Finde die Millionen
Schwarze Zahlen schützen nicht vor Zukunftssorgen: Auch im Besitz von Tamedia und trotz positivem Ergebnis im 2007 ist der Berner „Bund“ noch nicht aus dem Schneider. Für Chefredaktor Vogel ist klar: „So können wir nicht weitermachen.“
In Bern herrscht verhaltener Optimismus; zumindest an der Spitze der Redaktionen von „Bund“ und „Berner Zeitung“ (BZ). Die Chefredaktoren der beiden Tamedia-Zeitungen wissen im KLARTEXT-Gespräch (Seite 10 ff.) nur Positives von der neuen Besitzerin zu berichten, obwohl auch sie genau wissen, dass ihre Titel – vor allem der „Bund“ – vielleicht schon bald (weitere) Federn lassen müssen. Über die Details lässt sich vorerst nur spekulieren. Denn wie der Zürcher Medienkonzern glaubhaft versichert, hat er noch keinerlei Entscheide getroffen, wie er ab dem kommenden Jahr seine abonnierten Tageszeitungen aufstellen will; nicht einmal Vorentscheide. Es sei denn, man bezeichne die bekannten Renditeerwartungen von Tamedia als solche. Ab kommendem Herbst wird sich die Konzernleitung gemeinsam mit den Chefredaktoren der betroffenen Titel intensiv Gedanken machen, wo und wie die fünf Zeitungen („Bund“, BZ, „Tages-Anzeiger“, „Thurgauer Zeitung“, „Landbote“) zusammenarbeiten könnten.
Ballast abwerfen
In einem ersten Schritt will sich das Verlagshaus „unvoreingenommen ein Bild machen“, wie sich Tamedia-Konzernsprecher Christoph Zimmer ausdrückt. „Voraussetzung für eine Zusammenarbeit zwischen Tageszeitungen wäre in jedem Fall, dass unsere Leserinnen und Leser auf der einen und unsere Werbekunden auf der anderen Seite gewinnen.“ Was Christoph Zimmer nicht sagt, aber immer Teil solcher Übungen ist: Tamedia wird auch nach unnötigem Ballast suchen, der sich immer dann anhäuft, wenn sich Grossunternehmen zusammenschliessen. Was das heisst, haben Mitte Mai die Mitarbeitenden des Callcenters von Espace Media in Bern erfahren. Ihre Abteilung wird nach Zürich verlegt, zehn Vollstellen gehen dabei verloren. Davon merken die LeserInnen freilich nichts. Ob ein Anruf in Bern oder Zürich entgegengenommen wird, ist einerlei.
Ebenso wenig spielt es für das Publikum ein Rolle, ob ein Artikel im gemeinsamen Sportteil von „Bund“ und BZ von einem Redaktor des „Tages-Anzeigers“ verfasst wird. Seit die beiden Berner Zeitungen Tamedia gehören, arbeiten die Sportredaktionen von „Bund“/BZ und „Tages-Anzeiger“ regelmässig zusammen. Zu Veranstaltungen ohne regionale Befindlichkeiten, etwa internationale Tennisturniere, schicken die Berner und die Zürcher in letzter Zeit nur noch einen einzigen Reporter.
Aus dieser Kooperation dürfe in keiner Weise auf künftige Entwicklungsschritte geschlossen werden, warnt Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer. Vielmehr handle es sich dabei um eine lockere Zusammenarbeit der Sportredaktionen in Bern und Zürich; diese sei weder vertraglich geregelt, noch fliesse dabei Geld. Eine Vorgehensweise, die in der Schweizer Zeitungslandschaft unter Partnern üblich ist.
