19. Juli 2010 von Klartext

Bild: zvg
Klaus Heer, früher Radioredaktor, heute prominenter Paartherapeut, scheut den direkten Kontakt zu Medienschaffenden. Den Boulevardmedien gibt er Auskunft, obwohl er sie verabscheut; nur Homestorys gibt es keine. Gespräch: Verena Wehrle und Jeanette Herzog
Klartext: Dieses Interview wollten Sie zunächst telefonisch führen. Woher kommt Ihre Zurückhaltung gegenüber dem persönlichen Kontakt mit den Medienschaffenden?
Klaus Heer: Das persönliche Gespräch irritiert mich. Ich hatte kürzlich ein zweistündiges Interview mit einem «Beobachter»-Journalisten – aber am Telefon. Das Gespräch war sehr gut. Da sitze ich dann an meinem Pult, kein Mensch stört mich, und ich kann mich gut konzentrieren.
KT: Fühlen Sie sich von den Journalisten bedrängt?
Heer: Eher gefordert, manchmal auch etwas überfordert. In meinem beruflichen Alltag stelle ja ich die Fragen.
KT: Es ist also schwieriger für Sie, Antworten zu geben, als Fragen zu stellen?
Heer: Auf jeden Fall. Antworten zu müssen, empfinde ich als herausfordernd, weil ich immer die Angst im Nacken habe, ich könnte mich blamieren. Im Grunde läuft alles darauf hinaus, der öffentlichen Schmach zu entgehen.
KT: Hatten Sie denn schon mal eine richtig blamable Erfahrung mit den Medien?
Heer: Eine wirklich peinliche Erfahrung verdanke ich der «Schweizer Illustrierten». Ich hatte ein Interview zum Thema «Mann sein» autorisiert. Kurz darauf sah ich einen Kiosk-Aushang, Riesenbuchstaben: «Klaus Heer: Die Schweizer Männer sind Schlappschwänze». Das hatte ich nie gesagt. Ich habe daraufhin den Chefredaktor angerufen und gesagt, dass sie so etwas mit mir nicht machen könnten. Das war gar nicht lustig.
KT: Was haben Sie daraus gelernt?
Heer: Ich bin vorsichtiger und misstrauischer im Umgang mit den Medien geworden.
KT: Dennoch scheinen Sie zu fast jedem Thema etwas beisteuern zu können. Fehlen Ihnen nie die Worte?
Heer: Gelingt es mir nicht, dumme Fragen gescheit zu beantworten, sage ich lieber nichts.
KT: Gibt es oft dumme Fragen?
Heer: Sehr oft.
KT: Warum beantworten Sie dumme Fragen?
Heer: Ich mache mir einen Spass daraus, kluge und zutreffende Antworten zu suchen. Das ist für mich ein Sport.
KT: Sie setzen aber auch Grenzen. So haben Sie es abgelehnt, mit TeleZüri eine Homestory zu machen.
Heer: Homestorys im Fernsehen sind mir viel zu aufdringlich, zu brutal. Da herrschen Produktionsbedingungen, die ich als bedrohlich empfinde.
KT: Inwiefern bedrohlich?
Heer: Kürzlich habe ich eine Aufnahme gemacht mit dem «NZZ-Format». Die Situation war prekär für mich: Das Team kam in meine Praxis, verdunkelte das Zimmer und richtete die Scheinwerfer auf mich. Sie haben mich auf einen Stuhl gesetzt und die Kamera starrte mir ins Gesicht. Die NZZ-Journalistin war zwar sehr angenehm, aber wenn ich nur Statements produzieren muss, bin ich nahezu unfähig. Ich habe es lieber interaktiv, das ist anregender. Ich bin ein Meister des Dialogs und ein Stümper des Statements.
KT: Zu Homestorys in Zeitschriften wären Sie bereit?
Heer: Nein, schon lange nicht mehr. Früher habe ich mal etwas mit der «Schweizer Illustrierten» gemacht. Das gibt es heute nicht mehr.
KT: Warum nicht?
Heer: Die Leute, die ich gern habe, schätzen das nicht. Ausserdem ist es mir selbst peinlich. Wenn ich die «Schweizer Illustrierte» durchblättere – es gibt ja noch schlimmere Hefte –, empfinde ich Scham.
