Die Journalistin Margaret Mansaray im Studio von Radio Bintumani. Foto: Eva Hirschi

Aktuell – 09.07.2019

«Man muss nicht gebildet sein, um Radio zu hören»

In Sierra Leone sind mehr als 200 Zeitungen registriert, trotzdem ist das Radio das wichtigste Medium. In der Ebola-Krise spielte es eine entscheidende Rolle.

Von Eva Hirschi

Am Anfang glaubten viele Menschen gar nicht, dass Ebola wirklich existiert», sagt Alhaji Babah Kamara. «Es kursierten zahlreiche Gerüchte und Falschinformationen», sagt der Programmleiter eines Gemeinschaftsradios im Norden von Sierra Leone. Soeben hat er mich durch das Hauptgebäude des 2003 gegründeten Radio Bintumani geführt, nun gehts mit dem Motorrad vom Stadtzentrum in Kabala über eine staubige Buckelpiste hinauf auf einen Hügel, wo zwei weitere, kleine Radiogebäude und eine grosse Antenne stehen. Von hier erreicht Radio Bintumani Zehntausende Menschen in der Region. Und genau das war entscheidend, als in Sierra Leone Ebola ausbrach.

Es war Ende Mai 2014, als im kleinen Land an der Küste Westafrikas der erste Ebola-Fall festgestellt wurde. «In der ersten Phase ging es vor allem darum, die Menschen zu überzeugen, dass es sich tatsächlich um ein tödliches Virus handelt und nicht um Einschüchterungspropaganda der Regierung», sagt Kamara, während er mir das kleine Aufnahmestudio zeigt. Hier hatten sie Sondersendungen aufgenommen, um die Menschen zu informieren, aber auch zu instruieren. Der Bildungsaspekt war bei Radio Bintumani bereits vorher wichtig, es gibt Sendungen zur Gesundheit, wie etwa zu Malaria, aber auch zu Jugend, Bildung oder Frauen.

Für Letzteres ist Margaret Mansaray zuständig. Zu unserem Treffen erscheint sie etwas zu spät, sie war noch mit einem Interview für ihre sonntägliche Radiosendung beschäftigt. Die widmet sich ganz der weiblichen Bevölkerung und spricht Themen wie etwa Bildung für Mädchen, Teenage-Schwangerschaft, Zwangsheirat oder Frauen als Führungskräfte an. «Hier herrscht immer noch das Klischee, dass Frauen nicht arbeiten, sondern kochen und auf die Kinder aufpassen sollen», sagt die 23-jährige Frau. Medien, davon ist sie überzeugt, könnten helfen, die Situation zu ändern, und den Frauen eine Plattform geben, zum Beispiel indem sie ins Studio anrufen und ihre Meinung kundtun.

Vermittler zwischen Arzt und Bevölkerung. Das sei auch bei der Ebola-Krise entscheidend gewesen. «Wenn die Zuhörer Fragen zu Ebola hatten, konnten sie ins Studio anrufen», sagt Mansaray. Diese Möglichkeit wurde rege genutzt. «Wir haben auf die Ratschläge von Ärzten gehört und diese weiterverbreitet.» Zudem sei es wichtig gewesen, nahe an die Menschen ranzugehen und zu versuchen, mit dem Stigma zu brechen. «Wir interviewten auch Personen, die krank waren, um zu zeigen, dass man sie nicht von der Gesellschaft ausschliessen sollte, sondern dass es eine Möglichkeit auf Heilung gibt», erzählt die junge Frau.

Knapp zwei Jahre dauerte es, bis das Land im März 2016 von der Weltgesundheitsorganisation für ebolafrei erklärt wurde. Fast 4 000 Opfer hatte das Virus gefordert. Infiziert hatten sich aber mehr als dreieinhalb Mal so viele. Sprich: Die Menschen konnten geheilt werden – weil sie richtig informiert worden waren, rechtzeitig zum Arzt gingen und das Wissen schlussendlich die Angst besiegte.

Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Informationen spielte auch das Independent Radio Network (IRN), das über 40 Partnerradios in Sierra Leone vereint. «IRN bereitete spezielle Informationsprogramme über Ebola vor, die alle Partnerradios zur gleichen Zeit sendeten, so dass die Menschen fast keine Wahl hatten, etwas anderes zu hören», erklärt Kamara von Radio Bintumani. Dazu gehörten etwa Anweisungen zum richtigen Händewaschen oder das Erkennen von Symptomen. Auch andere Institutionen organisierten solche Programme, denn für die Bevölkerung blieb das Radio auch im Kampf gegen das Virus die wichtigste Informationsquelle. Dies bestätigte eine von UNICEF durchgeführte Studie: 85 Prozent der Befragten gaben an, dass das Radio ihre bevorzugteste Quelle sei, um Informationen über Ebola zu erhalten. Doch warum ausgerechnet das Radio? Dafür braucht es einen Blick auf die Medienlandschaft des Landes.

