«Brief an …» – 18.03.2022

Sehr geehrter Herr Caroni

Sie stehen, wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben, ein «für eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung»; im Mittelpunkt steht für Sie «der freie, aber auch selbstverantwortliche Mensch». Durchaus einleuchtend, schliesslich sind Sie ein Vertreter der FDP. Der Staat, schreiben Sie weiter, müsse «für optimale Rahmenbedingungen sorgen, damit wir alle uns nach unseren Wünschen und Fähigkeiten entfalten können». Dazu sei er auch für den «nötigen sozialen Ausgleich» zuständig, «um denjenigen zu helfen, die unverschuldet in Not sind». Doch er «soll schlank sein und nur so sehr in das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen, wie dies in höherem Interesse nötig ist».

Passend dazu – «schlanker Staat» – haben Sie als Vertreter von Appenzell Ausserrhoden im Ständerat gegen einen Ausbau der Medienförderung gestimmt. «Höheres Interesse» oder «unverschuldete Not» haben Sie im Fall der medialen Versorgung der Schweiz offenbar nicht ausmachen können.

Auch sonst scheinen Sie, sehr geehrter Herr Caroni, nicht der allerallergrösste Fan von Medien – oder zumindest von investigativem Journalismus – zu sein. Letztes Jahr bezeichneten Sie Journalisten, die Indiskretionen aus der von Ihnen präsidierten parlamentarischen Gerichtskommission veröffentlichten, als «Hehler» und ereiferten sich über den «extrem rigiden Quellenschutz» in der Schweiz. Und natürlich hat man sich in letzter Zeit an Ihren Einsatz im Nationalrat für die Verschärfung von Artikel 47 des Bankengesetzes im Jahr 2014 erinnert. Seither können Medienschaffende mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden, wenn sie auf Basis von geleakten oder gestohlenen Bankkundendaten berichten. Darum hat sich Tamedia nicht an den internationalen Recherchen zu den «Suisse Secrets» beteiligt, die auf einem CS-Daten-Leak beruhen.

Man muss fair sein: Sie, werter Herr Caroni, haben Artikel 47 nicht im Alleingang verschärft, eine Mehrheit des Parlaments war dafür. Nur haben Sie besonders berührende Worte zum Schutz der Bankkunden gefunden. Es gehöre nicht zur Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, sagten Sie nämlich, «geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu verletzen».

Allerdings haben Sie unlängst eingeräumt, dass bei Artikel 47 «der Regler möglicherweise nicht perfekt eingestellt» sei, und sich diskussionsbereit gezeigt. In der Zwischenzeit aber fragen wir uns: Würden Sie wohl auch auf dem Schutz von Persönlichkeitsrechten und Intimsphäre – sprich: Bankkundendaten – bestehen, wenn es um Krieg führende Despoten, ihre Entourage und ihre Finanzquellen geht?

Wir hoffen, dass Sie zumindest in diesem Fall unsere Einschätzung – «höheres Interesse»! – teilen, und grüssen freundlich

EDITO

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