KT: Haben Sie generell Mühe mit den Boulevardmedien, obwohl gerade dort die meisten Ihrer Interviews erscheinen?
Heer: Ich habe es sehr gut mit den Boulevardmedien, aber nur, weil ich misstrauisch und pingelig bin. Ich will jeweils den ganzen Text und nicht nur meine Zitate sehen. Da bin ich unerbittlich.
KT: Sie sitzen am längeren Hebel.
Heer: Ich weiss einfach, dass man alles Gesagte bis zum letzten Moment zurückziehen kann. Da helfen mir meine Erfahrungen als Journalist.
KT: Gibt es Medien, mit denen Sie nicht zusammenarbeiten würden?
Heer: (überlegt lange) Wenn es inhaltlich machbar ist, würde ich selbst für die «Glückspest» etwas machen.
KT: «Glückspest»?
Heer: Ja, «Glückspest». Denn jedes Mal wenn ich diese Zeitschrift anschaue, fühle ich mich peinlich berührt.
KT: Gibt es andere Medien, auf die Sie so stark reagieren?
Heer: Die Fernsehsendung «Swiss Date» ist auch so etwas furchtbar Peinliches. Das widert mich genussvoll an.
KT: Was ist daran so peinlich?
Heer: Dass die Medien Menschen dazu bringen, sich so extrem zu prostituieren. Diese Menschen zeigen sich von ihrer entwürdigendsten Seite – ohne dass sie es merken. Nur damit sie zu einem Medienauftritt kommen.
KT: Schauen Sie oft Fernsehen?
Heer: Nein, ich habe keinen Fernseher. Das ist eine Zeitvernichtungsmaschine. Das geht für mich gar nicht. Es interessiert mich nicht.
KT: Lesen Sie auch keine Zeitschriften?
Heer: Ich schaue mir lediglich alle paar Wochen in meinem Fitnessstudio eine Hochglanzzeitschrift an, weil ich wieder einmal so richtig angeekelt sein will.
KT: Wie informieren Sie sich denn?
Heer: Mit dem iPhone. Dort lese ich den «Bund» und den «Tages-Anzeiger». Ich habe gar nicht so viel Zeit für den Konsum von Medien. Abgesehen vom Radio, das ist mein bevorzugtes Medium. Aber das kann ich ja via iPhone als Podcast auf dem Nachhauseweg hören.
KT: Bei Radio DRS gab es doch mal eine höchst unerfreuliche Geschichte …
Heer: … das war 1992. Der damalige Radiodirektor Andreas Blum mochte mich und meine Sendungen nicht. Das war wirklich keine schöne Geschichte. Ich musste schliesslich gehen.
KT: Wie war das für Sie? Radio war Ihre Leidenschaft.
Heer: Das war ein Schlag für mich. Aber ein segensreicher Schlag, der bewirkt hat, dass ich meine symbiotische Liebe zum Radio loswurde. Aus eigener Kraft wäre ich diesem Sog nie entronnen. Der Rausschmiss ermöglichte es mir, Neues anzufangen.
KT: Machen Sie manchmal auch richtig gute Erfahrungen mit den Medien?
Heer: Ja, viele gute Erfahrungen. Zum Beispiel hat mir ein Journalist der «Weltwoche» kürzlich sehr viel Freiheit gelassen. Wir produzierten sogar die Fragen gemeinsam.
KT: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Journalisten?
Heer: Ich habe es fast immer gut mit den Journalisten. Ich glaube, Sie mögen mich. Sie müssen mich ja auch nicht anschauen, wir telefonieren nur.
Bauernsohn, Therapeut, Bestsellerautor
1943 in der Innerschweiz als Bauernsohn geboren, studierte Klaus Heer in Hamburg und Bern Psychologie und bildete sich später zum Psycho- und Paartherapeuten weiter. In den 35 Jahren, in denen er nun schon praktiziert, wurde er, was Liebe, Partnerschaft und Sexualität betrifft, zu einer Kapazität. Er schrieb den Bestseller «Ehe, Sex und Liebesmüh – Eindeutige Dokumente aus dem Innersten der Zweisamkeit» sowie «Wonneworte – Lustvolle Entführung aus der sexuellen Sprachlosigkeit» und «Paarlauf – Wie einsam ist die Zweisamkeit?» Klaus Heer lebt und arbeitet in Bern, er hat eine Familie mit zwei erwachsenen Töchtern.
