Aktuell – 28.10.2013

#Sesseltausch – Interview zur Bilanz mit Miriam Meckel

Sesseltausch beim Tagi – fünf Tage lang hat Miriam Meckel beim Tagi die Rolle der Chefredaktorin übernommen. Sie hat mitgearbeitet und als Kommunikationswissenschafterin viel beobachtet. Hier ihre Antworten zur Frage nach der Bilanz. Interview Philipp Cueni.

 

Edito: Die ursprüngliche Idee von Sesseltausch war ja eigentlich, der Kommunikationswissenschafterin einen näheren Einblick in die Praxis einer Redaktion zu verschaffen. Ganz fremd waren Ihnen Redaktionen ja nicht. Was haben Sie jetzt anders erlebt und beobachtet als erwartet?
Miriam Meckel: Meine Zeit in der Redaktion war beim Fernsehen und liegt etwa zwanzig Jahre zurück. Seitdem hat sich durch das Internet fast alles verändert. Es war ein echter ‚reality check‘ für mich, jetzt wieder einmal eine Redaktion über einige Tage von innen zu erleben.

War also die Provokation von Res Strehle, manchmal sei die Medienwissenschaft etwas gar weit weg von der Praxis, berechtigt?
Ich finde Provokationen selten überflüssig 🙂 Sie beleben den Diskurs. Und: er hat ja Recht.

Und was folgern Sie daraus für die Kommunikations- und Medienwissenschaft?
Ich bin mit einigen Anregungen und neuen Fragen aus der Woche zurückgekommen. Zum Beispiel mit der Einsicht, wie stark der Konvergenzprozess davon abhängt, dass man Ressort- und Arbeitsgrenzen in den Räumen, aber auch in den Köpfen einreisst.

Sie haben nicht nur beobachtet, sondern schnell aktiv mitgearbeitet. Was hat Ihnen persönlich am meisten Spass bereitet? Und wo glauben Sie, dass Sie für die Redaktion vielleicht andere Inputs als gewöhlich setzen konnten?
Ich mochte die Lebendigkeit in der Redaktion gerne. Es gab viele Gespräche, in Konferenzen, aber auch jenseits der vorgesehenen Gefässe, da habe ich viel lebhafte Diskussion erfahren. An vielen Stellen habe ich einfach Fragen gestellt, das hat manchen vielleicht irritiert, im optimalen Falle positiv. Den Freitag, an dem ich direkt beim Blattmachen mitgeholfen habe, fand ich sehr spannend.

Und was war Ihnen am meisten fremd oder bereitete Ihnen Mühe?
Was die Redaktion angeht: gar nichts. Was mich angeht: Ich habe gemerkt, dass ich an Phasen ruhigen Denkens an Rückzugorten gewöhnt bin. Zwölf Stunden Dauerpower am Tag waren für mich durchaus gewöhnungsbedürftig.

Die Samstags-Ausgabe mit dem Schwerpunkt "Leben im Netz" war sehr ambitioniert. Haben Sie den Aufwand und die nötige Vorlaufszeit für eine solche Themennummer etwas unterschätzt?
Res Strehle und ich haben beide nicht daran gedacht, dass die Woche in den Herbstferien liegt, das war sicher nicht so günstig, weil das Team allemal ferienbedingt reduziert war. Insofern war ich sicherlich noch ein zusätzlicher Belastungsfaktor mit der Samstagsausgabe. Umso mehr Dank gebührt der Redaktion, dass die so konstruktiv mitgemacht hat.
… und wie würde ihre kritische Blattkritik in Kurzform lauten?
Was die Ausgabe selbst angeht, hatte ich drei Ansätze: Ich wollte gerne eine hintergründigere Ausgabe mit Themenschwerpunkt machen, ich wollte einige Signale setzen zur Verzahnung von Print und Online, zum Beispiel durch die QR-Codes bei allen Schwerpunktartikeln, und ich wollte nicht so tun, als könnte eine Wissenschaftlerin die bessere Chefredakteurin sein und in fünf Tagen eine Zeitung revolutionieren.

Können Sie aus dieser Woche der Redaktion einige Tipps oder Empfehlungen mitgeben?
Weiter so, es braucht Durchhaltevermögen, den Konvergenzprozess zu meistern, aber es wird gelingen, und es lohnt sich.

