Aktuell – 27.06.2018

Sprache braucht kein Rettungskommando

Sprachkritiker wollen uns in Kolumnen und Ratgebern beibringen, was richtiges Deutsch ist und wie gesprochen werden soll. Sie suggerieren Horrorszenarien eines Sprachzerfalls und warnen vor «überflüssigen» und «falschen» Ausdrücken. Das ist nicht nur überheblich, sondern verdirbt die Lust an der Sprache.

VON JULIA KOHLI

Geil», so verkündet Martin Ebel, Literaturchef beim «Tagesanzeiger», «gehört nicht zu meinem aktiven Wortschatz.» «Benutzen Sie dieses Wort nicht überall», empfiehlt er mit väterlichem Nachdruck. Eine imposante Bücherwand stärkt ihm in seiner Videobotschaft den Rücken. Man könnte meinen, er bewahre den Zuschauer damit vor der Apokalypse.

In einer anderen seiner «Sprachsprechstunden» predigt er, man dürfe nur Gebäude «evakuieren», nicht aber Menschen, denn dies sei, betrachte man die ursprüngliche Bedeutung des Worts, gar nicht möglich. In der «Neuen Zürcher Zeitung» wird in einer Kolumne die angebliche grammatische Bedürftigkeit unserer Zeitgenossen angeprangert: «Apos­trophitis und andere Seuchen» würden grassieren, wir seien an einem «Tiefpunkt» angelangt und es gäbe «wenig Hoffnung auf Besserung».

«I bims», der Jugendspruch des Jahres 2017, dient im österreichischen «Kurier» als ultimativer Beweis für unseren «schlampigen» Umgang mit Sprache. Grammatikalischer und stilistischer Schlendrian allenthalben – mit Whatsapp-Texten und dergleichen bereiten wir offenbar den Untergang des Abendlandes vor.

Sprachkritik – auch Volks- oder Laienlinguistik genannt – zeigt sich in den Medien oft in Ratgeber-Form oder als Kolumne. Gerne werden in dieser Form grammatische Fehler gerügt und Floskeln belächelt. Posterboy der Zunft ist der Bestseller-Autor Bastian Sick («Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod»), der mit seinen «Zwiebelfisch-Kolumnen» auf «Spiegel Online» für Ordnung im angeblichen «Irrgarten» der deutschen Sprache sorgen wollte.

Ein aussichtsloser Kampf. «Mein Buch hat zwar grossen äusseren Erfolg gehabt, aber doch eigentlich wenig genützt, Fehler und Geschmacklosigkeiten haben sich inzwischen festgesetzt und werden schwerlich zu beseitigen sein», klagte der deutsche Historiker und Sprachpfleger Gustav Wustmann 1903. Er kämpfte in seinem Werk «Allerhand Sprachdummheiten» nicht nur gegen stilistisch «schlechtes» Deutsch, sondern auch gegen «Franzosenwörter», die er «ekelhafte Eindringlinge» und «Schädlinge» nannte. Einerseits zeigt sich bei Wustmann, dass seine Mühen vergebens waren, andererseits lassen seine radikalen Metaphern aufhorchen. Auch heute bedienen sich Sprachkritiker ähnlicher Bilder. Woher kommt diese Schwarzmalerei?

Mit Whatsapp-Texten und dergleichen bereiten wir offenbar den Untergang des Abendlandes vor.

Der Topos der «Verlotterung» von Kultursprachen sei etwa seit 2000 Jahren bekannt, erklärt der Linguist Rudi Keller, das gehe von Platon über Atatürk bis zu Helmut Kohl. Fast immer gehe es darum, dass Jugendliche angeblich schlechter sprechen und schreiben als die Älteren. Sprachkritik ist immer auch eine «Normensehnsucht», stellt der Germanist Armin Burkhardt fest. Dass der Duden, die einstige Bibel der Normensüchtigen, immer mehr eine sprachwissenschaftliche, also beschreibende und nicht wertende Haltung gegenüber der Sprache einnimmt, kommt bei Sprachkritikern darum schlecht an.

Der Linguist Walther Dieckmann stellt zudem die These in den Raum, dass Sprachkritik seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Selbstvergewisserung des Bildungsbürgers diene. Da der sozioökonomische Wandel die Grenzen zur Unterschicht aufgelöst habe, suche sich der Gebildete ein Refugium, eine Distinktion, wie es der Soziologe Pierre Bourdieu beschrieben hat. Mittels Sprachkenntnissen wird gezeigt, dass es zu «denen da unten noch ein ganzes Stück Wegs weit ist», meint auch «FAZ»-Feuilleton-Redaktor Claudius Seidl in seiner Replik an Bastian Sick.