24. Juni 2010 von Klartext

Bild: Tres Camenzind
Kaum hat Christoph Bauer die Stelle als CEO bei den AZ Medien angetreten, entlässt er schon Personal. Doch der junge Chef glaubt an seine Medien. Erfolgreich überleben könne man aber nur mit konsequenter Ausrichtung auf den Lokaljournalismus. Gespräch: Bettina Büsser und Nick Lüthi
KLARTEXT: Die AZ Medien haben eben bekannt gegeben, dass in Redaktionen und Verlagen 25 Stellen abgebaut werden.
Christoph Bauer: Wir haben Ende März den Abbau von 30 Stellen angekündigt und nun konkret kommuniziert, was geschieht. Wir bauen nur 25 Stellen ab. Wir haben sechs Kündigungen ausgesprochen, das ist für die Betroffenen natürlich sehr schwierig. Aber ansonsten haben wir diese Massnahme recht fair durchführen können, mit Frühpensionierungen, Pensenreduktionen, mit 15 offenen Stellen, die wir nicht mehr besetzen.
KT: Wie ist die Stimmung im Haus?
Bauer: Wenn es konkret wird, reagieren alle verhalten, es wird schon auch mal Unmut geäussert. Aber die Stimmung ist nach meinem Empfinden jetzt wieder sehr gut. Wir haben einen sehr transparenten Austausch mit der Betriebskommission, es war für alle einsichtig, dass die Massnahmen in der aktuellen Situation des Unternehmens richtig sind. Der soziale Frieden im Unternehmen ist intakt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ziehen auf beeindruckende Art und Weise mit. Unser Problem war: Wie können wir diese 25 Stellen ohne Leistungsabbau bei unseren Produkten abbauen? Also haben wir Prozesse umgestellt. Dafür haben wir Projekte zur Prozessüberprüfung durchgeführt, und die Leute wussten, dass daraus ein Stellenabbau resultieren wird.
KT: 2009 wurden 65 Stellen abgebaut, 2008 waren es 30. Sie sagen, es gibt keinen Leistungsabbau – wo ist die Grenze? In den «Visionen» der AZ Medien steht: «Die publizistische Qualität unserer Medien lassen wir uns etwas kosten.»
Bauer: Das tun wir auch. Der grosse Stellenabbau hat nicht in den Redaktionen stattgefunden. Wenn wir über Sparmassnahmen diskutieren, schauen wir die Redaktionskapazitäten ganz zuletzt an. Das tue ich in Abstimmung mit dem Verleger, aber das ist auch meine persönliche Haltung. Ich komme von der kommerziellen Seite, aber für mich ist Content unsere erste Kernkompetenz, die Nummer eins, daraus entsteht die Wertschöpfung.
KT: Peter Wanner hat in einem Interview gesagt, bei der Übernahme von Vogt-Schild seien die AZ Medien von der Krise «auf dem falschen Fuss erwischt» worden.
Bauer: Könnte man sich den Zeitpunkt für eine Übernahme aussuchen, würde man sie sicher nicht mitten in der grössten Werbekrise tätigen. Wir haben im letzten Jahr im Werbemarkt einen Einbruch von 40 Millionen Franken erlitten. Doch es war richtig, die Gelegenheit zu packen, als wir gefragt wurden, ob wir Interesse an Vogt-Schild hätten. Der Mittelland-Zeitung-Verbund bestand ja anfänglich aus mehreren kleineren Kooperationspartnern. Das Konzept mit dezentral komplett selbstständig agierenden Unternehmen ist ökonomisch nicht mehr machbar. Nun konsolidieren wir: Redaktionen und Vermarktung müssen dezentral organisiert sein, alles andere kann zentral an unserem neuen Hauptsitz stattfinden. Durch diese Konsolidierung konnten wir den Hauptteil der Einsparungen tätigen, die wir vornehmen müssen.
KT: Was haben Sie seit Ihrem Stellenantritt Anfang Jahr strategisch entschieden?
