10. Juli 2007 von Klartext

Kein gutes Haar an Betty M.

Von Margrit Bachl

Das Buch “Nicht ohne meine Tochter” von Betty Mahmoody ist dumm, rassistisch und arrogant, die Abhandlung von Sabine Reichel (KLARTEXT 4/91), die seit 15 Jahren in den USA lebt, ist all dies ebenfalls, und dazu noch sexistisch. Reichels pauschale, unreflektierte Aussagen sind derart penetrant, dass die berechtigte Kritik an Mahmoodys Buch nicht ankommt und nicht glaubhaft wirkt. Was zum Beispiel hat das Aussehen Mahmoodys mit ihrem Buch zu tun? Wieso besteht Reichel darauf, dass die Autorin “den klassischen Typ der hässlichen Amerikanerin” darstellt, dass sie eine “mürrische 46jährige Vorortshausfrau” ist, dass “diese langweilige ehemalige Angestellte mit dem Charme eines Dobermanns”, diese “farblose, unsympathische Frau”, die “absolut bedeutungslos” ist, froh sein muss, dass “die sicherlich psychosomatischen Kopfschmerzen” ihr “einen gebildeten Freier in die Arme trieben”? Wie im Gegensatz zu diesen Sätzen lächelt uns eine nicht unsympathische und durchschnittlich schöne Frau aus der Fotografie entgegen. Reichels Schimpftirade auf die hässliche Betty suggeriert aber: Diese dumme, langweilige Frau hat verdient, was ihr zugestossen ist. Was hatte die sich auch, so hässlich wie sie ist, einen Arzt zu angeln?
Aber Reichel attackiert nicht nur Mahmoody persönlich, sie greift auch die Frauen allgemein an: So sind “amerikanische Bestsellerautorinnen dieses Formats” durchweg “extrem einfältige, mittelmässige und minderbemittelte Frauen, deren Schreibwut und Geschwätzigkeit Hunderte von Seiten meist unwichtiger Quengeleien füllen”. Na bitte, da haben wir es: Weil eine Mahmoody ein dummes Buch schreibt, werden alle anderen Bestsellerautorinnen in denselben Topf geworfen. Bloss die Bestsellerautoren werden von der Kritik ausgenommen.

Nicht nur haben die ewig klagenden, doppelbelasteten Weiber Zeit, ein Buch zu schreiben, sie haben auch Zeit, eines zu lesen. Da sollen sie gefälligst aufhören, über Doppelbelastung zu klagen, belehrt uns Reichel. Dass für sie Feminismus kein Thema ist, zeigt sie, indem sie behauptet, Mahmoodys Buch sei “zurechtgestutzt auf den Horizont von militanten Feministinnen und auf die Bedürfnisse von wütenden Muttis”. Weil militante Feministinnen Männerhasserinnen sind und froh um jedes Buch, in dem ein Mann schlecht wegkommt? Wenn Reichel das meint, ist sie reichlich schlecht informiert, sind es doch gerade die Feministinnen, die immer wieder auf die Parallelen zwischen Sexismus und Rassismus hinweisen und sich deshalb hüten, Mahmoodys rassistische Sichtweise gegenüber der Kultur ihres Mannes zu übernehmen.
Vielleicht meint aber Reichel, dass sich die Feministinnen an der Tatsache ergötzen, dass das “Geschlecht mal wieder schön solidarisch und unter sich” ist, und “man sich als das ausgenutzte Geschlecht hinstellt, naiv, gutgläubig, untertan, hilflos”? Mahmoody jedenfalls hat sich zu helfen gewusst. Und das “solidarische Geschlecht” suchen wir im Buch vergebens. Die Frauen, auf die Mahmoody im Iran trifft, sind (fast) allesamt nicht vertrauenswürdig, und auf sie ist kein Verlass. Bei der Flucht sind ihr ausschliesslich Männer behilflich.
Reichel schlägt dem Fass den Boden aus, wenn sie Mahmoody vorwirft, sie kämpfe nicht für politische oder geistige Belange der Welt, sondern für die eigenen vier Wände und “mit der Gebärmutter statt mit dem Gehirn”. Die Person möchte ich sehen, die in einer persönlich so verfahrenen Situation zuerst für politische oder geistige Belange kämpft, bevor sie sich an ihre persönlichen, ans Lebendige gehenden Probleme macht.
Mahmoodys Buch ist gewiss keine bereichernde, horizonterweiternde Lektüre, aber das ist wohl auch nicht der Anspruch der Autorin. Es ist der äusserst subjektive, ziemlich unbedarft und bewusst verkaufsfördernd geschriebene Erlebnisbericht einer Frau, der wir als Leserinnen und Leser immerhin abnehmen, dass sie Schreckliches erlebt hat. Denn weder das vorurteilsgeladene Buch der überforderten Mahmoody noch die pseudo-antirassistische Haltung der Kritikerin machen die Tatsache ungeschehen, dass Frauen in patriarchalisch geprägten Strukturen (auch bei uns) Gewalt erfahren. Dass im Iran die Gesetze frauenfeindlich sind, das behaupten nicht nur simple Geister und Rassistinnen und Rassisten. Sexismus aus Angst vor dem Vorwurf des Rassismus zu verneinen bringt uns dem Verständnis der Realität nicht näher. Völlig undienlich, ja ärgerlich wird die Sache, wenn Reichel zu einer durch und durch sexistischen Argumentation greift, um Mahmoodys Rassismus zu denunzieren und gleichzeitig ihren eigenen Antirassismus hervorzustreichen. (Dabei ist Reichel vor Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen nicht gefeit: Sie dürfte ihre liebe Mühe haben mit diesen Amerikanern, denen “sofort Schweissperlen auf der Stirn” stehen, wenn sie länger als eine Woche ohne Fast Food und Fast Money auskommen müssen, die so “beruhigend abstumpfend” wirken.)

