Dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur liegt auch eine philosophische Frage zugrunde. (Bild: Keystone)

Aktuell – 30.04.2019

Umweltjournalismus: Die Angst, alarmistisch zu klingen

Obwohl Umweltjournalisten wissen, wie schlecht es ums Klima und den Artenschutz steht, berichten sie nicht so darüber, dass Handlungsdruck entsteht.

Von Christian Mihatsch, Chiang Mai

Der Umweltjournalismus begann mit einem Buch: «Der stumme Frühling» von Rachel Carson (Originaltitel: «Silent Spring»). In dem 1962 erschienen Werk erklärt die US-Biologin, welche Folgen der grossflächige Einsatz von Pestiziden wie DDT auf die Natur und den Menschen hat. Ihr Ziel war, ein wissenschaftlich fundiertes, aber für Laien lesbares Buch zu schreiben.

Das gelang ihr, und sie erregte grosse Aufmerksamkeit. Dies führte letztlich zum Verbot von DDT und anderen Pestiziden in den USA sowie zum Entstehen der Umweltbewegung. In ihren Büchern ging Carson auch immer wieder auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur ein: «Erst im Augenblick dieses Jahrhunderts hat eine Art – der Mensch – die Macht erhalten, die Natur der Welt signifikant zu verändern.» Das führt dann zur Frage, ob der Mensch dieser Macht auch genügt: «Die Menschheit steht mehr als je zuvor vor der Herausforderung, ihre Beherrschung zu zeigen, nicht über die Natur, sondern über uns selbst.» Denn: «Der Mensch ist ein Teil der Natur und sein Krieg gegen die Natur ist zwangsläufig ein Krieg gegen sich selbst.»

Bald 60 Jahre später geht es nicht mehr darum, ob man per Flugzeug ganze Landschaften mit Gift einnebelt. Heute geht es zum Beispiel um Mikro-Verunreinigungen im Wasser. In den Industriestaaten ist die Luft sauberer geworden, wurden Nationalparks geschaffen und Bäche renaturiert. Selbst Bären und Wölfe sind wieder in Mitteleuropa anzutreffen. In Folge von Tschernobyl und Fukushima steht in vielen Ländern der Atomausstieg bevor und nach dem Chemieunglück von Schweizerhalle sind die Rückhaltebecken für Löschwasser grösser geworden und in Basel gibt es wieder Lachse im Rhein.

Während in jedem Lebensbereich inflationär mit dem Wort «Krise» hantiert wird, bezeichnen die Medien die einzige existenzielle Krise der Menschheit als «Wandel».

Bei allen diesen Errungenschaften hat auch der Umweltjournalismus eine Rolle gespielt. Gleichzeitig hat sich der Zustand des Gesamtsystems aber massiv verschlechtert: Seit 1962 ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre um knapp ein Drittel gestiegen und Hobby-Insektenkundler aus Krefeld haben entdeckt, dass die Menge an Insekten in den letzten 27 Jahren um mehr als drei Viertel zurückgegangen ist.

Das ist auch ein Versagen des Umweltjournalismus. In den wenigsten Medien gibt es eine Umweltredaktion und Umweltthemen fallen ins Politik-, Wirtschafts- oder Wissensressort. Dabei geht der Überblick, «the big picture», oft verloren. Den Umweltjournalisten ist es zudem nicht gelungen, klar die Verantwortlichen zu benennen. Gemäss einer SRG-Umfrage vom vorletzten Jahr sehen die Schweizerinnen und Schweizer beim Klimaschutz eher sich selbst in der Pflicht als die Regierung. Das ist vielleicht gut gemeint, bringt aber nicht viel.

Dazu kommt die Angst in der Wissenschaft und in den Medien, alarmistisch zu klingen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass der Weltklimarat IPCC die Folgen des Klimawandels und die Gewissheit der Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Prognosen unterverkauft. Co-Autor Corey Bradshaw von der Flinders Universität in Australien sagt: «Die Gewissheit ist in Realität viel höher als der IPCC impliziert und die Gefahren viel schlimmer.» Das gleiche gilt für den Umweltjournalismus. Am eindeutigsten zeigt das der Begriff «Klimawandel». Während in jedem Lebensbereich inflationär mit dem Wort «Krise» hantiert wird, bezeichnen die Medien die einzige existenzielle Krise der Menschheit als «Wandel». Dabei müsste man längst vom «Klimanotstand» sprechen.