Bauer: Das sind viele Punkte, deren Auswirkungen wir noch nicht in der Öffentlichkeit sehen. Einer davon ist, dass wir unsere Geschäftsmodelle und unseren Medienverbund neu ausrichten. Wir sind heute sehr printlastig, das werden wir auch bleiben. Doch der Treiber des Journalismus muss Online sein. Das bedeutet nicht einfach «Online first», sondern: Von welchem Medium aus beginne ich zu denken, um eine Tageszeitung zu machen? Das ist ein Kulturwandel. Wir haben jetzt einen Newsroom, es ist kein Sparmodell.
KT: Das sagen alle.
Bauer: Es ist wirklich so, fragen Sie die Redaktion. Im Newsroom gibt es auch nicht eine Redaktion für alle Medien, es ist ein Raum, in dem die verschiedenen Redaktionen zusammenarbeiten – Print, Online und auch unser Regionalfernsehen. Das funktioniert wunderbar.
KT: Die Print-Journalisten und -Journalistinnen werden jetzt auch für Online geschult. Das bedeutet, dass man das Medium Online mit den bestehenden Leuten intensiver bespielen will.
Bauer: Ja, zum Teil. Aber es geht nicht darum, dass alle Journalisten unbedingt alle Medien bedienen müssen. Im Gegenteil, wir suchen sogar Kontrapunkte, denn im Newsroom bestimmt Online ein extrem hohes Tempo. Wir setzen einen Gegenpol, mit Leuten, die nicht in diesen Produktionsrhythmus eingebunden sind. Es geht grundsätzlich darum, dass wir anerkennen, dass das schnellste interaktive Medium heute das Internet ist. Wir müssen Online und auch die mobilen Geräte gedanklich zuerst bedienen. Zeitungen sind heute multimedial. Das ist unsere erste Handlungsebene.
KT: Und die zweite?
Bauer: Die zweite Ebene ist der schon erwähnte Zusammenschluss zu den AZ Medien als Mediengruppe mit Hauptstandort und verschiedenen dezentralen Standorten. Die dritte Ebene schliesslich ist die Unternehmenskultur. Wir arbeiten gemeinsam mit den Mitarbeitern aktiv daran, innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre eine Kultur zu schaffen, von der man sagen kann: Wir wissen, wofür AZ Medien steht, und wir sind stolz, hier zu arbeiten.
KT: Das alles klingt nach einem grossen Umbau. Wurde vor Ihrer Zeit zu wenig gemacht?
Bauer: Nein. Peter Wanner hat als CEO sehr unternehmerisch, sehr erfolgreich und dynamisch ausgehend vom «Badener Tagblatt» eine der grössten Mediengruppen der Schweiz gebaut. Das ist eine wahnsinnige Leistung. Jetzt steht die Plattform zur Verfügung, und eine neue Generation Management mit anderen Schwerpunkten kann das Unternehmen weiterentwickeln.
KT: AZ-Medien-Mitarbeitende waren vor Ihrem Stellenantritt skeptisch, ob Peter Wanner loslassen kann. Wie ist es heute – spüren Sie seinen Atem im Nacken?
Bauer: Viele, die Peter Wanner seit Jahren aus beruflichen Begegnungen kennen, haben mir gesagt: Wir sind gespannt, ob er loslassen kann. Er hat sehr, sehr gut losgelassen. Mittlerweile ist es so, dass ich ihm manchmal eine Woche lang hinterherlaufe, weil ich Informationen von ihm brauche. Wir diskutieren über Kapazitäten und Priorisierung, aber er überlässt mir das operative Geschäft.
KT: Stichwort Online: Peter Wanner ist ohne Internet aufgewachsen, Sie stammen aus der Internet-Generation. Gibt es da einen Generationenkonflikt
Bauer: Ich hatte zwar mit neun Jahren meinen ersten Commodore 64, doch ich bin nicht mit der ständigen Verfügbarkeit von Informationen über verschiedene Endgeräte aufgewachsen. Aber ich bin eigentlich über das Internet ins Mediengeschäft gekommen. Es ist jedoch keine technische, sondern eine publizistische Diskussion, wenn wir darüber sprechen, was wir online tun sollen. Davon versteht Peter Wanner sehr viel. Nach meiner Überzeugung müssen wir dafür sorgen, dass wir online das erfüllen, was wir heute in den Printmedien erfüllen. Wir können die lokal-regionale Berichterstattung mit einem respektablen Mantelteil auch online bieten. Die Frage nach dem Geschäftsmodell ist allerdings noch völlig ungeklärt.