Gewiss hat Mahmoodys Scheitern teilweise individuelle Gründe, zum Beispiel ist sie absolut nicht bereit, sich auf die iranischen Menschen und ihre Mentalität einzulassen. Aber zum Teil ist ihre Geschichte auch möglich geworden, weil im Iran damals die beschriebenen unerträglichen Verhältnisse herrschten. Dieses Klima der Angst und Gewalt kann im Buch eines linken Journalisten nachgelesen werden, der in Deutschland Asyl bekommen hat und nach der Machtübernahme von Khomeini in den Iran zurückgekehrt ist, aber schon nach kurzer Zeit erneut exilieren musste (Bahman Nirumand: “Iran – hinter den Gittern verdorren die Blumen”). Wenn Mahmoody unter solchen Bedingungen wieder in die USA zurückkehren wollte, kann ich das im Gegensatz zu Reichel verstehen, auch wenn ich Mahmoodys pathetischen Patriotismus nicht goutiere. Dass sie ihre Tochter nicht bei ihrem schlagenden, gewalttätigen und unter psychischen Problemen leidenden Ehemann zurücklassen mochte, kann ich nachvollziehen.

In ihrem grenzenlosen, in seiner Heftigkeit mir unerklärlichen Hass lässt Reichel an Mahmoody kein gutes Haar mehr. Das ist zerstörerisch und bringt die Rassismus-Diskussion nicht weiter.

Die Autorin

KLARTEXT-Gast Margrit Bachl, 33, ist Redaktorin bei der “Berner Zeitung”. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit gesellschaftspolitischen Themen, hauptsächlich mit Rassismus und Sexismus. Der vorliegende Text ist eine Replik auf den in KLARTEXT 4/91 erschienenen Artikel “Ich hasse Betty Mahmoody”, in dem die in den USA lebende deutsche Journalistin Sabine Reichel harte Kritik an der amerikanischen Autorin des Bestsellers “Nicht ohne meine Tochter” übte. Bachl hält Reichels Abrechnung mit Mahmoody für “pseudo-antirassistisch” und “sexistisch”.

10. Juli 2007 von Klartext

Das Märchen von der Quadratur des Zirkels

Von August E. Hohler

Once upon a time … Ein Märchen, ein wahres. Aber das Märchen handelt nicht von der rezenten Krise beim “Tages-Anzeiger”, die “zum (vorläufig) guten Ende” (NZZ) gekommen ist, zumal sich bei Niederschrift dieser Zeilen, Ende September, der Wahrheitsgehalt des Happy-Ends nicht entfernt überprüfen lässt. Es handelt von derselben Zeitung, spielt vor langer oder auch nicht so langer Zeit und ist jedenfalls, mit Thomas Mann zu reden, “unbedingt in der Zeitform der tiefsten Vergangenheit vorzutragen”. Es handelt von der allmählichen Verwandlung eines grauen Anzeigers in ein Farbe bekennendes, engagiertes Blatt und ist vielleicht eher ein bisschen unglaublich als märchenhaft.
Once upon a time … Zürich, fünfziger Jahre. Werden Sie mir glauben, junge Leserinnen und Leser, dass ich, einer von zwölf Redaktoren, jede zweite Woche jeden Morgen, acht Jahre lang, um 03.30 Uhr aufstehe und um 04.00 Uhr, da nicht im Besitz eines Autos, vom Taxi zum “Tages-Anzeiger” gefahren werde, wo ich a) den Briefkasten leere, b) die meterlangen Papierschlangen der Fernschreiber abschneide und sortiere, c) die aktuellen Fotos auswähle (die dann um ca. 04.30 Uhr vom Veloboten der “Photopress” abgeholt und eine gute Stunde später als Clichés zurückgebracht werden), d) endlich damit beginnen kann, noch immer allein im Haus, die Auslandsmeldungen zu redigieren, im Normalfall eher für die zweite Seite, denn Stehsatz für die erste ist schon da und vorumbrochen, von Frontpage ist (noch) keine Rede, so dass e) der Restumbruch verbleibt, zu dem inzwischen auch Kollegen vom Inland, Lokalen etc. eingetroffen sind, worauf f) nach sieben Uhr die Rotationsmaschinen zu laufen beginnen …

