10. Juli 2007 von Klartext

Ich hasse Betty Mahmoody

Sabine Reichel über einen verlogenen Weltbestseller

Ich habe mir das heldinnenhafte Getue der Super-Mom lange genug mitangesehen, musste ihre eintönigen, wenn auch einträglichen Diskurse über feindliche Länder anhören und obendrein auch noch atemloses Lobpreisen von aufgeregten deutschen Frauen. Nun gut, dachte ich, die Mahmoody-Mania wird bald gnädig abebben. Doch ein erneuter Blick auf die Bestsellerlisten belehrte mich eines Besseren. Betty bleibt, und jetzt muss ich zur Abwechslung einfach mal raus mit der Sprache. Ich hasse Betty Mahmoody. Nicht nur, weil amerikanische Bestsellerautorinnen dieses Formats durchweg extrem einfältige, mittelmässige und minderbemittelte Frauen sind, deren Schreibwut und Geschwätzigkeit Hunderte von Seiten meist unwichtiger Quengeleienbücher füllen, sondern weil es sich bei Frau Mahmoody ausserdem um den klassischen Typ der hässlichen Amerikanerin handelt. Ich darf das sagen, denn ich lebe lange genug in Amerika, um das beurteilen zu können.
“Nicht ohne meine Tochter” heisst der üble Schicksalsschinken. Und nach den unentrinnbaren Auftritten der mürrischen 46jährigen Vorortshausfrau aus Michigan zu urteilen, geht’s scheinbar auch nicht ohne Betty Mahmoody, die selbstgerechte Amateurautorin von amerikanischen Gnaden, die geisselt und geifert, weisswäscht und schwarzfärbt, dass sich die Streifen auf dem star spangled banner nur so biegen.

Wollen wir sie doch einfach Betty nennen, denn erstens sind wir in Amerika und ohne umständliches Kennenlernen immer “on first name base”, zweitens ist ihr Nachname der ihres verhassten iranischen Mannes. Eigentlich seltsam, dass sie seinen Namen weiter tragen mag – immerhin ist ihr Mädchenname “Love” – , aber ein ausländischer Nachname ist natürlich besser für das Buch, signalisiert er doch das Fremde, Gefährliche und Geheimnisvolle, was ja auch das verschleierte Gesicht und die schwarzen Kohleaugen ausdrücken, die das Buchcover zieren.
Warum so ein Buch von einer Amerikanerin, die mit ihrer damals vierjährigen Tochter Mahtab von 1984 bis 1986 in Persien von ihrem einheimischen Ehemann festgehalten wurde, im deutschsprachigen Europa ein Bestseller ist (mehr als zwei Millionen Auflage allein in Deutschland), ist wohl klar. Es handelt von einem ureigenen Frauenthema: der Machtherrschaft der Mutter und der Symbiose von Mutter und Tochter. Warum es in Amerika ein Bestseller ist, liegt ausserdem am amerikanischen Nationalismus, der darin zelebriert wird, aber darauf kommen wir noch zurück.
An dieser Mutter-Tochter-Beziehung nun wird alles aufgehängt, weil speziell diese Kombination Leidenschaft aufkommen und Tränen rollen lässt und ausserdem grosse Identifikationsmöglichkeiten erlaubt. Kein Mensch hätte so ein Buch gelesen, wenn es “Nicht ohne meine Oma” geheissen oder es sich lediglich um einen windigen Liebhaber oder einen schlecht erzogenen Neffen gehandelt hätte. Überhaupt hätte sich niemand um Betty gekümmert – denn was diese langweilige ehemalige Angestellte mit dem Charme eines Dobermanns treibt oder nicht treibt, ist ausser dem wirklich traurigen Faktum, dass ihr banales Leben durch einige tragische Umstände aus den uninteressanten Bahnen geworfen wurde, absolut bedeutungslos.
Männer rühren so ein Zeug schlauerweise nicht an, aber “als Frau muss man es gelesen haben”, heisst es hier in Amerika wie auch weltweit über das Buch, und das ist nicht erstaunlich, denn diese Art von “Erlebnisbericht” ist von Frauen für Frauen geschrieben, die trotz grosser Klagen über Doppelbelastung immer Zeit für einen Schmöker haben, der den Mief schwitzender Empörung verströmt.
In der Verkleinerung und Entpolitisierung dieses eigentlich sehr explosiven Themas, zurechtgestutzt auf den Horizont von militanten Feministinnen und auf die Bedürfnisse von wütenden Muttis (in diesem Falle von einer amerikanischen Mutter, und das ist schliesslich nicht irgendeine Person), liegt denn auch die Verkäuflichkeit. In so einem “Frauenbuch” ist das Geschlecht mal wieder schön solidarisch und unter sich, man kann eine Front bilden, sich wichtig fühlen dadurch, dass man sich als das ausgenutzte Geschlecht hinstellt, naiv, gutgläubig, untertan, hilflos – und doch wieder wild kämpfend, nicht für politische oder geistige Belange der Welt – da sei Frau vor – , sondern für die eigenen vier Wände und mit der Gebärmutter statt mit dem Gehirn.
Hier hat Betty es mal stellvertretend allen Männern gezeigt. Ein Kind ist ein Besitz und die Gier nach der Macht der Mutterrolle mächtiger als alle Religionen und Ehemänner der Welt. “Sei wie ein Amerikaner”, sagt sie sinnbildlich zu ihrem Mann, “sonst nehme ich dir das Kind weg.” Der Mann, nachdem er zum Vater gemacht worden ist, hat seine Schuldigkeit getan. Er wird nicht mehr gebraucht, ist der Eindringling, in diesem Fall ein echter Ausländer der sinistren Sorte. Die Männerfeindlichkeit in einem von Frauen dominierten, kastrierenden Land wie Amerika findet ihren Ausdruck im Symbol des Ausländers, der dem gelobten Land Amerika den Rücken kehrt, ein wahrlich krimineller Akt.

