Aktuell – 19.11.2014

Tschüss Traumjob

Dass Journalistinnen und Journalisten Jobs kündigen und neue annehmen, kommt oft vor. Etwas seltener geschieht dies, wenn es eigentlich ein Traumjob war. Noch seltener nennen Kündigende die Situation in der Medienbranche als Kündigungsgrund. EDITO+KLARTEXT hat mit zwei von ihnen gesprochen. Von Bettina Büsser

Nach zehn Jahren als Inland-Redaktor hat René Lenzin den "Tages-Anzeiger" verlassen. "Als 54-Jähriger mit einer beruflichen Perspektive von rund zehn Jahren habe ich mir überlegen müssen, ob die Rahmenbedingungen noch so lange stimmen werden, dass ich bis zum Schluss im Journalismus bleiben will", sagt er: "Und ich kam zu einem negativen Ergebnis." Lenzin arbeitet seit Anfang September als Redaktionsleiter und Verantwortlicher für das Tagesgeschäft im Informationsdienst der Bundeskanzlei. Dass er gekündigt habe, sei kein Anti-Tamedia-Entscheid: "Auch wenn Tamedia ein Konzern ist, der den Strukturwandel in jeglicher Hinsicht besonders konsequent vollzieht, sind die Perspektiven bei den anderen Printhäusern nicht besser."

Die "goldenen Zeiten" verloren den Glanz

Deshalb entschied er sich, auf die "andere Seite" zu wechseln – nach 25 Jahren als Journalist. Die "goldenen Zeiten", die er am Anfang im Journalismus erlebt hatte, hatten nach und nach ihren Glanz verloren. Bei seinem Einstieg beim "Tages-Anzeiger", erzählt er, seien alle Dossiers der Innenpolitik doppelt besetzt gewesen: "Das ist heute undenkbar, fixe Dossiers gibt es nur noch ansatzweise bei den Bundeshäuslern."

Denn es fehlt an den entsprechenden Ressourcen, und das werde weiterhin der Fall sein: "Der Verlag hat uns kürzlich Zahlen präsentiert, die zeigen, dass die gedruckten Zeitungen in den letzten vier Jahren bei den Inseraten einen Einnahmenverlust von 40 Prozent verzeichneten. Und Online schreibt gerade eben schwarze Zahlen. Die Inserateneinnahmen werden weiter zurückgehen, und damit auch die Ressourcen."

Ein spannender Prozess, aber …

"Der Druck wird in den nächsten Jahren noch zunehmen", glaubt Lenzin. Deshalb hat er in Gesprächen mit dem Chefredaktor und dem Verleger des "Tages-Anzeigers", die betonten, wie spannend der aktuelle Prozess sei, jeweils geantwortet: "Natürlich ist es ein spannender Prozess. Aber aus der Perspektive derjenigen, welche die Zeitung und die Website tagtäglich produzieren, ist die diese Spannung eben auch und vor allem mit Unsicherheit und Druck verbunden."

Natürlich spielt auch eine Rolle, dass Lenzin seinen neuen Job "spannend und interessant" findet. Wichtig ist ihm auch, dass seine künftige Arbeit ihn nicht zu einem "Verkäufer von Politik" macht: "Das Abstimmungsbüchlein kommt aus meinem künftigen Team, wir betreuen admin.ch und ch.ch, vieles soll inhaltlich entwickelt werden. Das ist es, was mich gereizt hat." Dennoch hat er sich mit dem Wechsel auf die andere Seite "sehr schwer" getan.

Im Journalismus geblieben ist Florian Keller – aber er arbeitet seit Frühling dieses Jahres nicht mehr beim "Tages-Anzeiger", sondern bei der "Wochenzeitung" (WOZ). "Als ich als freier Filmkritiker beim "Tages-Anzeiger" anfing, dachte ich: Filmredaktor beim Tagi ist der Job, den ich haben will. Sieben Jahre später habe ich diesen Traumjob auch erhalten – doch weitere sieben Jahre später kam der Moment, in dem ich mich fragte, ob es noch mein Traumjob ist", erzählt Keller.

Immer neue Sparmassnahmen und andere Baustellen

Ausgelöst wurde die Frage einerseits durch ein Inserat der WOZ, die einen Kulturredaktor suchte, andererseits durch die Situation beim "Tages-Anzeiger": "In meiner konkreten Arbeit beim Tagi konnte ich eigentlich weitgehend verwirklichen, was ich wollte. Aber wenn man sich sieben Jahre lang mit immer neuen Sparmassnahmen und anderen Baustellen herumschlagen muss, die oft von weit oben beschlossen wurden, wächst das Bedürfnis, an einem Ort zu arbeiten, wo man den Kurs selber mitbestimmen kann."

Verlockend am WOZ-Job fand der 38-jährige Keller die Aussicht, mit einem neuen Team den Kulturteil neu zu gestalten, und auch das politische Profil der WOZ. Ausserdem sei der Produktionsrhythmus um einiges "familientauglicher" – Keller ist Vater von zwei kleinen Kindern – als beim "Tages-Anzeiger". Der schwierigste Punkt war das Einkommen; WOZ-Gehälter sind deutlich tiefer als diejenigen beim "Tages-Anzeiger". Doch, so sagt Keller, das habe sich fast wieder ausgeglichen, weil seine Partnerin neuerdings mehr verdiene.

WOZ hat "mehr Zukunft"

Dennoch: "Es ist ein Stück Idealismus dabei, und es ist auch nicht ganz einfach, aus dem Statusdenken auszubrechen", sagt Keller. Für ihn ist aber Journalismus ein Beruf mit Perspektive geblieben: "Ich glaube, die WOZ hat mit ihrer publizistischen und politischen Ausrichtung trotz aller Umwälzungen in der Medienlandschaft mehr Zukunft als andere Titel."

Dass sein Entscheid in der Branche als speziell wahrgenommen wurde, zeigte sich in den Reaktionen: "Es wurde mir noch nie so viel zu meinem Mut gratuliert wie bei diesem Wechsel."

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