Aktuell – 07.07.2017

Publikumsbeschimpfung

Warum unternimmt denn niemand etwas?

Von Philipp Cueni

Sie, verehrtes Publikum von EDITO, sind in erster Linie Medienschaffende. Sie erlauben wir uns zu beschimpfen. Sie dürfen diese Beschimpfung aber gerne weitertragen – an Ihr Publikum – die Leserinnen, Hörer, Zuschauerinnen – und damit an die Citoyennes und Citoyens der Schweiz.

Beide Publika sollten massiv besorgt sein. Denn es steht eine Profession, eine gesellschaftliche Schlüsselfunktion, auf dem Spiel, der Journalismus. Die Frage stellt sich ernsthaft, wie eine Gesellschaft aussehen würde, in welcher guter und unabhängiger Journalismus nicht mehr stattfindet – weil ihn niemand mehr bezahlt. Diese Sorge, das zeigt unser FOKUS, ist leider nicht unbegründet.

«Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit!»

Man stelle sich vor, die Gesundheitsversorgung wäre bedroht. Oder die Versorgung mit Nahrungsmitteln, mit Energie? Oder auch schon nur, niemand mehr würde dafür sorgen, das Justizsystem zu finanzieren. Es würde öffentliche Sorge und Unruhe ausbrechen. So ist doch zumindest zu hoffen. Jetzt geht es um die Versorgung der Demokratie – mit Informationen, Kritik und Debatte.

Es gibt genügend Anzeichen, dass der Journalismus bedroht ist. Okay, erst bedroht: Er funktioniert immer noch, zum Teil mit hervorragenden Leistungen. Aber die Sturm-Prognosen sind klar und eindeutig. Und sie richten sich an die Medienschaffenden wie auch an das Publikum.

Man müsse das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach gutem Journalismus wieder neu wecken – «das haben wir in den letzten Jahren massiv vernachlässigt!», sagt der Medienwissenschafter Mark Eisenegger (zum Beispiel auf persoenlich.com). Doch wer soll das tun? Wen kümmert die Lage? Wo bleiben die ausserordentlichen Redaktionskonferenzen? Wo die Workshops und Versammlungen der Journalismus-Zunft? Wo in den Medien selbst liest oder hört man den Aufschrei «Wir sind bedroht»?

Die diversen Erklärungen sind bekannt: So dramatisch ist die Situation vielleicht doch nicht. Vor lauter Arbeit für guten Journalismus hat man keine Zeit, sich auch noch um den Journalismus selbst zu kümmern. Der Stress im normalen Arbeitsalltag ist schon jetzt genug hoch, verstellt die Meta-Sicht.

Sich zu sorgen, bringt nichts – es entscheiden sowieso andere. Und mit einer kritischen Betrachtung der – zum Beispiel – Verlegerpolitik macht man sich im Hause, das einem eine gute Arbeit ermöglicht, nicht unbedingt beliebt.

Oder ist etwa die Distanz zum eigenen Beruf schon derart gross, dass man sich innerlich bereits begonnen hat, davon zu verabschieden? Journalismus ist keine Berufung mehr – Jobs gibt es auch in der Kommunikation, in der Beratung, in der Politik…

«Der Journalismus muss sich seiner eigenen Verantwortung bewusster werden». So schloss der Präsident der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK), der Medienwissenschafter Otfried Jarren, kürzlich eine Veranstaltung der EMEK. Er hofft, dass sich die Journalistinnen und Journalisten vermehrt in die Debatte um die Zukunft ihres Berufs, um die Basis ihres Berufs einbringen. Dass sie sich also in die Medienpolitik einmischen.

Einen kleinen Anfang machen die drei Mediengewerkschaften – endlich. Ende Juni laden sie ein erstes Mal zur Debatte: «Und wer spricht vom Journalismus? Private, SRG und der Billag-Knatsch: Was den Journalismus wirklich bedroht.»

«Empört euch!» hiess 2011 ein Bestseller des französischen Schriftstellers Stéphane Hessel: Ein Aufruf gegen Ungerechtigkeiten in der globalen Gesellschaft und die Bedrohung des Planeten selbst. Hier geht es um die die Medien und die Demokratie. «Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit», schrieb Hessels. «Kümmert euch!» – möchte man ergänzen.

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