Dass Betty trotz des pathologischen Patriotismus, den sie mit allen Amerikanern teilt, einen Perser heiratete, ist wahrscheinlich mehr Dankbarkeit als Rebellion und Unabhängigkeit. Als geschiedener, berufstätiger Frau mit zwei Söhnen in einem langweiligen Nest kam ihr Dr. Mahmoody gerade recht. Er warb um sie mit Sitte und Anstand, und die beiden heirateten nach drei Jahren. Nun muss man dazu sagen, dass, wie fast überall in den westlichen Ländern, Ehen zwischen den weissen Töchtern des Landes und fremdartigen, dunkelhäutigen Männern sehr ungern gesehen werden. Und gerade in Amerika, das sich so gerne tolerant und weltoffen gibt, wird derlei in Kleinstädten mit grösster Wachsamkeit beobachtet. Aber Herr Mahmoody hatte ein grosses Plus, das die Verwandtschaft grosszügig über die Tatsache, dass er nicht besonders anziehend aussah und aus einem durch und durch unangenehmen Land kam, hinwegsehen liess: Er war ein Doktor, und das ist ein genauso guter Fang wie ein Rechtsanwalt. Betty, die genausowenig anziehende amerikanische Allerweltsfrau mit dem unliebenswürdigen Gesichtsausdruck, konnte von Glück sprechen, dass ihr die sicherlich psychosomatischen Kopfschmerzen, deretwegen sie den Arzt Dr. Mahmoody aufsuchte, so einen gebildeten Freier in die Arme trieben.
Das Buch besteht zu einem Grossteil daraus, die Autorin als eine vorbildliche Staatsbürgerin zu zeigen, deren Aufgabe darin besteht, wertvolles amerikanisches Gedankengut in das Hirn ihres unschuldigen Kindes zu trommeln, und deren eigene Wertmessung nur davon abhängt, wie amerikanisch sie ihre Tochter aufwachsen lassen kann. Schon allein durch dieses Faktum sind die iranischen Verwandten nicht nur barbarische, wenig lachende Kreaturen, sondern schlichtweg perfide, hinterhältige Verbrecher, die einer Mutter amerikanische Ideale entziehen wollen.
Die beste Erziehung der Welt ist nicht etwa, sich auf horizonterweiternde Erfahrungen in fernen Ländern einzulassen, sondern ganz einfach Amerikaner sein zu dürfen, egal ob als Underdog in einem Slum von Chicago oder als Verkäuferin in New Jersey, denn das veredelt automatisch. Amerikanisch zu sein, ist eine Auszeichnung und eine Belohnung, und das Fazit des Buches ist, dass man bestraft wird, wenn man Amerika den Rücken kehrt und törichterweise versucht, andere Lebensformen, andere Philosophien und Religionen auch nur zu verstehen.
Es gibt daher sehr wenige Amerikaner, die es lange im Ausland aushalten. Jedem Amerikaner, der länger als eine Woche ohne amerikanische Dinge auskommen muss, stehen sofort Schweissperlen auf der Stirn. Zu stark ist die Sehnsucht nach Hamburgers und Shopping Malls, Baseball, fast food und fast money, nach der amerikanischen Uniformität, die so beruhigend abstumpfend wirkt. Wenn man sich gegen das amerikanische Diktat des Immer-Glücklichseins richtet – und das wagen manchmal nur jüdische Intellektuelle und Ausländer – , ist man ein Ausgestossener. “Go back where you came from” ist dem Sinne nach keineswegs nur eine deutsche oder schweizerische Floskel, die Gastarbeitern entgegengeschleudert wird. Irrigerweise wird Amerika, besonders New York, seit ewigen Zeiten als Schmelztiegel gesehen. Das einzige, was schmilzt, sind die New Yorker im Juli, ansonsten gibt es so viel Gegeneinander, so viel Hass und Unmut, Rassismus und Misstrauen, dass man es kaum für möglich hält. Man muss nur den Schmelztiegel wörtlich nehmen, dann entspricht der Ausdruck mehr den Tatsachen, und das würde bedeuten, dass die herrlich reiche Verschiedenheit der Immigranten aus allen Ländern zu einer fürchterlich identitätslosen Einheitssauce zusammengeschmolzen wurde, die jederlei würzigen Geschmack verloren hat. Das wird als positiv gewertet, denn man ist in Amerika, weil man amerikanisch unter Amerikanern sein möchte, und weil alle so oft unaufgefordert sagen, dass es “the greatest country in the world” ist, bis man es selber glaubt.