KT: Das ist der Punkt, der allen Angst macht.
Bauer: Es ist nun mal so: Der Kommerz ist nachgelagert. Das war auch in der alten Welt so: Ich muss bei einer Zeitung zuerst einmal Leser haben, bevor ich anfangen kann, Werbung darin zu verkaufen. Wenn wir im Internet unsere Kompetenzen richtig einsetzen, können wir Marktplätze besetzen. Ob wir damit Geld verdienen, wissen wir noch nicht. Wir müssen jedoch die gesamte Medientastatur spielen. Dafür brauchen wir die besten, talentiertesten Journalisten. Es ist relativ einfach, schnell mal was online oder mobile zu stellen, und es ist relativ anspruchsvoll, einmal am Tag zu erklären: Was ist passiert und was bedeutet das für morgen? Deshalb bin ich davon überzeugt, dass Tageszeitungen überleben werden.
KT: Auf Papier gedruckt?
Bauer: Für mich ist «Tageszeitung» ein journalistisches Format, das einordnet, gewichtet, erklärt. Ob es gedruckt wird oder nicht, ist eine komplett andere Frage. Die gedruckte Zeitung ist ja eigentlich ein wahnsinniges Geschäftsmodell: Wir bewegen jeden Tag 120 Tonnen Papier durch die halbe Schweiz.
KT: Die gedruckte Zeitung ist aber ein Produkt, für das die Leute zu bezahlen bereit sind.
Bauer: Das ist die grosse Frage: Zahlen die Leute, weil sie ein physisches Produkt auf Papier haben oder zahlen sie für die Aufbereitung der Information?
KT: Eine Darstellungsform, die dem bedruckten Papier nahekommt, sind Tablets, Stichwort iPad.
Bauer: Ich durfte 2002/2003 eines der ersten E-Paper in der Schweiz lancieren. Das ist bis heute eigentlich kein Internet-Produkt, sondern eine digitale Zeitung. Man müsste sie eigentlich auf einem rollbaren Folien-Bildschirm lesen können. Und in diesem Bereich bewegt sich einiges. Jetzt ist neu der iPad da und auch weitere Anbieter sind aktiv. Ich denke, hier liegt ein grosses Potenzial.
KT: Auf dem iPad wie im Netz überhaupt stehen redaktionelle Angebote in Konkurrenz zu kostenlosen und beliebten Angeboten wie Facebook oder Wikipedia. Wie kann man da für Inhalte Geld verlangen?
Bauer: Wenn es eine Chance gibt, dann ist es die lokal-regionale Berichterstattung. Nationale und internationale Themen können im Internet nur wenige Medienmarken kostenpflichtig anbieten. Daher konzentrieren wir uns auf lokale und regionale Berichterstattung. Wenn wir einen Weg finden, das kostenpflichtig zu machen, dann bin ich der Erste, der das tun wird. Wichtig ist daher die publizistische Vorgabe: Wir wollen wieder raus in die einzelnen Ortschaften und dort mit noch mehr Aussenredaktionen präsent sein.
KT: Mit dem ganzen Medienverbund, mit Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet sind Sie schon heute in einer starken Position im Mittelland.
Bauer: Das ist die Darstellung auf dem Reissbrett. Die Konkurrenz ist immens. Dazu gibt es im lokalen Bereich eine sehr vielfältige Welt von lokalen Anzeigern, die sehr, sehr ordentliche Jobs machen. Die sind nah dran an der Bevölkerung und deren Problemen. Für die Bürger in einem Dorf oder einer Kleinstadt sind sie oft die erste Referenz.
KT: Heisst das auch, dass Sie weitere Kleinanzeiger zukaufen wollen?
