13. Oktober 2010 von Pascal Wettstein

Was kostet, ist nicht besser

Das IPad ist derzeit omnipräsent. Von ihm erhoffen sich manche Verlage die Rettung des Journalismus, weil das Gerät wieder selbstverständlich machen soll, was bei vielen Menschen bereits in Vergessenheit geraten ist: News kosten Geld.

Doch so richtig ist die Euphorie um den neuen Technologie-Messias noch nicht ausgebrochen, zumindest beim Schweizer Konsumenten nicht. Die Verkaufszahlen des IPhones dagegen, anfänglich ebenfalls als „Jesus-Phone“ bezeichnet, geben mit gutem Grund Anlass zur Hoffnung. Die Dichte an IPhones ist nirgends in der Welt so hoch wie in der Schweiz. Dies beweist bereits der morgendliche Blick in die Pendlerzüge, wo nicht wenige Leute ihr IPhone zücken und die Gratiszeitung links liegen lassen. Doch Geld geben die Pendler deshalb nicht zwingend aus. Denn viele Applikationen, selbst solche von Bezahlzeitungen, sind kostenlos.

Gemäss den Verkaufszahlen von Apple belegt 20 Minuten Platz 1 der meistgeladenen News-Apps. Gefolgt vom Schweizer Fernsehen und dem Tages-Anzeiger. Das Ranking der kostenpflichtigen Apps führt der Blick an, gefolgt vom Teletext und der NZZ. Die Auflagenzahlen der WEMF widerspiegeln sich auf diesem Vektor also weitgehend. KLARTEXT hat einige der meistgeladenen bzw. meistgekauften Apps unter die Lupe genommen:

20 Minuten: Wie die Website setzt auch die kostenlose App auf die Aktualität. Berichte wechseln sich im Minutentakt ab und dies in übersichtlichem, fürs Auge angenehmem Design. Zu vielen Artikeln können einfach Kommentare abgegeben werden, und durch die Reporter Funktion kann der Leser den morgendlichen Tram-Auffahrunfall gleich selber Dokumentieren. Wie auch von der Website bekannt verlinkt 20 Minuten bei vielen Artikeln auf Videos von YouTube oder andern Videoportalen.

Schweizer Fernsehen: Diese Gratis-News-App schafft den cross-medialen Mix wie keine Andere. Aufgebaut wie das Online-Portal vom Schweizer Fernsehen, kann man leichtfüssig zwischen Texten und Videos hin und her switchen. Newsbeiträge können einfach, nach Aktualität oder Ressort sortiert werden. Die App demonstriert, dass es für das Fernsehen einfacher ist, seine Video-News-Beiträge in einen textlichen Kontext einzufügen, als für die Print-Anbieter.

NZZ: Die App kostet 3.30 Franken, bietet aber auf den ersten Blick keine Zusatzfunktionen im Vergleich mit den Gratis-Apps. Der Aufbau ist ähnlich wie beim Tages-Anzeiger, doch die Beiträge des Online-Portals sind für die Lektüre auf dem IPhone etwas schwerfällig. Lange Absätze, und in grauer, für das Auge ermüdender Schrift. Keine Zusatzfunktionen also, und für dieselben SDA Meldungen wie bei der Konkurrenz Geld zu Verlangen ist schon fast etwas frech. Eine kostenpflichtige App geht in Ordnung, aber dann wenigstens so viel bieten wie die kostenlosen Anbieter der Konkurenz.

Blick: Was im Print den einen bereits Kopfweh verursacht, lässt den Rest spätestens auf dem IPhone nach dem Aspirin greifen. Für die ersten 30 Tage kostet die App 4.40 Franken. Man bekommt die Möglichkeit, die tägliche Print-Ausgabe als PDF anzuschauen. Doch auf dem IPhone ist die Navigation eher mühsam bei übermässiger Nutzung ein Garant für den Zeigefinger-Daumen Krampf.

Der Aufbau der Apps ist bei allen vier ähnlich. Das Online-Portal auf dem kleinen Bildschirm fürs Auge angenehm zu präsentieren ist die Herausforderung. Nur das Schweizer Fernsehen schafft es, Texte direkt mit den dazugehörigen Video-Beiträgen zu verlinken, ohne dass man die App verlassen muss.

23. April 2010 von Nick Lüthi

Editorial: Die Technik solls richten

Bild: Manu Friederich

600 Gramm neue Technik, und eine ganze Branche schöpft wieder Mut; so gross ist die Verzweiflung bereits. Kaum hatte die Firma Apple angekündigt, eine elektronische Schiefertafel auf den Markt zu bringen, ging ein hörbares Aufatmen durch die gelichteten Reihen der Zeitungs- und Magazinverlage. Mit dem iPad wollen sie endlich den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen und dem Fluch der Gratiskultur entkommen. Im Internet liessen sich ja keine Zeitungsartikel verkaufen. Aber als akkurat drapierte App­likationen dargereicht, soll es nun möglich sein, die LeserInnen dazu zu bringen, das Portemonnaie zu öffnen. Deshalb arbeiten etliche Medienhäuser mit Hochdruck daran, ihre Inhalte den Erfordernissen des Wundergeräts anzupassen. Ab Mai wird das iPad auch in der Schweiz erhältlich sein.Noch wissen wir nicht, was es mit der emsigen Betriebsamkeit auf sich hat. Sind es vitalisierende Bewegungen oder nur ein paar weitere Zuckungen vor dem Ableben? Kann ein neuer Gerätetyp, der Tablet-Computer, dem siechen Pressemarkt neues Leben einhauchen? Wohl kaum. Und erst recht nicht, wenn es so weitergeht wie bei den ersten Gehversuchen von Zeitungsverlagen, mit denen sie ihre Inhalte auf die elektronische Leseplatte bringen. So listet das Fachblog netzwertig.com ein regelrechtes Sündenregister auf. Es beginnt bei überrissenen Preisen und endet bei der verqueren Vorstellung, einfach die bisherigen Online-Inhalte in etwas aufgefrischter Form auf dem iPad anzubieten.
Die Verlage verhalten sich so, als wären sie die einzigen, die auf dem neuen Gerät ihre Applikationen zum Verkauf anbieten. Doch die Konkurrenz ist gross. Wenn Verlage punkten wollen, dann müssen sie den Journalismus als multimediales Erlebnis neu erfinden, um gegen die vielfältigen Möglichkeiten zum Zeitvertreib, die ein iPad nun mal bietet, bestehen zu können. Das ist an und für sich keine neue Aufgabe. Vor einer vergleichbaren Herausforderung standen die Papiermedien schon einmal, als sich das Internet als neuer Absatzkanal zu etablieren begann – und sind gescheitert. Weshalb es nun dank 600 Gramm neuer Technik funktionieren sollte, bleibt vorerst schleierhaft.

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