf politischem Weg?
LÜDIN: Nein. Die Kräfte, die da spielen, sind nicht zu knacken. Nehmen wir das Privatfernsehen. Meiner Meinung nach hätte das Schawinski-Fernsehen absolut funktioniert, wenn man nur ein bisschen mit gleich langen Spiessen operiert hätte. Bundesrat Leuenberger hat zwar gesagt, er sei offen dafür. Doch hinter den Kulissen haben er, Armin Walpen und Peter Schellenberg dafür gesorgt, dass es nicht gehen kann. Es ist eine Sauerei, wie das gelaufen ist. Und es hätte einen Aufschrei in den Medien geben müssen. Aber dem war nicht so. Es mag daran liegen, dass man ein Presse-TV geschaffen hat und die Verleger, die dort mitmachen, mit Geld überhäufte. Im Gegenzug sind diese ruhig, wenn es darum geht, etwas gegen die SRG oder gegen das Bakom zu unternehmen. Das Ganze finde ich übel.

Das Gespräch führten Bettina Büsser und Hans Stutz am 16. November 2004 in Liestal.

Gesprächspartner

Mathis Lüdin, 59, ist Verleger der “Basellandschaftlichen Zeitung”, die mit einer Auflage von 23’746 Exemplaren in Liestal erscheint. Neben der Zeitung gehört auch eine Druckerei zur familieneigenen Aktiengesellschaft. Lüdin studierte Nationalökonomie, war in Südafrika als Finanzfachmann tätig und arbeitete nach seiner Rückkehr in die Schweiz im Stab des Sandoz-Finanzchefs, bevor er 1978 als Redaktor und stellvertretender Verlagsleiter in die Lüdin AG in Liestal eintrat. Seit 1984 ist Lüdin Verlagsleiter und Mitinhaber des Unternehmens.

Aktuelles Heft:

 

EDITO
Ausgabe: 5 | 2018

  • Schaffhausen für Öffentlichkeitsprinzip
  • Fragen im “Opferzeitalter”
  • Umweltskandale in Chile
  • Regionaler Online-Journalismus
  • Ist vor “No Billag” nach “No Billag”?
  • Bilder von Flurina Rothenberger
  • und anderes mehr