Aktuell – 21.06.2018

Unterschätzt: die «Gratisblättli»

Die Zeitungshaus AG von Christoph Blocher, Rolf Bollmann und Markus Somm kauft Gratis-Anzeiger ein – und erreicht mit ihnen künftig ein grosses Publikum. Weil Anzeiger von Medienforschung und Medienszene nicht sehr ernst genommen werden, erregt das weniger Aufsehen als der BaZ-Verkauf. Doch hier kommt ein grosses Potential zusammen.

VON BETTINA BÜSSER

So viele Leserinnen und Leser wie «Tages-Anzeiger», NZZ und «Neue Luzerner Zeitung» zusammen – das ist in etwa die Reichweite der Gratisanzeiger, die nun zur Swiss ­Regiomedia AG gehören. Swiss Regiomedia ist eine Tochter von Zeitunghaus AG, deren Aktionäre und Verwaltungsräte Christoph Blocher, Rolf Bollmann und Markus Somm sind.

Beinahe Millionen-Auflage. Im April wurde bekannt, dass diese die «Basler Zeitung» an Tamedia verkaufen und im Gegenzug die Gratiszeitungen «Furttaler» und «Rümlanger» und die Tamedia-Anteile am «Tagblatt der Stadt Zürich» und an den Romandie-Titeln GHI und «Lausanne Cités» erhalten. Das summiert sich. Denn zur Swiss Regiomedia AG gehören seit 2017 bereits 24 Gratisanzeiger, die früher von der Familie Zehnder herausgegeben wurden. Die Deutschschweizer Gratiszeitungen der Swiss Regiomedia erreichen damit eine Auflage von etwa 870 000 Exemplaren und eine Leserschaft von rund 900 000 Personen.*

Die Wettbewerbskommission muss dem Tamedia-Zeitungshaus-Deal noch zustimmen. Und ob die beiden Westschweizer Anzeiger auch zur Swiss Regiomedia kommen, ist unklar: Jean-Marie Fleury, der Verleger von GHI und «Lausanne Cités», der wie Tamedia 50 Prozent an den Titeln hält, macht sein Vorkaufsrecht geltend.

Der Tamedia-Zeitungshaus-Deal wurde diskutiert – meist war aber Thema, was mit der BaZ geschehen wird. Denn regionale «Gratisblättli» werden nicht so ernst genommen wie regionale Kaufzeitungen. Dies zeigt auch der Umstand, dass sich zu den Anzeigern und ihrer Wirkung keine aktuelle medienwissenschaftliche Forschung finden lässt. «Das Pressegenre Anzeiger (…) ist im Alltag und in der Forschung ein zu Unrecht vernachlässigter Bereich», schreibt Katia Dähler in ihrer Lizentiatsarbeit von 2012: «Seine Leistung wird oft unterschätzt, da sie nicht unmittelbar erkennbar ist.» Doch die Anzeiger hätten durchaus eine meinungsbildende Funktion auf lokaler und regionaler Ebene.

Immerhin wird das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) für das nächste «Jahrbuch Qualität der Medien» auch die Gratisanzeiger untersuchen: «Wir werden die Nutzung der Anzeiger nach soziodemografischen Merkmalen auswerten», sagt fög-Forschungsleiter Daniel Vogler. Nach seiner Einschätzung werden Anzeiger eher von einer älteren Zielgruppe im ländlichen Raum gelesen, und: «In ­Regionen, die über keine eigene Zeitung mehr verfügen, übernehmen sie sicher eine wichtigere Rolle als in publizistisch gut erschlossenen urbanen Räumen.»

«Wirtschaftlich stehen Gratisanzeiger dank lokaler Werbung eher besser da als grössere Zeitungen.»

Daniel Vogler

Nun nehmen – bedingt durch die Medienkonzentration – Regionen, die weniger gut abgedeckt sind, eher zu. Denkbar, dass die Rolle der Anzeiger dadurch stärker wird. «Man sollte die Gratisanzeiger weder über- noch unterschätzen», so Vogler. Das Verhältnis zwischen Auflage und Nutzung sei zwar tendenziell schlechter als bei überregionalen Zeitungen, doch: «Wirtschaftlich stehen sie dank lokaler Werbung eher besser da als grössere Zeitungen.»

Wirtschaftlich argumentiert auch Rolf Bollmann: Man habe sich für das neue Geschäftsmodell «Lokale Gratiszeitungen» entschieden, denn «wir sind der Überzeugung, dass die gedruckten Zeitungen nur noch gratis und lokal wirtschaftlich eine Zukunft haben». Doch wie bereits beim Kauf der BaZ spielten wohl nicht nur wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Das Publikum, das die Swiss Regiomedia nun erreicht, ist gross, die Titel werden in alle Briefkästen der jeweiligen Region verteilt – und zumindest die ehemaligen Zehnder-Blätter stehen laut Vogler «eher auf der konservativen Seite». So schrieb «Verlagsredaktor» Charly Pichler jahrelang für alle Zehnder-Blätter umstrittene Kolumnen, etwa über Asylsuchende, Invalide, Ausländer. Pichler ist nun pensioniert, doch, so Bollmann: «Es ist nicht auszuschliessen, dass er hie und da wieder einmal eine ­Kolumne für unsere Titel schreibt.»

Online-Offensive. Die ehemaligen Zehnder-Blätter sind laut Vogel «von den Ressourcen her sehr unterschiedlich ausgestattet». Das wird bleiben: «Je nach Entwicklung bezüglich Wirtschaftlichkeit wird die Redaktion ausgebaut oder nicht», sagt Rolf Bollmann. Die neuen Titel «Furttaler» und «Rümlanger» sowie das «Tagblatt der Stadt Zürich» würden auch nicht an die Zehnder-Titel angepasst. Der einheitliche Swiss-Regiomedia-Anzeiger ist also nicht zu erwarten. Doch die Zukunft liegt im digitalen Bereich. Hier plant Swiss Regiomedia laut Bollmann Neues: «Wir werden das Online-Angebot ausbauen und alle unsere Zeitungshaus-Titel integrieren. Dazu werden wir mit einem starken Online-Partner zusammen­arbeiten.» Zieht die bisherige Anzeiger-Leserschaft mit, hat ein solches Portal viel Potential.

* Zahlen: nach den Wemf-Zahlen berechnet

«Anzeiger als amtliches Publikationsorgan. Die Relevanz dieses ­Pressegenres bezüglich Förderung, Vielfalt und Konzentration», Lizen­tiatsarbeit Katia Dähler, IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung Zürich, 2012

Bettina Büsser

Redaktorin EDITO

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