Im Schraubstock
Der einstimmige Protest der Medienbranche gegen die zunehmenden Beschränkungen der Pressefreiheit ist nicht frei von Heuchelei.
So einig wie letzthin am 21. Mai hat man die Medienbranche selten gesehen: Max Rapold, allzeit umtriebiger Präsident des “Schweizerischen Verbands der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger” (SZV) und dazu – nach eigenem Verständnis – aus voller Seele Journalist, sprach, seinen Protest-Wortschatz bis zum äussersten strapazierend, von drohender “Vorzensur”. Anne-Marie Ley, die Vorsitzende des brav-bürgerlichen “Verbands der Schweizer Journalisten” (VSJ), drohte dunkel: “Einstweilen leben wir noch in einem Rechtsstaat.” Und der sonst so samtpfotige Antonio Riva, Generaldirektor der vielgeschmähten SRG, machte eine besonders traurige Miene zum bösen Spiel und pries die Liberalität unserer Nachbarländer.
Anlass zum einstimmigen Aufschrei der Vorstände war das neue Datenschutz-Gesetz. Weil es nach dem Willen der zuständigen Nationalrats-Kommission nicht Daten, sondern Personen schützen soll, möchten es rechte Politiker zur weiteren Reglementierung der hierzulande besonders unbeliebten Pressefreiheit nutzen.
Journalistinnen und Journalisten, liess der CVP-Hinterbänkler Theo Portmann aus Graubünden zusätzlich ins Gesetz schreiben, dürfen die Quellen ihres Wissens nur dann für sich behalten, wenn sie – notfalls vor Gericht – nachweisen, dass dies “zur freien Meinungsbildung” nötig sei. Grundsätzlich gilt: Von Recherchen-Notizen bis zum aufgezeichneten Politiker-Statement, vom Parteitags-Foto bis zum Manuskript-Entwurf ist alles öffentlich – wenn es ein Richter will, auch noch nach Jahren.
Und auf die Richter, weiss die Branche, ist derzeit weniger Verlass denn je; niemand hält die Pressefreiheit so eifrig im Schwitzkasten wie sie. Den Blick von Paragrafen verstellt und unbeleckt von jeder Sachkenntnis, deklarierte jüngst das Bundesgericht ein Interview mit einem Nähmaschinen-Fachmann als unlauteren Wettbewerb. In der “Bodensee-Zeitung” hatte der Experte auf Anfrage erklärt, die wirtschaftlichen Probleme der Firma “Gegauf” hätten ihren Ursprung in der veralteten Technik ihrer “Bernina”-Erzeugnisse. Der Journalist, der die Meinungsäusserung drucken liess, oder sein Verleger, muss nun blechen; der Interviewte wurde freigesprochen.
Das Urteil wird, weil es sich Journalistinnen und Journalisten und vor allem ihre Auftraggeber zu Herzen nehmen, schlimme Folgen haben – wie andere davor.
Denn in keinem anderen Industrie-Land wurden im Lauf der Jahre so viele einschlägige Stolperdrähte gespannt wie in der Schweiz. “Mit wenigen Ausnahmen”, schreibt der Medienjurist Raymond Lüdi, “haben diese Richtlinien das Ziel, Medienarbeit einzugrenzen und zu entschärfen.”
In einem Aufsatz für die April-Ausgabe des Verleger-Organs “SZV/ASEJ-Bulletin” (“Recherchieren – amtlich verhindert, Medienarbeit im Schraubstock der Gesetzgebung”) beschreibt Lüdi die Vielfalt der Rechtsgüter, die behütet werden sollen:
“Geschützt wird die Persönlichkeit des Individuums, seine Privat- und Geheimsphäre, seine Position im wirtschaftlichen Leben. Schützenswert sind aber in den Augen des Gesetzgebers auch die Geheimhaltung der staatlichen Verwaltungstätigkeit und die Geschäftsgeheimnisse der Privatwirtschaft.”
Selbst das Gegendarstellungsrecht, dem die Branche bei seiner Einführung vor drei Jahren viel Verständnis entgegenbrachte, ist inzwischen durch die Gerichtspraxis arg ins Zwielicht geraten. “Häufig” seien Verlage gezwungen, “wider besseres Wissen Tatsachenbehauptungen von Betroffenen zu publizieren” (Lüdi).
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verspricht noch eine weit schärfere Waffe gegen unliebsame Publizität zu werden. Denn es schützt nicht nur vor öffentlichen Äusserungen über ein Produkt – wie im Nähmaschinen-Fall – , sondern auch vor dem “Auskundschaften” von Geschäftsgeheimnissen. Und was ein Geschäftsgeheimnis ist, bestimmt ein Unternehmer selbstverständlich selbst. Recherchen im Unternehmer-Milieu, ist leicht vorauszusagen, werden damit praktisch unmöglich – es sei denn, sie deckten eindeutig illegale Machenschaften auf.
Ähnlich hermetisch können sich Politiker und Beamte gegen aufdringliche Blicke der Medien abschotten. Artikel 293 des Strafgesetzbuchs bedroht die Veröffentlichung von “geheimen amtlichen Verhandlungen” mit Strafe, wobei im Zweifel das Gericht festlegt, was als geheim zu gelten hat. So wurde einem Journalisten der “Basellandschaftlichen Zeitung” von einem Regierungsmitglied ein brisanter, noch unveröffentlichter parlamentarischer Kommissionsbericht zugesteckt. Verurteilt sah sich später nicht bloss der Geheimnisverräter aus der Exekutive, sondern auch der Redaktor, der den Vorgang öffentlich gemacht hatte, wie es sich gehört.