So war es, eine riskante Idylle. Der andere junge Auslandredaktor war Walter Stutzer, Senior im Ressort war Fritz Vogelsanger, der uns das Handwerk des Redigierens beibrachte und eine Meinung hatte, aber kaum je eine Zeile schrieb, sowenig wie der damalige Chefredaktor, der Wenninger hiess und von dem mir keine Meinung erinnerlich ist. Sie war nicht gefragt. Der Lohn war allmonatlich abzuholen im unteren Stock beim alten Herrn Coninx, Senior des jetzigen Seniors, Aug’ in Auge, Unterschrift, Handschlag.
Für weltpolitische Übersichten zum Wochenende hatten wir zwei würdige externe Mitarbeiter, Paul P. und Dr. J.F.K., mit denen wir jeweils am Mittwoch oder Donnerstag das Thema des nächsten Leitartikels besprachen. Als Schöngeist, der statt in Walter Boeschs Feuilleton ins Ausland geraten war (zu Beginn mit einem Viertelbein in der Wirtschaft, weil eine kaufmännische Lehre hinter mir habend), schrieb ich drei Jahre lang keine aussenpolitische Zeile, was übrigens durchaus sinnvoll war. Aber mit der Zeit fanden wst. und später auch ich, wir könnten eigentlich, statt uns immer nur mit P.P. und J.F.K. herumzuschlagen, ab und zu selber etwas schreiben. Es entstanden Kurzkommentare, sogar redaktionelle Leitartikel, anlässlich der Ungarn- und Suezkrise, 1956, kamen wir uns schon ziemlich professionell vor.

Das war ein Anfang. Ein anderer, um Vergebung, ist heute nur noch komisch. Ich hatte nebenbei die wöchentliche Seite “Für die Frau” zu betreuen, das zugestandene Gärtchen, in dem erbauliche Betrachtungen angestellt, Ratschläge erteilt und Rezepte vorgeschlagen wurden. Dann geschah es, ein Glücksfall, dass ich Laure Wyss kennenlernte, welche damals die Frauenbeilage mehrerer bürgerlicher Tageszeitungen redigierte. Bei ihr durfte ich pseudonymlich Glossen über Familiäres schreiben, sie ergriff bei mir als “Katharina Latterbach” das Wort, eine Zeitlang kreuzten wir im Gärtchen unter Pseudonym die Klingen, so dass es ansatzweise zum Fechtplatz dessen wurde, was später als Emanzipation die Gemüter bewegte. Laure Wyss, dies die erfreuliche Folge, kam zum “Tages-Anzeiger”, übernahm die Seiten “Leben heute” in der Wochenendausgabe “TA 7”, der Vorläuferin des “Tagi-Magazins”, an dessen Gestaltung und Glanzzeit sie dann zusammen mit Peter Frey so entscheidenden Anteil hatte.
Aber ich greife vor und muss mich vor ausschweifendem Erzählen hüten. Der junge Auslandredaktor A.E.H. verwandelte sich (mehr dem Elan seiner Frau gehorchend als dem eignen Triebe) vorübergehend in einen Bonner Korrespondenten und lernte als solcher im geteilten Deutschland die Torheiten von Kommunismus und kapitalistischem Antikommunismus aus der Nähe kennen, glaubte schliesslich bald gar nichts mehr von dem, was konservative Erziehung, Schule und Hochschule ihm eingebleut hatten. Aufklärung ab ovo wurde überlebensnotwendig, Umrisse eines humanen Weltbildes wurden sichtbar, Bundesgenossen waren erwünscht und stellten sich ein. Peter Frey, statt dass ich zu ihm an “Die Woche” ging, kam an den “Tages-Anzeiger”, Regula Renschler wurde die erste politische Redaktorin hierzulande, Hans Tschäni sorgte im Inland, Hugo Leber im Feuilleton und im TAM für frischen Wind. Es war nicht alles Gold, bewahre, aber es war ein Drang und eine Lust, kräftiger zu schreiben, ohne ständiges Schielen auf sogenannte Mehrheitsbedürfnisse, wenn auch dem Kollegen Walter Stutzer, inzwischen Chefredaktor, mein eifriger “radikaler Humanismus”, der sich bei Erich Fromm ernährte, bisweilen zu weit ging.
Ja, wir hatten unsere Hausgötter im “TA 7”, Fromm, wie gesagt, Jean Améry, Arnold Künzli, Max Frisch, Eduard Zellweger, den Historiker Valentin Gitermann (bester Russlandkenner des Landes, der, weil “links”, in Zürich nicht Universitätsprofessor werden durfte). Aber die Zeitung hatte auch glänzende Schreiber unter ihren Korrespondenten: Gody Suter in Berlin, Roland Nitsche in Wien, Gustav Mersu in Rom … und junge Talente auf der Redaktion, Marlies Strech, Peter Meier, Peter Studer, dessen Abgeklärtheit mich schon damals verwunderte.
Das waren Anfänge, Anläufe, Ansätze einer engagierten, kritischen Zeitung, die der TA allmählich wurde. Als er es war, gefährdet immer wieder, war ich schon nicht mehr dabei. Once upon a time …