Mythos der ursprünglichen, reinen Sprache. Mehrdeutigkeit und Zufall sind im Leben schwer auszuhalten, doch Sprache besteht genau aus diesen Elementen. Schlimmer noch: Sprache wandelt sich ständig, ähnlich wie die Familie Barbapapa. Jeder weiss heute, dass in der «Mensa» gegessen wird, nicht auf der «Mensa», obwohl das Wort im Lateinischen für «Tafel» stand. Der Begriff hat einen Bedeutungswandel durchgemacht. Darum greift auch Ebels Argument nicht, dass «evakuieren» von Menschen falsch sei.

Wenn jeder versteht, was damit gemeint ist, wird es sich durchsetzen, egal wie der Römer oder die Römerin das Wort benutzte. Das Verb war übrigens schon im Lateinischen mehrdeutig, da es für «ausleeren» und «zerstören» verwendet werden konnte. Polysemie – Mehrdeutigkeit: ein Charakteristikum der Sprache.

Die Bedeutung eines Worts ist stark von Kontext und der gegenwärtigen Kommunikationskultur abhängig. Sprache entwickelt sich, lebt und atmet, sie ist keine kalte Marmorstatue, die durch fehlende Pflege dahinbröckelt.

Sprache ist weder ein «Irrgarten» noch von «Schädlingen» oder «Viren» bedroht.

Mehr Sprachwissenschaft in den Medien. Anstatt Sprache als Minenfeld darzustellen, kleinlich zu belehren und Fehler auszulachen, könnten Medien vermehrt konstruktiv über Sprache berichten – schliesslich ist sie ihr Rohstoff. Erkenntnisse aus der Sprachwissenschaft sollten auch nicht ins Ressort «Vermischtes» abgeschoben werden, wie dies manchmal der Fall ist. Linguistik ist eine anerkannte Wissenschaft und gehört nicht zwischen Naturkatastrophen und royale Hochzeiten.

Wie wäre es mit regelmässigen Gesprächen zwischen Sprachkritikern und Linguisten? Die zwei Fronten, so stellen Sprachforscher nämlich besorgt fest, hätten sich die Sprache in Reviere aufgeteilt wie die Mafia in Chicago – die einen werten, die anderen beschreiben. Eine Diskussionskultur fehlt komplett. Es wäre interessant zu erfahren, wieso Sprachkritiker stets Ängste schüren, wo sie doch von wissenschaftlichen Studien gehört haben müssen, die belegen, dass die Sprachkenntnisse der Schüler nicht abnehmen.

Andererseits müssten Sprachwissenschaftler vermehrt zur Verantwortung gezogen werden, denn sie forschen auf Kosten des Steuerzahlers und hätten sehr viel Interessantes zu berichten. Wissen Sie, wieso und seit wann im Schweizerdeutschen die Pluralbildung einen Wandel durchmacht? Sagen Sie «Chape» oder «Chapene», «Theme» oder «Themene?».

Sprache ist weder ein «Irrgarten», noch von «Schädlingen» oder «Viren» bedroht. Stiltipps für den Sprachgebrauch können sich Sprachkritiker auch schenken, da die meisten Sprecher genau wissen, in welcher Situation sie welche Ausdrücke benützen können. Jeder Mensch besitzt mehrere Sprachregister. Wer grammatikalische Fehler anderer auslacht, sorgt dafür, dass sich Betroffene vom Schreiben erst recht fernhalten, und verkennt die Möglichkeit, dass die systematischen Fehler von heute mit hoher Wahrscheinlichkeit die Regeln von morgen sind, wie es der Linguist Rudi Keller prophezeit.

Sinnvoller wäre es, den Mitbürgern das Lesen schmackhaft zu machen, denn so wird Grammatik automatisch aufgenommen und, was noch besser ist: die Freude an der Sprache. Bevormundende Mahnrufe haben schon vor 2000 Jahren nichts bewirkt. Vielleicht einfach mal hart eins chillaxen?

1 Kommentar

#1

Von Henri Leuzinger
25.06.2018
Grüezi Frau Kohli,
ich hab nicht verstanden, worauf Sie mit der Geschichte eigentlich hinaus wollen. Freude an der Sprache hat mit Präzision, treffenden Bildern, verblüffenden Vergleichen zu tun - und mit Formulierungen, die das punktgenau transportieren. Bastian Sick hat darüber in seinen munteren Zwiebelfischchen geschrieben - und dabei ein erstaunlich grosses Publikum erreicht und zwar mit vergnüglichen Beispielen aus dem unerschöpflichen Reservoir unfreiwillig komischer Formulierungen. Darüber zu lachen hat nichts mit Auslachen zu tun, und wirkt, für mich, keineswegs abschreckend, eher anspornend. Gewiss, einige Sprach-Kolumnen kommen schulmeisterlich daher, manche rechthaberisch. Sei’s drum, ihre Autoren können wohl nicht anders. Sick’s Texte gehören allerdings nicht zu dieser Sorte. Ob er unterhaltsam etwas zum Sprachbewusstsein beigetragen hat? Schwer zu sagen. Erfolgreich ist er allemal - und das finde ich bemerkenswert.

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