Wo kann die Medienwissenschaft generell Hilfeleistungen oder Inputs an die Redaktionsarbeit geben?
Mein Eindruck ist: derzeit fahren fast alle Redaktionen am Anschlag. Der Transformationsprozess ist wirklich fordernd. Da bleibt wenig Zeit, über die grössere Linie, die Strategie nachzudenken. An der Stelle kann die Medienwissenschaft durchaus Unterstützung leisten, wenn sie sich auf die Fragen der Praxis einlässt.

Die Konvergenz ist beim Tagi erst kürzlich eingeführt worden. Das Thema der Verschränkung von Zeitung und Online hat die Woche stark geprägt. Sie befassen sich intensiv mit neuen Medien. Wie beobachten Sie diesen Konvergenzprozess?
Ich war sehr erstaunt, wie weit der Prozess etwa sechs Wochen nach der Implementierung schon fortgeschritten war und dass Vieles besser geklappt hat als erwartet.

Welche Rolle spielt dabei Twitter – mehr als ein Kanal zum Vermarkten der Inhalte?
Twitter ist eher ein Broadcastmedium, also sehr gut geeignet, um Themen zu triggern.

Manchmal hatte ich den Eindruck, dass fast etwas verkrampft nach einem "Mehrwert" im Netz gesucht worden ist, nur damit ein Bezug von der Zeitung zum Online hergestellt werden kann. Dass dieser Mehrwert inhaltlich aber oft recht gesucht oder dünn war.
Das sehe ich nicht so. Natürlich ist man an vielen Stellen noch auf der Suche nach den richtigen Ansätzen, das gehört zur Transformation dazu. Aber auf Twitter konnten Sie Samstag zum Beispiel Kommentare lesen, dass die Inhalte hinter den QR-Codes einen echten Mehrwert bieten. So soll es im Idealfall immer sein.

Sie haben die Strategiedebatte angesprochen. Vermutlich haben Sie auch erlebt, dass viele Mitglieder der Redaktion verunsichert sind, weil die Zukunft von Zeitung und Journalismus unklar ist. Haben Sie Interesse an dieser Debatte erlebt?

Das Interesse ist sehr gross, fast jeder ist von dieser Frage irgendwie betroffen. In vielen Gesprächen ging es genau darum: wie gelingt die Balance zwischen Aktualität und Tiefe der Themen, zwischen schnellem und hintergründigem Arbeiten und Recherchieren.

Sie haben für diese Woche die Idee der etwas anderen Samstags-Ausgabe eingebracht. Sie legen Wert auf die Konvergenz. Ihre Thesen zur Zukunft der Zeitung gehen in diese Richtung.
Medienunternehmen werden zu Multikanalanbietern. Auf allen Kanälen muss der Inhalt stimmen, sonst wird die Marke beschädigt. Aber die Kanäle unterscheiden sich sehr. Ich vermute, dass die Aktualität zunehmend ins Netz wandert, News sind längst Commodities. Die Zeitung, ob gedruckt oder als e-paper wird sich mehr auf Hintergrund, Orientierung und Positionierung ausrichten. Das Wochenende wird die Hoch-Zeit der Zeitungsnutzung sein.

Zurück zur Woche "Sesseltausch": Sie waren im Newsroom sehr präsent. Denken Sie, dass diese Intensität im gewöhnlichen Alltag einer Chefredaktorin so richtig wäre?
Das hängt sicher von der jeweiligen Situation in einer Redaktion und von der Persönlichkeit ab. Ob das im Alltag immer so geht, weiss ich nicht. Ich wollte in diesen Tagen einfach so viel wie möglich mitnehmen, deshalb habe ich versucht, oft ‚an der Front‘ zu sein.

Durch den Ablauf der Woche waren Sie logischerweise stark in den Produktionsprozess integriert. Hatten Sie auch Zeit, einige Kolleginnen und Kollegen (auch in den Ressorts) etwas kennen zu lernen?
Durchaus! Ich habe die Konferenzen mitgemacht, mit den einzelnen Ressortteams gesprochen und auch viele Einzelgespräche am Rande geführt.

 

Interview Philipp Cueni

Aus technischen Gründen konnte das Interview erst einige Tage später als geplant erscheinen.

#Sesseltausch Teil I – IV:

I Die ersten Tage von Miriam Meckel.

II: Die Optik der Redaktion

III: Das Experiment mit der Samstags-Ausgabe

IV: Die Bilanz von Miriam Meckel

*Der EDITO-Redaktor hatte während dieser Sesseltausch-Woche Zugang zu Redaktion und Sitzungen. Er verpflichtete sich, in dieser Zeit das Redaktionsgeheimnis einzuhalten und einige Spielregeln zu beachten.



 

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