Aber es gab eine Zeit, in den siebziger Jahren, da wir in Basel an “National-Zeitung” und “nz am wochenende” in ehrgeizig-anregendem Wettstreit mit TA und TA-Magazin um die Gunst einer kritischen Leserschaft warben. Vorher und nachher freilich, 1969 beim Wechsel der Aktienmehrheit an der “Weltwoche”, 1976 bei der Basler Fusion, machte ich hautnah dieselbe bittere Erfahrung wie jetzt die Leute vom “Tages-Anzeiger”: “Wo massive Interessen auf dem Spiel stehen, hört der Spass auf. Im Clinch mit der Wirtschaft verliert immer die Demokratie, im Clinch mit dem Profit immer der Mensch.” (Zitat aus meinem Essay “Der Mann mit dem Hammer”, in: “Redefreiheit – ein Begriff”, 1991). Die alte Geschichte.
Neu an den Vorgängen beim TA scheint mir dreierlei zu sein: dass es da um die grösste seriöse Tageszeitung geht; dass die Manager des Blattes ihre Interessen in seltener Unverfrorenheit aufdeckten; dass eine breite Öffentlichkeit in seltener und anscheinend erfolgreicher Heftigkeit darauf reagiert hat. Also doch ein Happy-End?
Wenn Friedensforscher wie Johan Galtung oder Till Bastian mit ihrer These recht haben, wonach wirtschaftliches Wachstum und Frieden, wirtschaftliches Wachstum und Ökologie unvereinbar geworden sind (siehe Golfkrieg! siehe Autoverrücktheit!), dann wird die kritische, “unabhängige” Zeitung, von Fernsehen und Radio nicht zu reden, letztlich zur Quadratur des Zirkels. Das ist pessimistisch, ja. Was bleibt? Wir haben keine Chance, nutzen wir sie! Trotz allem, immer wieder.
Märchen sind lebenswichtig.

Der Autor

KLARTEXT-Gast August E. Hohler, 66, hat während seiner 15 Jahre dauernden Tätigkeit beim “Tages-Anzeiger” die Entwicklung vom faden Allerweltsblatt zur politisch profilierten Zeitung miterlebt und entscheidend mitgeprägt. Er war von 1952 bis 1960 Auslandredaktor, von 1960 bis 1962 Bonner Korrespondent und von 1963 bis 1967 Leiter der “Tagi”-Wochenendbeilage “TA 7”. Danach, von 1967 bis 1969, war Hohler Chefredaktor der “Weltwoche” und schliesslich, von 1969 bis 1979, Leitender Redaktor bei der “National-Zeitung” und – nach der 1976 vollzogenen Fusion mit den “Basler Nachrichten” – bei der “Basler Zeitung”. Daneben arbeitete er regelmässig für Fernsehen und Radio. Nach einem psychotherapeutischen Weiterbildungsaufenthalt in den USA verabschiedete sich Dr. phil. August E. Hohler vom Tagesjournalismus und eröffnete 1981 in Basel eine psychologische Praxis. Daneben blieb er freilich stets auch publizistisch tätig. Sein letztes Buch erschien 1990: “Der Nagel ist nicht das Bild”.

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