Bild: 2013, AdS, Solothurner Literaturtage, Michal Florence Schorro

Aktuell – 03.10.2018

«Man trampelt auf unserer beruflichen Würde herum»

Stefan Keller, WOZ-Journalist, Autor, Historiker und neuer Präsident von ProLitteris, über Urheberrechte im digitalen Bereich, spezielle Karten und Zeitungsausschnitte und seine «glückliche Laufbahn» im Vergleich mit anderen alten Journalisten.

INTERVIEW BETTINA BÜSSER

EDITO: Sie sind neu Präsident von ProLitteris. Warum?

Stefan Keller: Mir waren die Rechte von uns Urheberinnen und Urhebern immer wichtig. Als ich Präsident der Medienschaffenden bei comedia war, später bei syndicom, hatten wir noch keine Vertretung im ProLitteris-Vorstand und erhoben Anspruch darauf. Seit 2006 bin ich im Vorstand. Vor acht Jahren wurde ich einer der Vizepräsidenten, jetzt haben mich die Mitglieder zum Präsidenten ­gewählt.

Warum ist ProLitteris wichtig für Journalistinnen und Journalisten?

Wer ProLitteris-Mitglied ist und seine Publikationen meldet, erhält jedes Jahr einen Geldbetrag für die urheberrechtliche Nutzung dieser Werke. Zudem gehen zehn Prozent aller im Inland erzielten Einnahmen von ProLitteris in eine Fürsorgestiftung, die Mitglieder in sozialen Notlagen unterstützt oder ihnen eine Rente bezahlt. Maximal ein weiteres Prozent geht in eine Kulturstiftung. Wir Journalisten, Autorinnen und Autoren, Fotografen und Kunstschaffende können unsere Urheberrechte nur schwer individuell verteidigen. Deshalb ist eine starke Organisation wichtig, die auch hochqualifizierte Anwälte anstellen kann. 2017 hat ProLitteris fast 35 Millionen Franken eingenommen.

Im Vorstand sitzen Verleger und Journalisten – und manche Verleger wollen ja, dass man sämtliche Urheberrechte abtritt.

Du kannst zwar Urheberrechte an die Verlage abtreten, aber keine gesetzlichen Vergütungsansprüche. Eine Zeit lang wollten einzelne Unternehmen ihren Journalisten sogar verbieten, Pro-­Litteris-Mitglied zu werden. Das geht nicht und nützt auch wenig, denn die gesetzlichen Entschädigungen werden trotzdem an die Mitglieder bezahlt.

Was verändert die Digitalisierung für ProLitteris?

Die Frage ist: Wie verteidigen wir unsere Rechte im digitalen Bereich, wo alles leicht kopierbar, alles sichtbar und zugleich unübersichtlich erscheint? ProLitteris führt zurzeit eine Online-Vergütung ein. Dabei ist wichtig, dass neben Juristen auch Urheber und Verlage mitreden: In unserem zwölfköpfigen Vorstand sind alle Sparten vertreten, in denen ProLitteris aktiv ist.

Seit 1988 – also seit 30 Jahren – sind Sie Mitglied des WOZ-Kollektivs.

Ja. Die WOZ ist heute ein stabiles Unternehmen geworden. Niemand hätte Anfang der 90er Jahre gedacht, dass sie 2018 überhaupt noch existiert und noch immer ein selbstverwalteter Betrieb sein wird. Vor 15 Jahren, bei der letzten grossen Krise, sind wir nahe am Konkurs vorbeigeschrammt. Nun ist alles sehr viel seriöser, es gibt eine Redaktionsleitung, Redaktionsbudgets, eine verbindliche Stellenplanung. Dass es der WOZ heute relativ gut geht, liegt aber auch am Zerfall der sogenannt seriösen Medien. Gesellschaftlich betrachtet ist das eine Katastrophe, doch den WOZ-Journalismus macht es attraktiver.

«Es ist wohl nicht mehr so sexy, von der WOZ zum ‹Tagi› zu wechseln.»

Man könnte auch sagen: Früher war die WOZ wild, jetzt ist sie brav.

Das stimmt nicht. Schön ist, dass die WOZ immer wieder von einer neuen Generation übernommen und verändert wird. Früher sind die jungen WOZ-Journalistinnen und -Journalisten aber bald zu anderen Medien verschwunden. Heute gehen nicht mehr so viele weg. Es ist wohl nicht mehr so sexy, von der WOZ zum «Tagi» zu wechseln.

Sie sind zurzeit noch Mitglied des WOZ-Kollektivs, aber beurlaubt.

