Wie müssen Journalisten schreiben, um auf dem Smartphone gelesen zu werden?

Zukunftsmodelle – 17.06.2020

«Man muss entscheiden, was man weglässt»

Was bedeutet «Mobile First» für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten? Und können sie gleichzeitig das Mobile- wie auch das Print-Publikum bedienen? Die Online- und Multimedia-Expertin Alexandra Stark weiss Bescheid.

Von Bettina Büsser

Mobile First» heisst es neu bei den Tagestiteln von Tamedia. Und «Mobile First» wird es wohl künftig bei immer mehr Medien heissen. Schliesslich wollen die Verlage nach einer langen Phase, in der Journalismus online gratis angeboten wurde, mit digitalen Abonnements das Geld dazuverdienen, das im Printbereich wegfällt. Was aber bedeutet «Mobile First» für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, die im Print ausgebildet wurden? «Der grösste Unterschied und zugleich die grösste Herausforderung liegen für mich in der Leserführung», sagt Alexandra Stark, Studienleiterin an der Journalistenschule MAZ in Luzern und seit Anfang Jahr «Expertin Storytelling» im Projektteam Digitale Transformation von CH Media. Auf der Zeitungsseite sei auf einen Blick auszumachen, wie viele verschiedene Elemente zur Geschichte gehörten und was von ihnen zu erwarten sei. «Auf dem mobilen Gerät habe ich nur einen Teaser mit ganz wenig Text und meistens einem kleinen Bild, um dem Publikum zu zeigen, was danach kommt», so Stark.

Mobile-Beiträge müssen strukturiert und logisch aufgebaut sein, sagt Alexandra Stark (Bildquelle: Monika Hame).

 

Stärker strukturieren

«Wir brauchen für mobile Geräte deshalb ein anderes Erwartungsmanagement: Der User oder die Userin muss auch in der Geschichte jederzeit wissen: Wo bin ich, was kann ich noch erwarten?», erklärt Stark. Deshalb müssten Mobile-Beiträge stärker strukturiert und logisch aufgebaut sein. Zudem müssten auch alle Elemente wie Fotos, Grafiken und Videos genau dort eingesetzt werden, wo sie inhaltlich hingehören. «Und Zwischentitel zum Beispiel haben eine andere Funktion: Im Print setzen wir sie aus ästhetischen Gründen, bei Mobile haben sie eine Signalfunktion und dienen der Übersicht.» Beim Strukturieren können laut Stark auch Jump-Links und Inhaltsverzeichnisse helfen. Müssen sich Journalistinnen und Journalisten eine neue Schreibe angewöhnen? «Ja und nein», sagt Stark dazu. «Sie müssen vor allem lernen, dass Text viel mehr als nur Lauftext ist.» Wollten sie eine Geschichte erzählen, könne ein Lauftext noch immer die beste Wahl sein. Wollten sie aber einen kurzen Überblick über die drei wichtigsten Punkte geben, dränge sich eine Bulletpoint-Liste auf.

Interaktive Elemente

Das Vorurteil, dass am Desktop und vor allem auf mobilen Geräten im Gegensatz zu Print nur kurze Texte gelesen würden, stimmt laut Stark immer weniger; dies zeige sich auch in der veränderten Mediennutzung: «Auch auf mobilen Geräten und Tablets werden lange Texte gelesen, aber in erster Linie abends.» Daher müssen Tageszeit und Nutzungssituation immer berücksichtigt werden: «Haben die User Zeit und sind entspannt oder sind sie zeitlich unter Druck?» Den grössten Unterschied zwischen Online und Print machen allerdings nicht die Texte aus, sondern die multimedialen Möglichkeiten und interaktiven Elemente, die Online zusätzlich bietet. Wenn nun «Mobile First» gilt und die Geschichte auch im Print abgedruckt werden soll, müssten Journalistinnen und Journalisten also zwei Versionen machen. Doch heute sind die Ressourcen im Journalismus knapp.

Mut zur Lücke

«Es ist ganz einfach: Wenn es nicht mehr Ressourcen gibt, müssen wir etwas anderes weniger machen», sagt Stark. Vorstellbar sei es, in Print und Online weniger Geschichten zu machen, weniger Seiten oder weniger Printausgaben pro Woche. Bisher habe man einfach auf Kosten von Online gespart. Was angesichts der Zukunft, in der Journalismus aus Digitalerlösen finanziert werden müsse, strategisch nicht sinnvoll sei. «Man muss entscheiden, was man weglässt. Alles andere ist Augenwischerei und führt zu Frust, Stress und Burnout bei den Journalistinnen und Journalisten.»

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