Kall relativiert positives Ergebnis
Eine der kniffligsten Aufgaben wird es für Tamedia sein, die Situation auf dem Medienplatz Bern zu klären. Hier ist der Platz eigentlich zu knapp für zwei abonnierte Tageszeitungen. Der traditionsreiche „Bund“ kämpfte seit dem Rückzug der historischen Verlegerfamilie vor 15 Jahren zuerst unter Ringier, dann unter der NZZ ums Überleben – und hat es bis heute geschafft. Doch der Preis dafür war hoch. Die verlegerische Unabhängigkeit musste die Zeitung vor vier Jahren aufgeben, als sie im Rahmen des „Berner Modells“ von Verleger Charles von Graffenried unter das Dach von Espace Media aufgenommen wurde und seither mit der publizistischen Konkurrentin BZ eine wirtschaftliche Einheit bildet. Viel zur Weiterexistenz des „Bunds“ beigetragen hat auch das Personal, das Sparrunde um Sparrunde mit schmerzlichen Verlusten über sich ergehen lassen musste.
Inzwischen ist die Lage stabil. Zumindest vorübergehend. Das vergangene Jahr hat der „Bund“ erstmals seit langer Zeit mit schwarzen Zahlen abgeschlossen. Doch die Freude währte nicht lange. Tamedia-Konzernchef Martin Kall machte umgehend klar, dass dieses Ergebnis mit Vorsicht zu geniessen sei. Nachhaltig sei ein solches Ergebnis erst dann, wenn es in einer Phase tiefer wirtschaftlicher Konjunktur erzielt werde. Damit bleibt alles beim Alten. Soll sich der „Bund“ nicht weiter von Sparübung zu Sparübung hangeln, dann muss etwas geschehen. Drei bis vier Millionen Franken fehlen der Zeitung pro Jahr, damit sie sich stabil im Markt halten kann.
„Es muss Veränderungen geben“
Dessen ist sich auch Chefredaktor Artur K. Vogel bewusst. „Am einfachsten wären zusätzliche 10’000 bis 15’000 Abonnemente“, rechnet Vogel vor. Das sind freilich Zahlen aus dem Reich der Fantasie. Sogar für die grosse, und wirtschaftlich erfolgreichere, Schwester BZ ist es derzeit das höchste der Gefühle, Abonnemente halten zu können. „Wenn wir das schaffen, sind wir schon recht stolz“, sagt BZ-Chefredaktor Michael Hug. Woher also drei bis vier Millionen Franken nehmen, wenn nicht über Neuabos? Eine der Fragen, auf die Tamedia bis Ende Jahr eine Antwort finden muss.
Über Zukunftsszenarien für seine Zeitung mag „Bund“-Chefredaktor Vogel nicht spekulieren. Nur so viel sagt er: „Mit einer Auflage von weiterhin unter 60’000 Exemplaren und einer 73-köpfigen Redaktion kann der ‚Bund‘ nicht weitermachen.“ Es werde deshalb Veränderungen geben müssen. „Ich hoffe, dass wir diese auf der Einnahmeseite hinkriegen und nicht beim Personal abbauen müssen.“
Damit das kein frommer Wunsch bleibt, müssten die Inserateeinnahmen in bisher ungekanntem Mass fliessen (bei den Abos ist ja nichts zu holen), was angesichts der negativen Konjunkturprognosen doch wenig wahrscheinlich ist. Damit wären wir dann doch beim Personal angelangt. Sollte Tamedia tatsächlich bei der „Bund“-Redaktion sparen und gleichzeitig der Maxime treu bleiben, wonach LeserInnen und Werbekunden profitieren sollen, dann wäre dies nur möglich, wenn die Einschnitte durch Kooperationen mit anderen Titeln kompensiert würden. Als logischer Partner bietet sich der „Tages-Anzeiger“ an, der in Aufmachung und Tonalität dem „Bund“ sehr ähnlich ist.
Als ein Signal dafür, dass Tamedia an den „Bund“ glaubt, kann man die Investition in die neuen, modernen Redaktionsräume im Medienhaus der Espace Media werten, wohin die „Bund“-Redaktion Ende April gezogen ist. Für total 18 Millionen Franken wird hier umgebaut. Neben einer optimistischen gibt es auch hier eine pessimistische Sichtweise: Das neue Grossraumbüro ist nutzungsneutral, darin kann auch eine Gratiszeitung oder eine Online-Plattform untergebracht werden. Woran sich der „Bund“ mit Garantie halten kann, ist leider nur das Bonmot: Totgesagte leben länger.
- Tags: Ausgabe 3 | 2008, Printmedien
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