«Ich bin masslos wütend, immer noch»
Mehr als 25 Jahre lang war Balz Bruppacher Chefredaktor von AP Schweiz. Jetzt ist alles vorbei, die Agentur aufgelöst und abgewickelt – und der 60-Jährige will wissen, wer dabei die Fäden gezogen hat.
Er räumt auf. In seinem Büro in Bern stapeln sich auf dem Fenstersims leere Ordner, auf dem Pult und dem Sofa liegen Aktenstapel. «Ich ordne, sortiere aus, werfe fort», sagt Balz Bruppacher. Das ist momentan sein Job. Denn der Chefredaktor von AP Schweiz ist zwar noch im Amt – aber ohne Redaktion.
Und er wartet auf seine Entlassung. Dass ihn seine neuen Arbeitgeber weiterbeschäftigen wollen, wie sie angegeben haben, glaubt er nicht. «Ausserdem haben sie mich wirklich aufs Schlimmste angelogen und können ja nicht im Ernst glauben, ich hätte im Sinn, für sie weiterzuarbeiten», sagt Bruppacher. «Sie», das sind die Besitzer des Deutschen Depeschendienstes DDP. Die Nachrichtenagentur übernahm im Dezember 2009 die AP GmbH in Frankfurt, die Deutschland, Österreich, die Schweiz sowie einen Teil von Osteuropa mit Agenturmeldungen bedient hatte. AP Schweiz war seit ihrer Gründung eine Zweigniederlassung dieser AP GmbH in Frankfurt, wurde also mit dem Verkauf Teil von DDP. Ende Januar verkaufte DDP der Schweizerischen Depeschenagentur SDA die Lizenz für das deutschsprachige DDP-Produkt, im Gegenzug hat sich die SDA dafür «ausbedungen, dass DDP den Schweizer Dienst auf den frühestmöglichen Zeitpunkt einstellt», wie Bruppacher trocken feststellt. Damit hat sich die SDA ihrer Konkurrentin AP Schweiz entledigt.
Die Angriffs- und Expansionslüge
Doch zuerst, im Dezember 2009, signalisierte DDP den Schweizer AP-Leuten, es werde einen Ausbau geben. Mitte Januar, erinnert sich Bruppacher, war er mit DDP-Geschäftsführer Franz Maurer bei Kunden in der Schweiz unterwegs, «und er sagte ihnen, dass wir die SDA angreifen wollen». Ausserdem hatte Bruppacher einen Monat vorher den zweiten DDP-Geschäftsführer Martin Vorderwülbecke in Frankfurt getroffen: «Bei uns war eine Stelle vakant, und weil die AP weltweit einen Einstellungsstopp ausgesprochen hatte, konnte ich sie nicht besetzen. Vorderwülbecke sagte mir zu, dass ich sie besetzen könne. Man sagte mir dann vonseiten DDP, ich solle im Inserat in einem Satz erwähnen, dass DDP in der Schweiz expandiere.»
Doch dann kam der 28. Januar. Eine Redaktionssitzung von AP Schweiz war angesagt, auch DDP-Geschäftsführer Franz Maurer hatte sich dafür angemeldet – Bruppacher holte ihn auf dessen Wunsch am Flughafen in Zürich ab. Und erfuhr im Zug nach Bern: kein Ausbau, keine Offensive, stattdessen Kündigung für die gesamte Belegschaft, rund 20 Personen, Festangestellte und feste Freie. Als Bruppacher in der Redaktion in Bern eintraf, hatte die SDA den Deal zwischen DDP und SDA bereits bekannt gegeben, seine MitarbeiterInnen hatten schon erfahren, dass sie alle ihre Stelle verlieren würden.
«Ich stand ein bisschen unter Schock»
Entsprechend war die Stimmung auf der Redaktion, als Bruppacher und Maurer eintrafen. «Später hat mich jemand gefragt, ob ich in diesem Moment nicht Lust gehabt habe, dreinzuschlagen», erzählt Bruppacher. Aber so etwas, das wird im Gespräch mit ihm schnell klar, liegt ihm gar nicht. Ausserdem war Bruppacher, obwohl er «ein bisschen unter Schock stand», nach wie vor der Chefredaktor: «Ich habe meinen Leuten sofort gesagt: Passt auf, wenn ihr jetzt gleich aus Protest die Arbeit niederlegt, gebt ihr denen einen Vorwand, euch fristlos zu entlassen.» Ansonsten, erinnert er sich, habe er kaum etwas gesagt: «Ich habe nur interveniert, als Maurer sagte, der Dienst rentiere nicht. Das ist einfach falsch, wir haben AP in den letzten fast 30 Jahren sicher einen zweistelligen Millionenbetrag überweisen können, für das, was wir weltweit von ihnen übernommen haben.»
Die DDP-Besitzer hat das wohl nicht besonders beeindruckt. Die beiden, Peter Löw und Martin Vorderwülbecke, haben in verschiedenen Unternehmen zusammengearbeitet. 2007 charakterisierte das deutsche «Handelsblatt» die Firma Arques Industries AG, in der beide Vorstandsvorsitzende waren, mit Sätzen wie: «Löw und Vorderwülbecke nennen ihr Geschäft ‹börsennotierter Turn-around-Spezialist›. Die Unternehmen, die Arques kauft, verbindet in der Regel nur eins: dass es ihnen nicht gut geht und sie billig zu haben sind. (…) Arques, das ist Sanierung aus dem Baukasten.»