«Hier herrscht immer noch das Klischee, dass Frauen nicht arbeiten sollen»

Margaret Mansaray

Ich treffe Kelvin Lewis, Präsident des Journalistenvereins von Sierra Leone und Herausgeber von «Awoko», einer der wichtigsten Tageszeitungen des Landes. Er erklärt: Zwar gebe es in Sierra Leone um die 200 registrierte Zeitungen, doch die wenigsten würden regelmässig erscheinen. «Die meisten Zeitungen publizieren nur, wenn gerade Wahlen anstehen oder sie genügend Anzeigen zur Finanzierung des Drucks gefunden haben», so Lewis. Er würde eher von einer Handvoll Tageszeitungen sprechen. Auch erscheinen alle in der Landessprache Englisch, obwohl eigentlich Krio die Lingua franca ist und insgesamt über 20 Sprachen in Sierra Leone gesprochen werden. Und: von all den Zeitungen erscheinen gerade einmal drei ausserhalb der Hauptstadt Freetown. «Die Zeitung ist ein elitäres, urbanes Medium. Sierra Leone ist aber ein sehr rurales Land, Radiostationen gibt es dafür fast in jeder Gemeinschaft», sagt Lewis.

Radios diskriminieren nicht. Auch in Kabala ist das Radio das wichtigste Medium. Eine Lokalzeitung findet man hier nicht. Dass das Radio trotz hoher Mobiltelefonpenetration selbst Online-News oder Social Media weit hinter sich lässt, hängt mit der tiefen Alphabetisierungsrate zusammen: 2015 lag diese in Sierra Leone gemäss Weltbank bei 48 Prozent. «Radios diskriminieren nicht, man muss nicht gebildet sein, um Radio zu hören», sagt Kamara.

Das Fernsehen sei genau so wenig eine Konkurrenz: «Sehr wenige Familien haben Zugang zu Elektrizität, deshalb hat auch fast niemand ein TV-Gerät», sagt Kamara. Auf dem Hügel neben der Radioantenne werde ich selber Zeugin davon, wie die Stadt mit der einbrechenden Nacht in Dunkelheit gehüllt wird und nur wenige Lichter aufleuchten – vereinzelten Stromgeneratoren oder Solarlampen zum Dank. Das Radio summt unterdessen batteriebetrieben weiter.

«Ich glaube, dass ich einen Einfluss auf die Gesellschaft und das Leben der Frauen habe.»

Margaret Mansaray

Noch eine wichtige Funktion kommt insbesondere den unabhängigen Gemeinschaftsradios zu: Sie senden in verschiedenen Lokalsprachen. Bei Radio Bintumani gibt es neben Englisch und Krio auch Sendungen in Kuranko, Limba, Fula, Mende, Temne, Mandingo und Yalunka. So könne man ein Maximum an Personen in der Region erreichen, sagt Kamara.

Nicht nur positiv. Die Berichterstattung während der Ebola-Krise hatte aber auch ihre Schattenseiten. Es sind Fälle bekannt, wo es zu Repressionen gegen Medienschaffende kam. Der Radiojournalist David Tam-Baryoh von Citizen FM wurde im November 2014 für elf Tage von der Polizei festgenommen, weil er und ein Studiogast die Handhabung der Ebola-Krise durch den Präsidenten kritisiert hatten. Zwar gebe es in Sierra Leone kaum direkte Zensur, «doch wenn man über gewisse Dinge berichten will, muss man mögliche Konsequenzen in Kauf nehmen», sagt James Tamba Lebbie, Dozent für Massenkommunikation am renommierten Fourah Bay College in Freetown. Weitere Probleme sieht er in der Korruption wie auch in der Scheindiversität: «Die Mehrheit der Medien benützt die gleichen Quellen, oft ohne sie zu verifizieren», sagt Lebbie. Es gebe aber verschiedene Trainings für Medienleute, wie etwa von BBC Media Action.

Auch bei Radio Bintumani erhalten alle Freiwilligen Weiterbildungskurse. Obwohl Margaret Mansaray bei Radio Bintumani nichts verdient, steckt sie ihre ganze Energie in diese Arbeit. «Es ist meine Leidenschaft. Und ich glaube, dass ich einen Einfluss auf die Gesellschaft und das Leben der Frauen haben kann», sagt sie. Dies habe nur schon die Ebola-Krise gezeigt. Ihre Zukunftspläne? «Ich möchte eine berühmte Investigativ-Journalistin werden und bei einem grossen internationalen Sender arbeiten, wie bei BBC.»

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