Und so ist auch die Ehe von Betty und “Moody” nur ein Symbol dafür, dass in Amerika zwei Kulturen nicht wirklich zusammenkommen dürfen, wenn sich nicht die fremde der amerikanischen unterwirft. Der Sieger ist immer Amerika. In so einem gleichgeschalteten Land, wo während des Golfkriegs in der New Yorker Subway kleine Amerika-Fähnchen stolz von radebrechenden, abgerissen ausschauenden Frauen aus der Dominikanischen Republik verkauft wurden, in so einem Land ist jeder Funke Individualität, jedes Anderssein so alarmierend und bedrohlich, dass nur Flaggen und patriotisches Geschwätz die tiefsitzende Angst vor Isolation bannen können.
Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Betty sich über all die schrecklichen, bösen Menschen und widerwärtigen Sitten ganz fürchterlich wundert und aufregt. Aber auch hier wird wieder etwas typisch Amerikanisches sichtbar, nämlich die Ignoranz gegenüber dem Fremden. Man möchte als selbstverständlich annehmen, dass man sich, bevor man in eine völlig fremde Kultur eindringt, einiges Wissen über Gepflogenheiten und Religion dieses Landes aneignet. Nicht so Betty. Sie redet offensichtlich mit ihrem Mann nicht weiter über ihre Reise in den Iran, weiss nicht, dass sie ihre amerikanische Staatsbürgerschaft durch die Heirat verliert. Unpolitisch, weltfremd und völlig desinteressiert an der Heimat ihres Gatten, hält sie irgendeine Auseinandersetzung damit nicht für nötig, denn der Iran ist für sie lediglich ein Land mit vermummten Gestalten und fanatischen Ideen, und sie weiss darüber so wenig wie über alle anderen fremden Länder.
Unzumutbare Zustände erwarten dann auch unsere Betty in diesem unzivilisierten Land. Zur Begrüssung liegt schon mal ein frisch geschlachtetes Lamm in einer Blutlache vor der Haustür anstatt dass amerikanische Würstchen im Schlafrock (Piggies in a blanket) und Diät-“Pepsi” bei einer geselligen Barbecue-Party gereicht werden. Die Iraner baden angeblich nur einmal im Jahr, unvorstellbar für Betty, die aus einem Land kommt, in dem ununterbrochen am Körper herumgewaschen, gebleicht, gezupft, gesprayt, desinfiziert und parfümiert wird und wo Haare an den Beinen und in den Achselhöhlen eine unzumutbare Obszönität darstellen. Wirklich komisch ist die Stelle im Buch, wo Betty sich über Käfer im Reis aufregt. Sie müsste mal nach New York kommen, wo sich selbst in den feinsten Luxus-Apartments an der Fifth Avenue die berühmten Cockroaches, diese agilen kleinen, braunen, untilgbaren Kakerlaken, in Hundertschaften nachts über Krümel in der Küche hermachen und wo ein toter Cockroach, eingebettet im Salat oder auf dem Rücken schwimmend im Kaffee, nichts als ein schicksalsergebenes Schulterzucken bei Restaurantgästen und Kellnern hervorruft.