«Das ist eine Welt, über die man manchmal liest und manchmal schreibt, doch wenn man es selber erlebt, ist es anders», sagt Bruppacher, lacht ein bisschen und fügt an, vielleicht sei er im Umgang mit DDP zu naiv gewesen. Das ärgert ihn und lässt ihn weiterhin Fragen stellen: Wann haben DDP und SDA ihre Verhandlungen aufgenommen? Was ist mit den Exklusivitätsrabatten, welche die SDA jenen Kunden gewährt hat, die nicht auch noch AP als Zweitagentur abonnierten? Warum hat ihm während der Verhandlungen zwischen SDA und DDP niemand einen Tipp gegeben? Wer war die treibende Kraft hinter dem Deal – die SDA-Führung oder die Verleger als Besitzer der Nachrichtenagentur? Weil Bruppacher Journalist ist, will er Antworten auf diese Fragen, motiviert auch durch Ärger und Frust: «Ich bin masslos wütend, immer noch.»
Bruppacher hat mittlerweile gehört, dass beispielsweise die journalistischen Leitungen der Deutschschweizer SRG-Programme und der Tamedia-Medien – beide Unternehmen sind im SDA-Verwaltungsrat vertreten – nicht konsultiert wurden, als es darum ging, dass die SDA ihre einzige Konkurrentin AP mithilfe von DDP aus dem Markt wirft. Und hat erfahren, dass seine frühere Arbeitgeberin AP wusste, was DDP plante. Aus internen Papieren zum Deal ist zudem ersichtlich, dass die SDA für die Abwicklung von AP Schweiz 250’000 Franken an DDP bezahlt. Und dass es bereits im Oktober Kontakte gab zwischen SDA und DDP. Damit konfrontiert, ringt der ansonsten redegewandte Bruppacher nach Worten. Dass die SDA diesen Papieren zufolge – Lizenzkosten inbegriffen – 12 Millionen an die DDP bezahlen wird, kommentiert er kurz mit: «Damit könnte ich etwa vier Jahre lang meine Redaktion finanzieren.»
Am Anfang DDP, am Ende DDP
Ausgerechnet bei der damaligen Schweizer Niederlassung von DDP hat Bruppachers journalistische Karriere begonnen: Nach dem Volkswirtschaftstudium in St. Gallen absolvierte er dort ein Volontariat. 1981 verliessen alle MitarbeiterInnen DDP Schweiz, um gemeinsam AP Schweiz zu gründen. 1984 wurde Bruppacher AP-Chefredaktor. «Er war Herz und Seele des Ladens», charakterisiert ihn ein langjähriger Mitarbeiter, «ein Nachrichtenprofi, mit allen ‹Wässerli› gewaschen, der sein Handwerk beherrscht, Humor hat und Leute motivieren kann. Er konnte auch mit der ‹Geisle chlöpfe›, aber er hat es selten getan.»
Dieses «Geisle chlöpfe» irritiert Balz Bruppacher offensichtlich, er denkt länger darüber nach: «‹Geisle chlöpfe› vielleicht in dem Sinn, dass ich an Redaktionssitzungen und in meinen ‹Hirtenbriefen› an die Redaktion jeweils stark betont habe, wie wichtig es ist, dass wir nicht nachlassen dabei, schnell zu sein, fix zu reagieren und selbstverständlich, wie die Agenturregel sagt, dabei nicht falsch zu sein.» Sein Ziel sei es immer gewesen, von seinen Leuten nicht mehr zu verlangen als von sich selbst. So hat der Agentur-Chefredaktor jeweils Meldungen «heruntergerattert» und Wochenenddienst geleistet wie alle anderen AP-Leute.
Bruppacher hat während seiner AP-Zeit einige «interessante Stellenangebote» von Zeitungen erhalten. «Doch wieso sollte ich einen Job aufgeben, mit dem ich eigentlich sehr zufrieden bin?» Seine Zufriedenheit basierte darauf, dass er eine «vernünftige Arbeit» in «grösstmöglicher Unabhängigkeit» machte, ohne Druck von Verlegern oder Inserenten: «Wir mussten nur unser Produkt erfolgreich verkauften. Und das taten wir.» Schwergefallen sei ihm die Arbeit einzig, wenn es Probleme mit dem Personal gegeben habe.
Zukunft als freier Journalist
«Wir bei den Agenturen sind ein bisschen die Unterhunde der Branche», sagt Bruppacher, aber gestört hat ihn das nie. Und es war ihm nur allzu recht, dass der Job als Agentur-Chefredaktor nicht zu Auftritten an People-Events verpflichtet. Seine Frau, erzählt er, hätte gewisse Einladungen gerne angenommen, doch sie habe akzeptiert, dass er nicht hingehen wolle. Überhaupt habe seine Frau, seine Familie viel Verständnis für seine Arbeit gezeigt: «Man kann nie richtig ausklinken, wenn man an den News klebt. Es gibt schon Situationen, in denen ich am Abend oder am Wochenende nicht mehr zu viel zu gebrauchen bin.» Und während er über seine Arbeit erzählt, fällt Bruppacher in die Gegenwartsform, wie schon oft während des Gesprächs. Dass AP Vergangenheit ist, ist für den Moment vergessen.
Doch Bruppacher, der im Sommer 60 wird, muss sich jetzt um seine Zukunft kümmern. DDP wird ihm kündigen, darauf wartet er. Danach würde er gerne weiter über Wirtschaftsthemen schreiben, wie er es in all den AP-Jahren getan hat, spezialisiert auf «den Schnittpunkt zwischen Wirtschaft und Politik». Am liebsten als Freier: «Ich konnte in den letzten 29 Jahren journalistisch selber entscheiden, musste nicht nach einer Pfeife tanzen. Ich möchte es, wenn es irgendwie geht, auch jetzt vermeiden.»
- Tags: Agentur, AP, Ausgabe 2 | 2010, Bruppacher, DDP, SDA
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