Aktuell – 03.12.2013

Politisches Seilziehen um die RSI-Direktion

Seit einem Jahr wird nach einem neuen RSI-Direktor gesucht. Es erscheint als skandalös langes und politisches Auswahlverfahren. Nun soll demnächst der definitive Entscheid fallen. Die RSI-Angestellten pochen in einer Petition auf professionelle Kriterien bei der Auswahl. Und die Tessiner Medien nennen bereits den Namen des Ausserwählten.Von Gerhard Lob

Am Freitag, den 13. Dezember, wird informiert, wer neuer Direktor beziehungsweise neue Direktorin der Radiotelevisione Svizzera (RSI) in Lugano wird. Es ist auch höchste Zeit. Seit mittlerweile einem Jahr sucht die SRG-Unternehmenseinheit einen neuen Chef – beziehungsweise eine neue Chefin – für die Nachfolge von Dino Balestra, der Mitte 2014 in den Ruhestand tritt (Edito+Klartext 4/2013). Diskret läuft das Auswahlverfahren nicht gerade ab, denn die Tessiner Tageszeitungen und Online-Portale informieren regelmässig über den neuesten Stand der Dinge. Und es wird von politischer Seite mächtig Druck gemacht.

Am 30. November schrieb der "Corriere del Ticino" quasi in eigener Sache, dass sich Marcello Foa, Verwaltungsratsdelegierter dieser Tageszeitung und der übergeordneten TI-Media-Holding (Corriere, Web-Ticinonews, Radio3i, TV-Teleticino) aus dem Auswahlverfahren zurückgezogen habe, nachdem er vom Consulting-Unternehmen Executive Search kontaktiert worden sei. Tatsächlich ist bekannt, dass sich die RSI bei der Suche nach einem neuen Chef auch externer Headhunter-Firmen bediente. Zugleich berichtete der "Corriere", dass es die dritte vorzeitige Absage von externen Wettbewerbern sei: Manager Daniele Lotti, Chef der Elektrizitätsgesellschaft Sopracenerina in Locarno, und Botschafter Roberto Balzaretti, Vertreter für die Schweiz bei der EU in Brüssel, hätten sich ebenfalls verabschiedet.

Ausschlaggebend für das lange Verfahren ist die Zusammensetzung des Gremiums, das die Kandidaturen zu beurteilen hat. Es handelt sich um den Corsi-Ausschuss, also quasi den Verwaltungsrat der RSI-Trägergenossenschaft Corsi (Società cooperativa per la radiotelevione Svizzera di lingua italiana). Und dieser ist nach den politischen Kräfteverhältnissen im Kanton Tessin zusammengesetzt. Im siebenköpfigen Ausschuss ist Luigi Pedrazzini (CVP) Präsident, weitere Mitglieder sind Giorgio Giudici und Gabriele Gendotti (FDP), Michele Foletti und Paolo Sanvido (Lega), Anna Biscossa (SP) und mit Fabrizio Keller (CVP) ein Repräsentant aus dem italienischen Graubünden. Dazu kommt ohne Stimm-, aber mit Vetorecht, SRG-Generaldirektor Roger De Weck.

Diese politischen Kräfteverhältnisse spielen eine entscheidende Rolle beim Auswahlverfahren, was nicht weiter verwunderlich ist, da niemand, mit Ausnahme von De Weck, beruflich in der Medienwelt beheimatet ist. So sollen sich etwas die Lega-Vertreter gegen Foa ausgesprochen haben, weil er ein Italiener ist und als solcher wahrgenommen wird, auch wenn er einen Schweizer Pass besitzt. Roberto Balzaretti soll sich zurückgezogen haben, weil sein Namen öffentlich wurde, obwohl er sich Diskretion hatte zusichern lassen. Bei dem von der FDP gepushten Lotti spielten offenbar überzogene Saläransprüche eine Rolle.

Angesichts des politischen Tauziehens wurde es den RSI-Angestellten, insbesondere den Journalistinnen und Journalisten, immer mulmiger. Wer kommt da wohl? Und nach welchen Kriterien findet die Auswahl letztlich statt? Die Journalistengruppe GIR (Gruppo informazione radio, TV e multimedia) und das SSM überreichten am 21.November eine von 381 Angestellten unterschriebene Petition an den Corsi-Ausschuss, in der sie einen 10-Punkte-Katalog mit den Erwartungen an den neuen RSI-Chef – und damit auch an das Wahlgremium – formulierte. Dieser müsse politisch unabhängig sein, mit den Sozialpartnern verhandeln können, die Konvergenz nach inhaltlichen und nicht nach logistischen Gesichtspunkten vorantreiben sowie die RSI wieder zu einem Medium von nationaler Ausstrahlung machen. Das sind nur einige der zehn Punkte einer Petition, die das ungute Klima spiegelt, das bei der RSI als einem der grössten Arbeitgeber der Südschweiz im Moment herrscht.

Am 3. Dezember hat der Corsi-Regionalrat nun intern nominiert, am 13. Dezember folgt die Ratifizierung durch den (nationalen) SRG-Verwaltungsrat, der das letzte Wort bei der Wahl hat. Das Verfahren bei der Suche nach einem neuen RSI-Direktor scheint in der SRG-Generaldirektion schon länger sauer aufzustossen, wie aus gut unterrichteten Kreisen zu vernehmen ist. Auf Anfrage nehmen weder die SRG-Direktion noch der SRG-Verwaltungsrat Stellung – "aus Gründen der Governance ". Die definitive Wahl scheint dennoch nur eine Formsache zu sein – zumindest für einige Medien. Denn am 4. Dezember bringen einige Tessiner Zeitungen Maurizio Canetta als faktisch gewählten Direktor bereits auf den Frontseiten – die Infos der "amici" aus dem Wahlgremium machen es offenbar möglich. Und auf Facebook wird Canetta bereits gratuliert.

Die lange Leidenszeit dürfte aber bald beendet sein. Noch zwei interne Kandidaten sind mit Sicherheit im Rennen: Milena Foletti, welche das Gesamtprogramm und Bild (Palinsesti e immagine) verantwortet, sowie Maurizio Canetta, Chef der Informationsabteilung. Im ersten Auswahlverfahren, das Mitte Jahr annulliert wurde, war Foletti bereits unter den letzten beiden Kandidaten. Canetta ist hingegen hinzu gekommen, weil er sich dank einer Anhebung der Alterslimite bei der erneuten (zweiten) Ausschreibung des Postens bewerben konnte. Er wird am kommenden 25. Dezember 57 Jahre alt.

Würde sich die SRG für Foletti entscheiden, dürfte man sich fragen, warum sie nicht schon vor einem halben Jahr gewählt wurde, als die Ausschreibung aufgehoben wurde und erneut erfolgte. Alles läuft daher auf eine Wahl von Maurizio Canetta hinaus, der – trotz linker Prägung (er war sogar SP-Gemeinderat in Paradiso) im Moment wohl die besten Chancen hat, den RSI-Thron zu besteigen. Mit ihm würde mit Sicherheit ein absoluter journalistischer Profi gekürt, der in allen Ressorts – vom Sport über die Kultur bis zur Information und Unterhaltung – Erfahrung gesammelt hat und leitende Funktionen inne hatte. Die Unterzeichner der Petition dürften mit seiner Wahl wohl einverstanden sein – immerhin war Canetta vor wenigen Jahren noch Präsident von ATG (Impressum) Ticino.

 

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