Büssers Medienschau – 12.07.2022

Kurzes am 12. Juli 2022

Parlamentarier*innen, Vergesslichkeit und die Suche nach Mandaten

National- und Ständerät*innen haben viel zu tun: Sitzungen absitzen, abstimmen, Reden halten – da geht schon mal was vergessen. Zum Beispiel ein meldepflichtiges Mandat. Dabei müssten sie «Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien sowie Beiräten und ähnlichen Gremien von (…) Körperschaften, Anstalten und Stiftungen» genauso offenlegen wie «Leitungs- oder Beratungstätigkeiten» für Interessengruppen. Kurz: Alle Mandate der National- und Ständerät*innen müssten im entsprechenden Register zu finden sein. Aber eben: Mit dem Stress kommt die Vergesslichkeit.

Gerade für Journalist*innen wäre es wichtig, solche Interessenbindungen zu kennen, um etwa den besonderen Einsatz eines Ratsmitglieds einzuordnen. Seit 2014 sammelt und publiziert der von Medienschaffenden und IT-Spezialist*innen gegründete Verein Lobbywatch Schweiz die Interessenbindungen der Parlamentarier*innen. Seit Ende Juni erhalten Journalist*innen diese Informationen noch schneller: Wenn Lobbywatch im Handelsregister oder anderswo neue Tätigkeiten von Rät*innen entdeckt, verifiziert und in die Datenbank eingetragen hat, werden diese Informationen direkt durch einen Bot auf Twitter veröffentlicht.

Die Neuerung wurde übrigens laut Lobbywatch-Co-Präsident Otto Hostettler «vollumfänglich ehrenamtlich umgesetzt». Überhaupt wird bei Lobbywatch ein grosser Teil der Arbeit gratis geleistet – ein pikanter Gegensatz zu den oft gut bezahlten Mandaten der Parlamentarier*innen.

Jugendliche, Zeitungen und kein gutes Ende

Die Wochenzeitung SPICK News sollte bei den 10- bis 15-jährigen Lesen, Schreiben und das Interesse an aktuellen Themen fördern. Den Anstoss zu ihrer Lancierung schilderte 2019 SPICK News-Chefredaktor Alexander Volz folgendermassen: «Bei einer Tagung warf Tamedia-Verwaltungsratspräsident Pietro Supino die Frage auf, wie die Verlage in Zukunft Zeitungsabos verkaufen wollen, wenn die Kinder und Jugendlichen von heute nie mit diesem Medium in Berührung kommen.» Der Verlag KünzlerBachmann, der auch das Kindermagazin SPICK herausgibt, brachte also die Wochenzeitung auf den Markt. «Eine Zeitung, davon sind wir überzeugt, ist genau das richtige Medium, um unsere Ziele zu erreichen», so Volz damals.

Ist sie nicht. Soeben wurde SPICK News eingestellt. Für eine schwarze Null hätte es laut Volz 10’000 verkaufte Abos gebraucht. Die Abo-Zahlen seien zwar «stetig gestiegen», sagt Verlagsleiter Roger Hartmann, «aber nicht schnell genug». Zuletzt habe man zwischen 3000 und 4000 Abos erreicht. Kommt dazu, dass Swisscom und die Schweizerische Post, die SPICK News Content geliefert beziehungsweise eine Rubrik unterstützt hatten, ausgestiegen sind. Laut Hartmann wegen «kommunikationsstrategischen Neuausrichtungen».

Der Verband Schweizer Medien hatte die Zeitung auch unterstützt und die Versandkosten für Klassensätze übernommen. «SPICK News leistete einen wichtigen Beitrag, um Jugendliche mit Journalismus vertraut zu machen. Dieses Angebot wird in Zukunft fehlen», kommentiert VSM-Geschäftsführer Stefan Wabel.

Vielleicht braucht es für den Kontakt mit Jugendlichen eine «kommunikationsstrategische Neuausrichtung».

Literatur, Misogynie und schlecht erzählte Geschichten

«Nach Artikel in NZZ vom Wochenende, frage ich mich, ob dieses Bein einen Bestseller schreiben kann …», schrieb die deutsche Autorin Anna Rabe zu einem Bild ihres nackten Beins auf Twitter. Es war eine von vielen ironischen, verblüfften oder verärgerten Reaktionen auf den Beitrag «Wie kommt man zu literarischem Erfolg? Mit Kalkül. Drei Autorinnen machen es vor» von NZZ am Sonntag-Kulturredaktorin Martina Läubli im NZZ Magazin. Wir hätten Martina Läubli gerne ein paar Fragen dazu gestellt; leider ist sie ferienabwesend.

Läubli schreibt über die erfolgreichen Autorinnen Christine Brand, Seraina Kobler und Claudia Schumacher. Und sie schreibt sehr viel über deren «Kalkül» und «Selbstvermarktung». Sie bringen, so Läubli, im Kampf um Aufmerksamkeit auf Instagram erfolgreich «ihre Person ins Spiel»: Sie «posten Selfies, (…) lächeln mit tiefroten Lippen (Schumacher), zeigen Bein (Schumacher, Kobler), die Föhnfrisur (Kobler) oder stimmungsvolle Fotos von Schreiborten».

Kein Wunder, dass in den Kommentaren zum Artikel der Begriff «misogyn» auftaucht. Doch die «Kalkül»-Geschichte geht noch weiter: Läubli stellt fest, dass alle drei ehemalige Journalistinnen sind und somit recherchieren und Geschichten erzählen können. Und meint das offenbar nicht positiv.

Denn das Fazit ihres Textes lautet: Man könne für literarischen Erfolg etwas tun, «etwa, sich lächelnd selbst ins Spiel zu bringen. Oder zu wissen, wie eine Geschichte funktioniert. Ob aus solchem Kalkül aber unberechenbare Literatur entstehen kann, ist eine andere Frage.»

Wir lernen: «Unberechenbare» Literatur produzieren möglichst unsichtbare Männer, die nicht fähig sind, eine Geschichte zu erzählen.

 

Bettina Büsser

Redaktorin EDITO

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