Betty wird dieser Tage überall herumgereicht, gefeiert, bewundert, hofiert. Sie, die farblose, unsympathische Frau, ist reich geworden, und sie nimmt all die Aufmerksamkeit, wenn man den Fernsehbildern glauben darf, mit einer selbstverständlichen Arroganz entgegen, der ein Schuss gefälliges Muttermärtyrertum beigemengt ist. Immerhin hat sie der Welt gezeigt, dass man keine amerikanische Staatsbürgerin vom heimatlichen Paradies fernhalten kann, ohne dass dieser unmenschliche Akt gnadenlos geahndet wird – und wenn es nur durch das Schreiben eines Buches passiert.
Sie hat ausserdem in ihrer Heimatstadt Elsie in Michigan einen Ehrendoktor erhalten, unter anderem für Mut und Tapferkeit, und sie hat auch das ganz selbstverständlichg und mit der Würde einer Forscherin angenommen, die gerade ein Mittel gegen Aids gefunden hat. Worin genau ihr Heldentum besteht, ist nicht rauszukriegen. Weil sie smart genug war, sich und ihre Tochter aus dem schrecklichen Iran zu befreien? Weil sie sich als beispiellos vorbildliche Mutter erwiesen hat? Weil sie eingesehen hat, dass man ausländische, dunkle Menschen nicht heiraten sollte? Oder weil sie geschickt und geschäftstüchtig genug war, sofort ihre “Leidensgeschichte” aufzuschreiben, wohlwissend, dass so viel Schmalz und Schmerz unwiderstehlich auf die Frauen der Welt wirken würden?
Amerika ist ein anästhesiertes Land, und wenn trotzdem Gefühle des Leids durchsickern, behält man sie nicht eine Sekunde für sich, egal, wie banal oder monumental sie sein mögen, denn Schmerz, Missgeschick und Trauer sind unamerikanisch und daher so furchteinflössend, dass eine private Reflexion und eine langsame psychische Auseinandersetzung mit irgendeiner Problematik unmöglich sind. Der Leidensdruck ist selbst in natürlichen Konfliktsituationen sehr schnell so unerträglich gross, dass er unter Zuhilfenahme von Psychiatern, seelentröstenden Telefon-Hot-Lines, bewusstseinskillenden Pillen, Pistolen und eben auch mit hurtig heruntergeschluderten Manuskripten verflacht, verdrängt, vertrieben oder getötet werden muss.
Man gibt in diesem Land übrigens gerne und grosszügig die viereckigen Doktorhüte mit der schlenkernden Quaste seinen Jacks und Bettys, Jimmys und Jo-Annes für die unterschiedlichsten Leistungen, und das ganze Zeremoniell ist nicht merkwürdiger als die “Tickertape-Parades”, die den glorreichen Helden des Golfkriegs in den amerikanischen Grossstädten bereitet wurden. Dass man in Amerika sofort belohnt wird, hat einen Grund. Instant success ist das einzige, was zählt, denn man hat besondere Leistungen oder was man dafür hält, in sehr kurzer Zeit vergessen. Soldaten des Golfkriegs bekommen dann als Belohnung ausser dem Jubel der Massen und Dekorationen für die Brust auch gleich günstige Autokredite, kostenlose Haarschnitte, verbilligte Steak-Dinners und alle möglichen Extras.

