19. Juli 2010 von Daniel Goldstein

Jetzt schwurbeln sie wieder

Bis vor Kurzem hätte ich, nach einer Alternative zu den Nullerjahren gefragt, die Schwurbeljahre vorgeschlagen. Denn ein Blick in die Schweizer Mediendatenbank SMD bestätigt den Eindruck, das Wort «schwurbeln» samt Ableitungen wie Geschwurbel oder Schwurbelei habe mit der Jahrtausendwende seine Sternschnuppen­bahn angetreten. Wer neue Sternchen englischer als englisch «shooting stars» nennt, vergisst meistens, dass damit dem Verglühen geweihte Meteoriten gemeint sind.
Dem Schwurbeln am Wörterhimmel schien es tatsächlich so zu gehen: Bis 1999 eine Rarität, schoss es in den nächsten paar Jahren durch den zweistelligen Bereich der jährlichen Fundstellen, um dann allmählich abzuklingen. Doch wen das Wort geärgert hatte, der freute sich zu früh: Vergangenes Jahr erlebte es eine Renaissance, die anhält, mit 39 Nennungen allein in den ersten vier Monaten 2010. Noch sind wir ja im letzten Jahr des ersten Jahrzehnts – mag sein, dass wir «schwurbeln» beim letzten Aufglimmen vor dem Verlöschen sehen.
Dabei ist dieser Ausdruck für gehobenes Geschwätz, Geschwafel oder Schwadronieren gar nicht so übel, auch wenn er die Aufnahme in den Duden bisher nicht geschafft hat. Der kennt nur «schwurbelig, ugs. für schwindelig, verwirrt». Für das Verb, das diesen Zustand bewirkt, muss man schon auf die Brüder Grimm zurückgreifen, deren Wörterbuch «schwurbeln» durchaus enthält – nicht nur für heftiges Wirbeln eines Gewässers oder einer Menschenmenge, sondern auch als «dummes zeug durch einander reden».
Mit dem Schwurbeln (dem Wort, nicht der Sache) können wir leben – aber vielleicht ist wenigstens das Jahrzehnt des «Ungenügens» vorbei. «Unwillig erfahren diese modernen Herren Jedermann das Ungenügen an ihrem Leben», war neulich in einem deutschen Feuilleton zu lesen, und dort möge solches Schwurbeln bleiben. Gewöhnlich bedeutet Ungenügen, jemand genüge Anforderungen nicht, hier aber genügt etwas – das Leben – jemandem nicht, er oder sie empfindet darob Unzufriedenheit, Unbehagen. Das sollte genügen.


19. Juli 2010 von Klartext

Er will sich in den Medien nicht blamieren

Bild: zvg

Klaus Heer, früher Radioredaktor, heute prominenter Paartherapeut, scheut den direkten Kontakt zu Medienschaffenden. Den Boulevardmedien gibt er Auskunft, obwohl er sie verabscheut; nur Homestorys gibt es keine. Gespräch: Verena Wehrle und Jeanette Herzog

Klartext: Dieses Interview wollten Sie zunächst telefonisch führen. Woher kommt Ihre Zurückhaltung gegenüber dem persönlichen Kontakt mit den Medienschaffenden?
Klaus Heer: Das persönliche Gespräch irritiert mich. Ich hatte kürzlich ein zweistündiges Interview mit einem «Beobachter»-Journalisten – aber am Telefon. Das Gespräch war sehr gut. Da sitze ich dann an meinem Pult, kein Mensch stört mich, und ich kann mich gut konzentrieren.

KT: Fühlen Sie sich von den Journalisten bedrängt?
Heer: Eher gefordert, manchmal auch etwas überfordert. In meinem beruflichen Alltag stelle ja ich die Fragen.

KT: Es ist also schwieriger für Sie, Antworten zu geben, als Fragen zu stellen?
Heer: Auf jeden Fall. Antworten zu müssen, empfinde ich als herausfordernd, weil ich immer die Angst im Nacken habe, ich könnte mich blamieren. Im Grunde läuft alles darauf hinaus, der öffentlichen Schmach zu entgehen.

KT: Hatten Sie denn schon mal eine richtig blamable Erfahrung mit den Medien?
Heer: Eine wirklich peinliche Erfahrung verdanke ich der «Schweizer Illustrierten». Ich hatte ein Interview zum Thema «Mann sein» autorisiert. Kurz darauf sah ich einen Kiosk-Aushang, Riesenbuchstaben: «Klaus Heer: Die Schweizer Männer sind Schlappschwänze». Das hatte ich nie gesagt. Ich habe daraufhin den Chefredaktor angerufen und gesagt, dass sie so etwas mit mir nicht machen könnten. Das war gar nicht lustig.

KT: Was haben Sie daraus gelernt?
Heer: Ich bin vorsichtiger und misstrauischer im Umgang mit den Medien geworden.

KT: Dennoch scheinen Sie zu fast jedem Thema etwas beisteuern zu können. Fehlen Ihnen nie die Worte?
Heer: Gelingt es mir nicht, dumme Fragen gescheit zu beantworten, sage ich lieber nichts.

KT: Gibt es oft dumme Fragen?
Heer: Sehr oft.

KT: Warum beantworten Sie dumme Fragen?
Heer: Ich mache mir einen Spass da­raus, kluge und zutreffende Antworten zu suchen. Das ist für mich ein Sport.

KT: Sie setzen aber auch Grenzen. So haben Sie es abgelehnt, mit TeleZüri eine Homestory zu machen.
Heer: Homestorys im Fernsehen sind mir viel zu aufdringlich, zu brutal. Da herrschen Produktionsbedingungen, die ich als bedrohlich empfinde.

