Aktuell – 02.05.2018

Rupperswil in der Medienkritik

Es gibt Bewährungsproben im Journalistenleben, die nur eine Antwort verdienen: Bestanden oder nicht bestanden. Und es gibt andere. Rupperswil war so eine andere. Die Journalistinnen und Journalisten haben die Prozesswoche mit Anstand bestanden.

Peer Teuwsen will zwar ein Nicht-Bestanden gesehen haben, wie er in der «NZZ am Sonntag» bekrittelte. Zwei Tage nach dem Gerichtsurteil griff er seinerseits zum Hämmerchen und beschied dem erfahrenen Gerichtsreporter Viktor Dammann: zu wenig «professionelle Distanz» und zu viel «eigene Emotion». Es spricht für die Forumszeitung, dass in der gleichen Nummer Christine Brand dem Kollegen Teuwsen widersprach: Bestanden. «Gerichtsprozesse sind kollektive Verarbeitungsprozesse. Bei einem schweren Gewaltdelikt ist das ­Bedürfnis gross, an diesem Verarbeitungsprozess teilzuhaben», und sie betonte die Kontrollfunktion der Medien.

Die übernahm Dammann in einem «Blick»-Kommentar. Er schimpfte über die amtliche Pflichtverteidigerin Renate Senn: «Sie überdrehte ihre Verteidigung mehrfach. Und sie beging eine anwaltliche Todsünde: Senn schob den Opfern eine Mitschuld zu, verhöhnte sie geradezu.» Nicht bestanden, meinte Susan Boos in einem engagierten Text in der WOZ vom 22. März: «Zu keinem Zeitpunkt hat die Verteidigerin die Opfer verhöhnt … Sie verteidigte Thomas N. – nicht seine Tat. Es ist die vermaledeite Aufgabe einer Verteidigung, jeden ­Aspekt vorzubringen, der strafmildernd wirken könnte.» Anders sah es Gerichtspräsident Daniel Aeschbach. Er bezeichnete gewisse relativierende Darstellungen des Tatverlaufs durch die Verteidigerin als «bizarr und grotesk». Für ihn hat Damman bestanden.

Nicht bestanden haben die Journalisten nach der Medienkonferenz vom 13. Mai 2016 über die Verhaftung von Thomas N. – Unschuldsvermutung hin oder her. Fast alle – von der «NZZ» bis «Blick» – haben danach vorbehaltslos vom «Täter» oder «Mörder» geschrieben, obwohl ein rechtsgültiges Urteil bis heute nicht vorliegt. Zu diesem Ergebnis kommt der ehemalige Journalist Alex Dutler in seiner juristischen Masterarbeit an der Universität Zürich.

Bei einem Detail hat der Gender-Nerv kurz angegeben: Gerichtsreporterinnen berichteten über die Schönheit des Angeklagten: Für Silvia Tschui vom «SonntagsBlick» «könnte der Rupperswiler Mörder einem Model-Katalog entsprungen sein … von Jugendglanz übergossen», für Christine Brand von der «NZZ am Sonntag» ist er «ausnehmend gutaussehend» und für Lea Hartmann von «Blick» «ausgesprochen hübsch». Keine von ihnen liess sich durch eine übertriebene politische Korrektheit bremsen. Bestanden.

Hannes Britschgi,
Ringier Journalistenschule

 

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