Bettys auszeichnungswürdige Tapferkeit besteht natürlich nicht wirklich darin, unter sehr schwierigen Umständen ihr Kind aus den Fängen einer fanatischen iranischen Familie gezerrt zu haben, sondern in der schwer zu ignorierenden Tatsache, selbst in den düstersten Stunden immer durch und durch Amerikanerin geblieben zu sein. Das ist nicht mit Medaillen und anderen Ehrungen aufzuwiegen. Immerhin ist es ihr gelungen, alles Unamerikanische zu verdammen, damit das herrliche Amerika, “God’s own country”, um so reiner und wertvoller dastehen kann.
In Amerika muss meist Amerikas verbriefte Herrlichkeit oder der liebe Gott ran, wenn es etwas zu deuten gibt, das sich den begrenzten Interessengebieten der Amerikaner entzieht. Und auch Betty schiebt das Wunder, dass ihre Tochter im gelobten Land der USA weiterhin leben darf, auf den “Lord”, der in diesem Land durch ölige TV-Prediger, die mit werbewirksamen Massenveranstaltungen wöchentlich Millionenbeträge als Spenden einbeten, einer der reichsten Götter der Welt sein dürfte.
Die Tochter Mahtab zeichnete am Schluss dieser schrecklichen und langen Reise ein Bild, das sicherlich nicht ohne weiteres von jedem Kind auf dem Erdball unter ähnlichen Umständen ohne Gehirnwäsche gezeichnet worden wäre. Eine amerikanische Flagge und darunter das Wort “Amerika”.
Die Tochter ist heute, man vernimmt’s mit Erleichterung, ein ganz normales amerikanisches Mädchen geworden, die für die “New Kids on the Block” schwärmt und sich in ihrem kitschigen Zimmer zusammen mit ihren Freundinnen auf ihr tristes Leben als amerikanische Durchschnittsmutti vorbereitet. Man darf davon ausgehen, dass Mahtab keinen Ausländer mit nach Hause bringen wird, aber auch davon, dass sie uns eines Tages mit einem schmalen Bändchen über ihre Version einer entführten Tochter beglückt.

Die Hamburger Journalistin Sabine Reichel lebt seit 15 Jahren in den USA. Der vorliegende Text erschien zuerst in der “Süddeutschen Zeitung”.

10. Juli 2007 von Klartext

Einfaches Rezept

Seit über zwei Jahren hält sich das Gratisblatt “Basler Bebbi” über Wasser. Kunststück: Wenn’s ums Geldverdienen geht, kennt “Bebbi”-Verleger Beat Alder keine Hemmungen.

