Aktuell – 22.10.2013

#Sesseltausch – TEIL II

Wie die Redaktion auf den "Sesseltausch" reagiert hat. Von Philipp Cueni

Ein Gast als Chefredaktorin, die Idee einer speziellen Samstags-Ausgabe: Ja, es gab offenbar Skepsis bei den Mitarbeitenden des Tages-Anzeigers. Zusatzbelastung, mehr Druck in den eh neuen konvergenten Ablaufstrukturen, unnötiges Prestigeprojekt? Vielleicht gibt es sie noch, solche Stimmen. Ich habe sie während dieser Sesseltausch-Woche nicht vernommen. Aber wie hat die Redaktion die Chefredaktorin Miriam Meckel erlebt, und was hat der Versuch gebracht?

Der journalistische Beobachter* sucht naturgemäss nach Schwachstellen. Dennoch ist der Gesamteindruck durchwegs positiv.

Die Redaktion reagiert sehr positiv auf Miriam Meckel, hat sie schnell integriert. Das Klima ist die ganze Woche über entspannt und angeregt. Für die Redaktion, so tönt es in vielen Gesprächen, war die Sesseltausch-Woche interessant und eine Bereicherung. "Danke für den frischen Wind" verabschiedet sich ein Redaktor. Trotzdem war die Woche auch ein gutes Stück Zusatzbelastung. "Wir gehen über die Grenze, mehr als eine Woche wäre das so nicht möglich. Die Samstags-Ausgabe ist sehr ambitioniert und würde eigentlich mehr Vorbereitungszeit brauchen", so ein Redaktor, der engagiert mitarbeitet. Unglücklich war für etliche Kollegen auch, dass der Tausch in einer Zürcher Ferienwoche stattfand, in welcher etwa ein Drittel der Belegschaft abwesend ist.

Gut angekommen ist bei den Mitarbeitenden die lockere Art von Meckel, ihre Offenheit, ihr Engagement, ihre Kommunikation. "Obwohl sie eine Spezialistin für neue Medien ist, hat sie viel Interesse für die Zeitung gezeigt. Ihre Blattkritiken waren sehr gut, vielleicht mit einem anderen Blick als üblich, und mit vielen weitergehenden Ideen." Für eine andere Redaktorin hat Meckel in diesen fünf Tagen gar eine Dynamik ausgelöst: "Mit der Samstags-Ausgabe zum Thema "Netz" hat sie ein Zusammenfinden von Print- und Online-Kollegen bewirkt, welches für mich so neu war und nachhaltig wirken könnte."

Fast könnte man unterstellen, Meckel sei von der Tagi-Führung als Coach eingesetzt worden, um das Konvergenz-Projekt zu vertiefen. Dem war natürlich nicht so. Und gut angekommen in der Redaktion war Meckel offenbar, weil sie nicht nur viel zum Thema Konvergenz beitragen konnte, sondern weil sie "ein sehr breites Wissen, journalistisches Denken und redaktionelles Gespür" gezeigt habe. Beim Samstags-Thema "Leben im Netz sei der auch assoziative Bezug der Netz-Fachfrau positiv aufgefallen. Ein Vergleich mit Chefredaktor Res Strehle war bei niemandem ein Thema: "Einfach von der Person her war es anders, als wir es gewohnt sind".

Nur in einem Punkt wurde dennoch verglichen: Miriam Meckel habe die Konvergenz "noch konsequenter gedacht" als die Chefredaktion sonst, bemerkten einige Kollegen. Und ein Online-Spezialist hofft, dass noch mehr Kollegen redaktionell aktiv auf Twitter seien. "Das wäre für uns wichtig. Und da ist es gut, wenn die Chefredaktion wie jetzt Meckel mit gutem Beispiel aktives Vorbild ist."

Meckel war vor allem mit Planung und Produktion der einzelnen Ausgaben, mit der Blattkritik und den eigenen Texten beschäftigt. Sie diskutierte über Schwerpunkte, Themenwahl, die Umsetzung von definierten Themen, auch über Layout und Bilder. Aber sie besuchte auch die Ressorts. An einer Ressortsitzung ergab sich unabhängig von ihrer Präsenz eine Debatte über die Zukunft und Strategie der Tageszeitung. Meckel sei dabei eine interessante Gesprächspartnerin gewesen.

Mein Gesamteindruck als Beobachter: Die Redaktion hat die Präsenz des Gastes als willkommenen Input, als Belebung des Alltags aufgenommen. Viele haben sich in dieser Woche vielleicht sogar begeistern lassen, über das Normale hinaus engagiert – abgesehen vom Sondereffort wegen der IT-Panne. Wenn man beobachtet und bedenkt, unter welchem Produktionsdruck die Redaktion dauerhaft steht, wie skeptisch Redaktionen oft gegenüber Veränderungen reagieren, dann spricht das für die Offenheit und das Team der Tagi-Redaktion. Aber allen Beteiligten war klar, dass dieses "Experiment Sesseltausch" auf fünf Tage angelegt war. Diese Intensität wäre auf Dauer vermutlich nicht zu schaffen. Dass das Projekt an die Grenzen ging, sah man bei der Diskussion um die Samstags-Ausgabe.

Alle Zitate von Mitgliedern der Redaktion.

NÄCHSTER TEIL: Das Experiment mit der Samstags-Nummer.

*Der EDITO-Redaktor hatte während dieser Sesseltausch-Woche Zugang zu Redaktion und Sitzungen. Er verpflichtete sich, in dieser Zeit das Redaktionsgeheimnis einzuhalten und einige Spielregeln zu beachten.

 

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