Ich war etwa ein Jahr lang beurlaubt. Neuerdings arbeite ich mit einem 10-Prozent-Pensum wieder für die WOZ. Es ist mir wichtig, den Anschluss nicht zu verlieren. Ich nehme aber schon lange nicht mehr an strategischen Sitzungen teil. Ich will nicht in die Rolle des alten «Chnuschti» geraten, der sich gegen Veränderungen stemmt und ständig sagt: «Das haben wir doch immer so gemacht!»

Für Ihre Buchprojekte haben Sie schon früher Urlaub genommen.

Ja. Aber die meisten meiner Bücher sind aus WOZ-Serien entstanden oder wurden zumindest teilweise in der WOZ abgedruckt.

«Bildlegenden» ist Ihr erstes Buch mit kurzen Texten.

Die «Bildlegenden» entstanden, weil ich für meine Projekte oft in alten Zeitungen recherchiere und alte Fotografien sammle. Seit 2013 schreibe ich im Kulturmagazin «Saiten» eine Kolumne darüber, meistens beginnt es mit einem Bild, das ich finde. Ich recherchiere die Geschichte dazu: Aufgrund einer Postkarte, die den «Gasthof zur Moskau» in Ramsen zeigt, habe ich zum Beispiel entdeckt, dass dieser Ort an der Grenze als Anlaufstelle für anti­faschistische Schmuggler diente.

«Ich will nicht in die Rolle des alten ‹Chnuschti› geraten.»

An welchen Projekten arbeiten Sie sonst noch?

Aktuell berate ich das Theaterprojekt 1918.ch zum Landesstreik, das in Olten aufgeführt wird. Oft arbeite ich auch für Gewerkschaften. Seit einigen Jahren recherchiere ich im Auftrag der Thurgauer Regierung an einer Geschichte der Arbeit in diesem Kanton. Ich bin über die journalistische Arbeit zum Historiker geworden.

Als was bezeichnen Sie sich denn heute?

Als Historiker oder Journalist, je nach Adressat. Ich bin beides gerne.

Haben Sie sich nie überlegt, anstelle von zeitlich begrenzten Projekten und der WOZ einen wirtschaftlich sichereren Hafen anzusteuern?

Ständig. Aber ich wollte auch immer meine Projekte durchziehen. Es gab hie und da ein Angebot. Wenn ich sehe, wie es heute alten Journalisten geht, die bei anderen Medien arbeiten, dann habe ich allerdings eine sehr glückliche Laufbahn gehabt.

Stichwort andere Medien: Entlassungsrunden folgen auf Sparrunden – wie schätzen Sie die Situation des Journalismus und der Journalisten ein?

Die Situation ist dramatisch für den Beruf. Für uns ältere Journalisten ist es besonders hart, weil wir andere Standards gewohnt waren. Man trampelt auf unserer beruflichen Würde herum. Für die Jungen ist es vielleicht einfacher: Sie finden womöglich neue Formen, um sich zu wehren. Aber wenn ich heute die Qualität von manchen Zeitungsberichten anschaue, dann tut es schon weh: Sagt jemand öffentlich, die Welt sei eine Scheibe, dann wird das sofort publiziert und man stellt gerade noch die Aussage eines anderen dazu, der behauptet, die Welt sei eine Kugel. Beide gelten als gleichwertige Experten, statt dass geschrieben wird: «Nein, die Welt ist gopferdammi rund, das ist doch längst recherchiert, du Tubel!»

Stefan Keller

Stefan Keller, 60, ist seit Juni 2018 Präsident von ProLitteris. Der Journalist, Buchautor und Historiker arbeitet seit 30 Jahren für die «Wochen­zeitung» (WOZ). Daneben war und ist er für verschiedene Projekte im Bereich Arbeiter- und Alltagsgeschichte tätig und aktiver Gewerkschafter.

1991 erschien Kellers erstes Buch, «Maria Theresia Wilhelm – spurlos verschwunden», 1993 folgte mit «Grüningers Fall» die Geschichte von Paul Grüninger, der zahlreichen Jüdinnen und Juden das Leben rettete. 2001 kam «Die Zeit der Fabriken» über die Lastwagenfabrik Saurer und ihrer Arbeiter heraus, 2003 «Die Rückkehr» über Joseph Spring, der nach seiner Auslieferung durch Schweizer Beamte nach Auschwitz deportiert worden war. 2016 erschien «Bildlegenden: 66 wahre Geschichten».

ProLitteris

ProLitteris ist die Verwertungsgesellschaft für Text- und Bildrechte. Autoren, Journalisten, Künstler und Verlage können über ProLitteris ihre Vergütungsansprüche geltend machen. Für Texte im Internet hat ProLitteris neu eine Online-Verteilung entwickelt, die zurzeit getestet wird: In Webseiten werden Zählmarken einprogrammiert, damit werden Seitenaufrufe gezählt und ab einer bestimmten Anzahl Besuche wird später eine Entschädigung bezahlt.

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