KT: Inwiefern bedrohlich?
Heer: Kürzlich habe ich eine Aufnahme gemacht mit dem «NZZ-Format». Die Situation war prekär für mich: Das Team kam in meine Praxis, verdunkelte das Zimmer und richtete die Scheinwerfer auf mich. Sie haben mich auf einen Stuhl gesetzt und die Kamera starrte mir ins Gesicht. Die NZZ-Journalistin war zwar sehr angenehm, aber wenn ich nur Statements produzieren muss, bin ich nahezu unfähig. Ich habe es lieber interaktiv, das ist anregender. Ich bin ein Meister des Dialogs und ein Stümper des Statements.

KT: Zu Homestorys in Zeitschriften wären Sie bereit?
Heer: Nein, schon lange nicht mehr. Früher habe ich mal etwas mit der «Schweizer Illustrierten» gemacht. Das gibt es heute nicht mehr.

KT: Warum nicht?
Heer: Die Leute, die ich gern habe, schätzen das nicht. Ausserdem ist es mir selbst peinlich. Wenn ich die «Schweizer Illustrierte» durchblättere – es gibt ja noch schlimmere Hefte –, empfinde ich Scham.

KT: Haben Sie generell Mühe mit den Boulevardmedien, obwohl gerade dort die meisten Ihrer Interviews erscheinen?
Heer: Ich habe es sehr gut mit den Boulevardmedien, aber nur, weil ich misstrauisch und pingelig bin. Ich will jeweils den ganzen Text und nicht nur meine Zitate sehen. Da bin ich unerbittlich.

KT: Sie sitzen am längeren Hebel.
Heer: Ich weiss einfach, dass man alles Gesagte bis zum letzten Moment zurückziehen kann. Da helfen mir meine Erfahrungen als Journalist.

KT: Gibt es Medien, mit denen Sie nicht zusammenarbeiten würden?
Heer: (überlegt lange) Wenn es inhaltlich machbar ist, würde ich selbst für die «Glückspest» etwas machen.

KT: «Glückspest»?
Heer: Ja, «Glückspest». Denn jedes Mal wenn ich diese Zeitschrift anschaue, fühle ich mich peinlich berührt.

KT: Gibt es andere Medien, auf die Sie so stark reagieren?
Heer: Die Fernsehsendung «Swiss Date» ist auch so etwas furchtbar Peinliches. Das widert mich genussvoll an.

KT: Was ist daran so peinlich?
Heer: Dass die Medien Menschen dazu bringen, sich so extrem zu prostituieren. Diese Menschen zeigen sich von ihrer entwürdigendsten Seite – ohne dass sie es merken. Nur damit sie zu einem Medienauftritt kommen.

KT: Schauen Sie oft Fernsehen?
Heer: Nein, ich habe keinen Fernseher. Das ist eine Zeitvernichtungsmaschine. Das geht für mich gar nicht. Es interessiert mich nicht.

KT: Lesen Sie auch keine Zeitschriften?
Heer: Ich schaue mir lediglich alle paar Wochen in meinem Fitnessstudio eine Hochglanzzeitschrift an, weil ich wieder einmal so richtig angeekelt sein will.

KT: Wie informieren Sie sich denn?
Heer: Mit dem iPhone. Dort lese ich den «Bund» und den «Tages-Anzeiger». Ich habe gar nicht so viel Zeit für den Konsum von Medien. Abgesehen vom Radio, das ist mein bevorzugtes Medium. Aber das kann ich ja via iPhone als Pod­cast auf dem Nachhauseweg hören.

KT: Bei Radio DRS gab es doch mal eine höchst unerfreuliche Geschichte …
Heer: … das war 1992. Der damalige Radiodirektor Andreas Blum mochte mich und meine Sendungen nicht. Das war wirklich keine schöne Geschichte. Ich musste schliesslich gehen.

KT: Wie war das für Sie? Radio war Ihre Leidenschaft.
Heer: Das war ein Schlag für mich. Aber ein segensreicher Schlag, der bewirkt hat, dass ich meine symbiotische Liebe zum Radio loswurde. Aus eigener Kraft wäre ich diesem Sog nie entronnen. Der Rausschmiss ermöglichte es mir, Neues anzufangen.

KT: Machen Sie manchmal auch richtig gute Erfahrungen mit den Medien?
Heer: Ja, viele gute Erfahrungen. Zum Beispiel hat mir ein Journalist der «Weltwoche» kürzlich sehr viel Freiheit gelassen. Wir produzierten sogar die Fragen gemeinsam.

KT: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Journalisten?
Heer: Ich habe es fast immer gut mit den Journalisten. Ich glaube, Sie mögen mich. Sie müssen mich ja auch nicht anschauen, wir telefonieren nur.

Bauernsohn, Therapeut, Bestsellerautor

1943 in der Innerschweiz als Bauernsohn geboren, studierte Klaus Heer in Hamburg und Bern Psychologie und bildete sich später zum Psycho- und Paartherapeuten weiter. In den 35 Jahren, in denen er nun schon praktiziert, wurde er, was Liebe, Partnerschaft und Sexualität betrifft, zu einer Kapazität. Er schrieb den Bestseller «Ehe, Sex und Liebesmüh – Eindeutige Dokumente aus dem Innersten der Zweisamkeit» sowie «Wonneworte – Lustvolle Entführung aus der sexuellen Sprachlosigkeit» und «Paarlauf – Wie einsam ist die Zweisamkeit?» Klaus Heer lebt und arbeitet in Bern, er hat eine Familie mit zwei erwachsenen Töchtern.


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