Bauer: Wir haben schon 14 solcher Anzeiger, und das funktioniert sehr gut. Einige übernehmen die Funktion einer Tageszeitung, andere haben eher Marktplatzfunktion. Zurzeit sind wir daran, diese Titel strategisch zu entwickeln. Dort sehe ich ein gutes Potenzial, auch online. Wir haben auch die Absicht, weitere zu kaufen.
KT: Dazu verfügen Sie über das nötige Kleingeld?
Bauer: Die AZ Medien sind finanziell sehr gesund. Auch wenn das andere gerne anders sehen würden. Wegen des anhaltenden Umsatzrückgangs haben wir noch mal ein schwieriges Jahr. Aber wir wollen jetzt ein wesentlich besseres Ergebnis ausweisen, was wir auch erreichen werden.
KT: Ist der «Sonntag» ein rentables Geschäft?
Bauer: Nein, noch nicht. Aber es geht hier nicht um viel Geld, das wir investieren. Neue Medien zu lancieren, ist ein risikoreiches Geschäft. Man muss die Bereitschaft haben, einem solchen Projekt gegen alle Widrigkeiten der Konjunktur mindestens fünf Jahre Zeit zu geben, um zu erfahren, ob es funktioniert. Die Redaktion zeigt, wie man mit wenig Ressourcen eine tolle Sonntagszeitung machen kann, die zu reden gibt. Jetzt müssen wir schauen, dass wir ausserhalb unserer Kernleserschaft weitere Kunden gewinnen.
KT: Wie entwickeln sich Radio und Fernsehen?
Bauer: Radio Argovia hat ein schwebendes Konzessionsverfahren, weshalb ich hierzu keine Auskunft geben kann. Was aber bei der Revision des Radio- und Fernsehgesetzes und dessen Anwendung während der letzten Konzessionierungsphase passiert ist, ist einer Demokratie unwürdig. Radio 32 in Solothurn ist eine Erfolgsgeschichte: kleines Marktgebiet, gut verankert, funktioniert sehr gut. Und in Tele M1 haben wir jetzt investiert, obwohl es für elektronische Medien in der Schweiz keine Investitionssicherheit mehr gibt. Man darf auf keinen Fall länger planen als auf zehn Jahre, so lange, wie die Konzession gültig ist. Tele M1 ist finanziell betrachtet ein schwieriges Thema.
KT: Trotz der 2,3 Millionen Franken an Gebührengeldern, die jährlich fliessen?
Bauer: Wenn wir diese nicht hätten, müssten wir uns ernsthaft überlegen, ob wir den Sender besser schliessen sollten. Aber Tele M1 macht einen tollen Job und ist erfolgreich bei den Zuschauerzahlen. Auch kommerziell schöpft Tele M1 das regionale Potenzial gut aus. Wir halten also mit Sicherheit an Tele M1 fest, auch wenn es kein Geschäft ist.
KT: Bei den Tageszeitungen haben Sie die Bundzahl von 4 auf 2 geändert. Eine Sparmassnahme?
Bauer: Das geschah nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Wir produzieren den gleichen Umfang wie vorher. Ob 2 oder 4 Bunde ist eine produktionstechnische Frage, aber auch ein wichtiges psychologisches Signal. Im ersten Bund wollen wir eine Berichterstattung anbieten, die über das hinausgeht, was eine normale Regionalzeitung anbietet. Unsere Abonnenten sollen nicht unbedingt zusätzlich noch NZZ oder «Tages-Anzeiger» lesen müssen. Der zweite Bund ist die Regional- und Lokalzeitung, unser Kerngeschäft. Der Wert für das Abonnement kommt primär aus dem zweiten Bund, publizistisch liefern wir ein Komplettpaket mit dem Mantel. Wir wollen diesen Weg wieder konsequenter gehen.
KT: Wie sieht es bei den Tageszeitungen mit Kooperationen ausserhalb des Mittelland-Zeitung-Verbundes aus? In der Branche heisst es ja immer, alle reden mit allen.
Bauer: Solange das so ist, geschieht gar nichts. Wenn es mal ruhig wird, dann wird es interessant. Wir waren immer offen für Kooperationen, die Diskussion ist im Moment nicht mehr aktuell.
KT: «Aargauer Zeitung» und «Basler Zeitung» tauschen weiterhin Artikel aus?
