“Facts”-Sirup
Das waren die “Facts”-Titelblätter im Januar: Zu Tode geschüttelte Babys (10.1.). Ein Skifahrer in einer Staublawine ? Sekunden später verschüttet oder tot, vierfarbig (17.1.). Oder jesus.ch mit Dornenkrone, fein rinnt das Blut über die Stirn, die “Absolution per Klick” (24.1.). Und der “Sex am Mittag ? 12 bis 14 Uhr: Die neue Zeit der Untreue”, zwei Erfolgreiche kleiden sich nach erfolgtem Beischlaf im Hotelzimmer wieder an, schwarzweiss (31.1.).
Die Titelgeschichten von Jesus bis Seitensprung sind wie Kindersirup: dünn und geschenkt. Wo zaubert “Facts” die vielen Stehsätze her? Der einzige Newswert in der Totschüttel-Geschichte beruht darin, dass ein berühmter Bergsteiger sein Baby ins Grab geschüttelt hat. Die Skifahrer-Geschichte hat man schon vor einem, vor zwei, fünf und zehn Jahren gelesen. Überraschend ist einzig, dass die Freerider trotz Klimawandel immer noch genügend Schnee finden, um sich darin umzubringen. Dass Gott ein Surfer ist, hat man indes nicht gewusst. Dass Jesus-Fans nicht besonders schlau sind, hingegen schon. Und so serviert “Facts” statt Fakten zu den ökonomischen und politischen Trieben der Gottes-Freaks eine Aneinanderreihung von Zitaten wie “Jesus ist ein Promi. Deshalb verdient er auch in der Schweiz eine eigene Internetseite”. Oder eben die sexhungrigen 40-Jährigen, die sich über Mittag mit ihren ArbeitskollegInnen vergnügen müssen. Chefredaktor Britschgi schreibt “vom kleinen Tod am Mittag”, der sich etwa so unterhaltsam liest wie die Gebrauchsanleitung einer Waschmaschine.
Langsam beginnt man die Strategie des Blattes zu verstehen. Ein bisschen Sex, ein bisschen Tod und Grauen, ein bisschen Glauben ? knackig verpackt als Ratgeber für politisch Gelangweilte, Karrierefrauen, Biedermänner. Zwischen Sex and Crime und vielen Bildchen sorgsam versteckt: die guten Geschichten ? über den Machtkampf im Leutschenbach, über die WEF-GegnerInnen, über Holocaust-Gelder und Schweizer Apartheidgeschäfte. “Facts” ist eigentlich viel besser als seine Verpackung. Britschgi glaubt aber offensichtlich, nur mit dem Sirupgesetz überleben zu können: Sie wollens dünn und wässrig ? er gibts ihnen dünn und wässrig.
Zora Zensura
- Tags: Ausgabe 1 | 2002, Service
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