Röstigraben – 03.05.2021

Sami Zaïbi: «Sie werden wie Charlie Hebdo enden»

Sami Zaïbi ist Journalist für die Onlinezeitung Heidi.news

Im Sommer 2020 habe ich eine französisch-schweizerische Verschwörungsgruppe infiltriert, die sich um einen Youtube-Kanal schart und coronaskeptische Verschwörungstheorien verbreitet. Ihre Galionsfiguren sind Lehrerinnen, Exbanker und medizinisches Pflegepersonal. Um diese neuen Meinungsführer, deren politische Agenda, ihre Organisation und den Erfolg ihrer Doktrin besser zu verstehen, habe ich während zweier Monate vorgegeben, ein der Verschwörung positiv geneigter Video­produzent zu sein. Parallel zu den für die Gruppe produzierten Videos schrieb ich eine Artikelserie für Heidi.news.

Als ich «Im Herzen der Verschwörungswelt» publizierte, rechnete ich mit herber Kritik. Ich sagte mir: Der Zweck heiligt die Mittel, dann gehört Kritik dazu. Dann verdrängte aber eine regelrechte Hasswelle alle meine Erwartungen. Ich wurde als «journalistische Schlampe», «Quisling» und mit anderen weniger nett klingenden Beleidigungen eingedeckt. Selbst rassistische Kommentare fehlten nicht, einige davon waren sogar ganz amüsant wie etwa: «Wenn ein Maghrebiner ‹Guten Tag› sagt, dann ist das bereits eine Lüge.» Auf SoundCloud wurde sogar ein Lied gepostet, ­das dazu aufrief, mich «aus der Welt zu schaffen». Bei einem Kommentar horchte ich ganz besonders auf: «Sie werden so enden wie Charlie Hebdo». Peng, der Rubikon war überschritten.

Später dann veröffentlichte Chloé Frammery, die Leaderin der Gruppe, meine Natelnummer auf Facebook. Doch zu meinem Erstaunen erhielt ich keinen einzigen Anruf. Hunderte von beleidigenden Kommentaren auf Social Media, doch kein einziger Telefonanruf, um mich zur Sau zu machen. Erst da realisierte ­ich, was diese Art von Shitstorm in Wirklichkeit ist: nämlich ein performativer Akt. Eine unüberlegte Hasstirade, die automatisch in die Tastatur gehauen wird. Ein virtuelles Rennen mit der Absicht, jenen Schrei hervorzurufen, der am meisten Aufsehen erregt. Und was entsteht dabei? Nichts als leere Worthülsen! ­

Doch während ich an diesen obszönen Kommentaren herum­nörgele und sich Wolinski und seine Kumpels im Grab umdrehen, hat der besagte Internet-User bestimmt schon vergessen, dass ­er diesen drohenden Kommentar geschrieben hat. Ich möchte allen Medienschaffenden danken, die mir auf­munternde und unterstützende Nachrichten geschickt haben.

 

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