Bauer: Ja, das ist aber kein grosses Thema, da geht es nicht um viel Geld. Wir schauen das sehr pragmatisch an. Das machen die Chefredaktoren untereinander aus.
KT: Wo sind Kooperationen sonst noch sinnvoll?
Bauer: Wenn wir wirklich mal über das Internet diskutieren wollen, dann ist es sinnvoll, wenn mehrere Verleger zusammengehen. Was die Verlage mit den Rubrikeninseraten erlebt haben, wollen sie nicht noch einmal erleben. Ich denke, da findet in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen nun doch ein Veränderungsprozess statt. Im Moment ist man aber noch in der Phase des Verteilkampfs. Die Konsolidierung des Schweizer Markts wird noch etwa drei Jahre dauern. Das sind die alten Verteilkämpfe. Dann stehen mal die Grundstrukturen. Ich kann mir vorstellen, dass danach wirklich relevante Diskussionen aufkommen, wie man in dieser kleinen Schweiz einträgliche Internet-Geschäftsmodelle aufbauen kann.
KT: Wie sieht Ihre Zukunft aus? Ihre Karriere wird wohl nicht im Aargau enden.
Bauer: Bah, vielleicht hört sie ja ganz auf. Vielleicht kriegen wir so Krach, das der Verwaltungsrat mich entlässt … Wenn man in der Schweiz irgendwo rausfliegt, ist die Karriere in der Regel vorbei.
KT: Oder man geht nach Deutschland.
Bauer: Ich habe immer wieder Angebote aus Deutschland erhalten, aber meine Frau und ich leben sehr bewusst in der Schweiz. Auch wenn man mir das vielleicht nicht abnimmt: Ich habe mich nie nach Karrierezielen orientiert, sondern immer das gemacht, von dem ich geglaubt habe, dass ich mit guten Leuten zusammenarbeiten und etwas verändern kann. Ich habe immer gesagt, bis 40 mache ich solche Jobs, dann mache ich was ganz anderes. Zum Beispiel einen Lehrauftrag an der Uni und daneben habe ich einen Bootsverleih. Für die nächsten Jahre habe ich allerdings eine tolle Aufgabe vor mir, die mir sehr viel Freude bereitet.
KT: Wie lange bleiben Sie im Aargau?
Bauer: Fünf Jahre ist für mich eine gute Perspektive. Vorher zu gehen, wäre verantwortungslos. Man kann nichts Nachhaltiges entwickeln. Man muss ein Unternehmen so aufstellen, dass die wichtigen Themen von einzelnen Personen unabhängig funktionieren.
KT: Werden die AZ Medien in fünf oder zehn Jahren weiterhin ein Familienunternehmen sein?
Bauer: Die AZ Medien haben das Potenzial, selbstständig zu bleiben, und die Kinder von Peter Wanner haben grosses Interesse am Geschäft. Für Peter Wanner ist klar, dass es mit mir jetzt eine Übergangslösung gibt, vielleicht kommt nach mir noch ein weiterer angestellter CEO. Die AZ Medien werden auch in der nächsten Generation von der Hauptaktionärsfamilie Wanner geführt sein.
Das Gespräch fand am 3. Juni in Aarau statt.
Medien-Allrounder mit steiler Karriere
Christoph Bauer (39) arbeitet seit Anfang Jahr als CEO der AZ Medien in Aarau. Bauer ist damit der erste angestellte Geschäftsleiter des Unternehmens von Peter Wanner, der bisher die AZ Medien selbst geführt hatte. Der promovierte Betriebswirt mit einer Dissertation zu «Tageszeitungen im Kontext des Internets» begann seine berufliche Laufbahn bei Bertelsmann in Deutschland, bevor er 2001 in die Schweiz kam als Marketingleiter der NZZ. Die letzten fünf Jahre arbeitete Bauer bei Ringier, zuerst für die Multimediaplattform Cash, später in der Ringier-Geschäftsleitung, wo er zuständig war für die Wirtschaftsmedien und danach für New Media. Daneben unterrichtete er Medienmanagement und Medienmarketing an der Universität Zürich. Im Verband Schweizer Presse war Bauer unter anderem aktiv im Departement Werbemarkt.