Frage: “Was unterscheidet Sie grundsätzlich von anderen Geschäftsleuten in ähnlichen Positionen?” Antwort: “Ich glaube, nicht viel. Andere Top-Manager in der Schweiz geniessen eine ähnliche Ausbildung, wie ich sie genossen habe. Ich wende auch dieselbe Methodik an wie andere.” Frage: “Sind Sie dank Scientology ein besserer Manager?” Antwort: “Ich habe natürlich eine gewisse Begabung dazu, aber das, was man im Kopf hat, ist nicht immer das, was man in die Realität umsetzt. Mit der Scientology-Technologie lernt man das richtige, optimale Umsetzen.”
Fragesteller: Peter Kleiber, Ex-Chefredaktor des Basler Gratisanzeigers “Basler Bebbi”. Antwortgeber: Bretislav Mrkos, Immobilientreuhänder und selbsternannter “Top-Manager”.
Im “Basler Bebbi”-Interview, das in der Region Basel 160’000fach in die Briefkästen gestopft und vor den Haustüren deponiert wurde, sinnierte der Immobilienhändler und Scientologe auch über die Pressefreiheit und lobte Journalisten, die objektiv seien und drauskommen würden. Etwa so wie der “Bebbi”-Verleger Beat Alder, der seiner Lesegemeinde die Werbesprüche für die sektenartige “Scientology-Kirche” nicht vorenthalten will.
In andern Fällen traten die Scientologen in Alders Gratisblatt nicht so direkt auf. Da gab zum Beispiel der Zürcher Personalberater Tom Voltz den Leserinnen und Lesern Auskunft über Fragen rund um Personalprobleme. Eine Galerie und ein Möbelgeschäft wurden gepuscht. Oder es wurde zum Gratis-Schnupperkurs einer Schweizer Langlaufschule eingeladen. Dass dahinter jedesmal Scientologen steckten, war für die Leserschaft nicht auszumachen.
“Ich kenne Tausende von Leuten und habe dreitausend Kunden”, sagt Verleger und neuerdings – in Personalunion – Chefredaktor Alder. Er habe nichts gegen Scientologen: “Die, die ich kenne, sind alles hochanständige Leute.” Von finanziellen Verflechtungen mit Scientology will Alder nichts wissen.
Beat Alder ist der geborene Verkäufer. Der frühere Nur-Journalist arbeitete zunächst bei der “Schaffhauser AZ”, wechselte zu Roger Schawinskis “Tat”, gründete in Zürich ein Pressebüro, schrieb dann für den “Blick” und landete später als Chefredaktor beim “Schaffhauser Bock”. Chefredaktor wollte er schliesslich auch beim Basler Gratisanzeiger “Doppelstab” werden, doch die Redaktion versagte ihm die Liebe.
Vor rund zwei Jahren gründete er den “Basler Bebbi”, “weil ich den Medienfilz in Basel nicht mehr ertrug”. Der “Basler Bebbi” sollte – so die damalige grossspurige Propaganda – “mit positiv-konservativem Gedankengut zur neuen Stimme der Rheinstadt werden, zum neuen Forum für die grosse schweigende Mehrheit in Basel”.
Heute bietet die neue Stimme der Rheinstadt die “Wunderpille für mehr Sex-Kraft” an oder lässt nach der schmuddligen “Enthüllungs”-Story “Verfolgte Asylanten machen Ferien in der Türkei” die schweigende Mehrheit in Leserbriefen zu Wort kommen. Etwa eine Christine G. aus Basel: “Das Volk muss nein sagen zu diesem Gesindel, das unsere Kinder tötet mit Hasch. Machen Sie weiter so, man ist Ihnen dankbar.” Oder ein F. aus Basel zum gleichen Thema: “Ihre Zeitung ist die beste, da kommt der ,Blick’ nicht mit.”
Tatsächlich wehrte Alder, zusammen mit der “Basler Zeitung”, den millionenschweren Angriff von “Blick” auf den Basler Werbekuchen ab, als “Ringier” den “Blick Basel” lanciert hatte. Dabei bediente sich Alder eines einfachen Rezepts. Während die “Ringier”-Journalisten erfolglos den Stories hinterherwetzten, um mit vermeintlich heissen Geschichten Publikum und Inserenten anzulocken, ersparte er sich diesen Umweg: Alder liess sich Stories bezahlen. Denn viele seiner Artikel handelten von den Inserenten.
Die sind dem Verleger und Journalisten heilig. “Wir wissen um die Mechanismen innerhalb eines Zeitungsbetriebes. Bei uns erhält der Inserent nötigenfalls auch Schutz in der Öffentlichkeit”, erzählte Alder seinen Leserinnen und Lesern, als der Presserat des “Verbands der Schweizer Journalisten” Alders Weisswäscher-Kampagne zugunsten eines Scientologen kritisiert hatte.
Wenn es ums Geldverdienen geht, kennt Beat Alder fast keine Hemmungen. Als “Blick”-Journalist recherchierte er seinerzeit in einer Mordsache. Er kennt sich aus im Milieu und erfährt auch bald, wer das Mädchen umgebracht hat. Die Geschichte im “Blick” ist schnell geschrieben, der Mörder verurteilt. Wie der Mörder nach abgesessener Strafe aus dem Gefängnis entlassen wird, stellt ihn Alder als Inserateverkäufer beim “Basler Bebbi” an. Plötzlicher Sinneswandel: Jetzt schreibt Alder im “SonntagsBlick” eine Serie, warum sein neuer Angestellter unmöglich der Täter sein konnte. Der “Ex-Mörder” und der Verleger teilen sich ein happiges Honorar.
Trotz Alders Flexibilität steht der Gratisanzeiger freilich auf wackligen Füssen. Zwar behauptet der wendige Verleger nach wie vor, er werde noch ganz anderes als den “Blick Basel” überleben. Doch die Wirklichkeit ist das nicht: Nachdem Alder zeitweise die Verteilung seines Blättchens nicht mehr bezahlen konnte, gehören die Aktien des “Basler Bebbi” inzwischen der Verteilerfirma “Direct Mail Company”.
Angesichts der finanziellen Probleme nützt wohl auch die hemdsärmlige Aktion nicht viel, mit der Alder seinen Inserenten erklärt, weshalb der “Basler Bebbi” keine Leserzahlen der Werbemittelforschung WEMF besitze. Den Nachweis, dass sein Gratisblatt gelesen wird, erbringen laut Alder nämlich nicht irgendwelche Leserzahlen, die “garantiert nicht stimmen würden”, sondern seine von Leserinnen und Lesern bisher angeblich eingegangenen 15’000 Karten und Briefe.
Dass er mit solchen Argumenten Inserenten überzeugen kann, hat Beat Alder möglicherweise am letzten Kurs bei Scientologe Tom Voltz gelernt.

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