Besonders schlimm erscheint die Situation, weil den zahlreichen Geboten und Verboten hierzulande keinerlei positives Grundrecht gegenübersteht: Die Medienschaffenden können sich nicht, wie etwa in der Bundesrepublik, auf eine Informationspflicht der Behörden berufen. Und sie haben kein Zeugnisverweigerungsrecht wie in Deutschland und Österreich.
Typisch für das allgemein verbreitete falsche Bewusstsein ist die Art, wie der Bundesrat den St. Galler Nationalrat Paul Rechsteiner abputzte, als er letztes Jahr per Motion “die Schaffung von Informationsrechten der Bürgerinnen und Bürger im schweizerischen Recht” verlangte. In ihrer halbseitigen Antwort verwies die Regierung auf zwei Vorstösse von 1982 zu ähnlichen Themen, stellte fest, dass der Entwurf zu einem entsprechenden Reglement “von der Verwaltung mit Skepsis” aufgenommen und deshalb eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt worden sei, punktum. Die Motion sei deshalb in ein unverbindliches Postulat umzuwandeln.
Nicht nur beim Fehlen der Grundrechte im Bereich der Informationsfreiheit, sondern auch bei der repressiven Handhabung der Meinungsäusserungsfreiheit ist die Eidgnoessenschaft ein Sonderfall. Weder Deutschland noch Österreich wenden das Wettbewerbsrecht auf Medienschaffende an, wie dies im Schweizer UWG geschieht; und keines der beiden Länder fesselt die Medienschaffenden mit einem Datenschutzgesetz.
Nur: Für mehr Medienfreiheit und gegen alle Versuche, sie einzuschränken, hat in Helvetien bisher niemand mit Gewicht gekämpft! Die Verleger, die jetzt so wortgewaltig gegen die Neuerungen im Datenschutzgesetz wettern, das UWG geisseln und das Gegendarstellungsrecht kritisieren, und die bürgerlich-liberalen Journalisten-Funktionäre, die nun Zetermordio schreien und die Pressefreiheit bedroht sehen, haben nie etwas Nennenswertes unternommen, um die notorischen Mängel zu beheben.
Wer bisher das Fehlen einer Tradition der Meinungsäusserungsfreiheit in diesem Land beklagte, galt den Protestlern bis vor kurzem als linker oder radikal-seniler Übertreiber. Und wer die Frechheit hatte, die Behörden auf ihre Informationspflicht festzulegen, weil dies heute die einzige Möglichkeit ist, die Staatstätigkeit transparent, das heisst bürgernah zu machen, wurde als paranoid verdächtigt oder hörte im günstigsten Fall: Da könnte ja jeder kommen!
Am Durchsetzungswillen der vereinigten Protestfront darf deshalb gezweifelt werden. Könnte es sein, dass die Verleger vor allem Angst vor Bussgeld-Zahlungen haben, die ihnen womöglich künftig drohen, wenn sie ihre Schreibkräfte behalten wollen? Und könnte es sein, dass sich der Journalisten-Verband auf enge Tuchfühlung mit den Arbeitgebern begibt, um in dieser Hinsicht vorauseilende Solidarität zu üben?
Wie kampfentschlossen die Pressefreiheits-Kämpfer sind oder wie geheuchelt ihr Mut-Ausbruch war, wird sich an der Reaktion auf die nächsten einschlägigen Richtsprüche messen lassen. Und daran, wie frei und unabhängig, wie mutig und entschlossen Journalistinnen und Journalisten, Verlegerinnen und Verleger – von der NZZ bis zur “Glückspost” – sich für eine aufklärerische, demokratische, allem kommerziell interessanten Firlefanz abholde Publizistik engagieren.
Schmonzes! Wochen vor Ausbruch der allumfassenden Protest-Welle führte Gottlieb F. Höpli, der eleganteste Pirouetten-Künstler im NZZ-Zirkus, seinem Publikum einen einschlägigen Drehschleuder-Axel vor:
Wortreich und eindrücklich bejammerte er Mitte März “fragwürdige Retourkutschen gegen die ‘vierte Gewalt'”. “Das Korsett der Medien”, stellte er voyeuristisch fest, werde “enger”. Verantwortlich dafür seien die Politiker, die es mit ihrem Datenschutz-Zusatz “Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens” ermöglichten, “nur noch gefilterte Aussagen … an die Öffentlichkeit dringen zu lassen”. Vom Paragrafen über das “Auskunftsrecht im Bereich der Medien” würden “auch jene Journalisten arg behindert, die sich jenseits von Ideologien und gesellschaftlichen Grabenkämpfen ganz einfach auf der Suche nach der grösstmöglichen Erkenntnis, nach der Wahrheit befinden”.
Über die Schuldigen für die arge Behinderung hatte Pirouettier Höpli, hopplahopp, seine Leser bereits zu Beginn seines Kommentars aufgeklärt – und damit Pressefreiheit als eine Art FDP-Privileg definiert:
“Seit dem Sturz von Bundesrätin Elisabeth Kopp haben merkwürdigerweise vor allem die flächendeckenden ‘Ausgewogenheits-‘ und ‘Forumsmedien’ ihre Aufgabe darin gesehen, durch unablässig hämmernde Betonung einiger weniger Negativ-Themen – Staatsschutz, Fichen – eine eigentliche Vertrauens- und Staatskrise auszurufen. Ihre Fundamentalopposition gegen das ‘System’ hat nicht nur viele Politiker, sondern auch breite Bevölkerungskreise erzürnt. Die politische Stimmung gegenüber den Medien hat sich denn auch spürbar abgekühlt. Nun besteht die Gefahr politischer Überreaktionen, die nicht mehr bloss den Missbrauch der Pressefreiheit korrigieren, sondern deren Wesenskern verletzen könnten.”
- Tags: Ausgabe 3 | 1991, GESETZGEBUNG
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