Ketten Sie sich an einen Kohlebagger! Seit Oktober 2018 ist allerdings zu erkennen, dass die Dringlich- und Gefährlichkeit der Klimakrise stärker betont werden. Die Wende hat der IPCC-Bericht zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens gebracht. Dieser zeigt so klar wie nie zuvor, dass die nächsten zwölf Jahre entscheidend sind. Wenn die Welt ihre Emissionen bis dann nicht halbiert, besteht keine Chance mehr, die Erwämung unter 1,5 Grad zu stoppen. Das und die Persönlichkeit von Greta Thunberg geben der «Fridays for Future»-Bewegung ihre Wucht. Dass es eine 16-jährige Aktivistin mit Asperger Syndrom gebraucht hat, um die Welt wachzurütteln, sollte dem Klima-Establishment und den Klimajournalisten zu denken geben.

Wie die oben erwähnte Umfrage zeigt, sollten Umweltjournalisten aufhören, den Kauf eines T-Shirts aus Bio-Baumwolle als Lösungsbeitrag darzustellen. Der Rat für Leser, die selber etwas bewirken wollen, sollte vielmehr lauten: «Besetzen Sie eine Autobahn. Ketten Sie sich an einen Kohlebagger oder treten Sie der neuen Bewegung Extinction Rebellion (XR) bei, die genau das macht.»

Sogar der frühere US-Vizepräsident Al Gore hat dies schon vor über zehn Jahren erkannt: «Es ist wichtig, die Glühbirnen zu wechseln, aber es ist wichtiger, die Politik zu verändern.» Und Gore sagte auch wie: «Ziviler Ungehorsam hat eine ehrenwerte Geschichte und wenn die Dringlichkeit und moralische Klarheit einen Schwellenwert erreichen, dann hat ziviler Ungehorsam eine Rolle zu spielen.»

Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, darf sich der Mensch nicht länger im Gegensatz zur Natur definieren, die es zu unterjochen gilt.

An «moralischer Klarheit» mangelt es längst nicht mehr. Das wird auch ein Bericht des IPCC-Pendants für die Biodiversität (IPBES) zeigen, der Anfang Mai veröffentlicht wird. Hinsichtlich der Wahrnehmung des Artennotstands wird dieser bereits als der «1,5 Grad Bericht für den Artenschutz» gehandelt. Spätestens dann wird klar sein, dass die Menschheit bis zur Hälfte des Planeten unter Schutz stellen muss, um das filigrane Netz der Arten nicht zu zerstören. Spätestens dann wird auch klar sein, dass die Themen des Umweltjournalismus nicht mehr säuberlich getrennt unter den Kategorien Klima, Arten und Landwirtschaft abgehandelt werden können.

Wie wird der Mensch ein guter Erdwirt? Denn es gibt einen entscheidenden Faktor, der alle drei verbindet: die Bodennutzung. Diese unterliegt einer dreifachen Nutzungskonkurrenz: Wir brauchen Wälder für den Klimaschutz, Wildnis für den Artenschutz und Felder für die Nahrungsmittelproduktion. Es geht um die Optimierung des Gesamtsystems «Planet Erde». Willkommen im Anthropozän, im Zeitalter des Menschen.

Damit der Mensch ein guter Erdwirt sein kann, muss er sich aber als «Teil der Natur» sehen, wie schon Carson erkannt hat. Für die Herausgeber des Wissenschaftsmagazins Anthropocene Review hat dies weitreichende Folgen: «Das hat den Effekt, dass der Gegensatz zwischen Mensch und Natur eingerissen wird.»

Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, darf sich der Mensch also nicht länger im Gegensatz zur ‚Natur‘ definieren, die es zu unterjochen gilt. Er muss sich vielmehr als Teil eines ‚Erdsystems‘ verstehen, als Teil eines kollektiven Ganzen, eines Meta-Organismus. Carson schrieb: «Der Strom des Lebens ist in Realität eine vereinigte Kraft, obwohl sie aus einer unendlichen Zahl und Vielfalt einzelner Leben besteht.» Für den Umweltjournalismus bedeutet das: Kurzfristig mögen weiter technische, wirtschaftliche und politische Fragen im Vordergrund stehen. Langfristig wird aber eine philosophische Frage entscheidend sein: Was sind wir?

8 Kommentare

#1

Von Johannes Rexing
02.05.2019
Glysophat weltweit verbieten. Durch die jaehrliche Anwendung von Glysophat reichern sich im Boden Rueckstaende an, die auch die schuetzenden Pflanzen beeintraechtigen. Dabei kommte es zu Genveraenderungen in den Kulturpflanzen.

#2

Von Inge lechner
02.05.2019
Dem ist ja nichts hinzu zu fügen, außer, dass es auch hilfreich ist,
• das Auto abzuschaffen und Straßen zu blockieren,
• keinen Flug zu buchen und eine Aktion im Terminal zu machen,
• kein konventionell erzeugtes Fleisch zu kaufen und darüber zu informieren, wie Burgerketten dem Klima schaden…

#3

Von Werner Kräutler
03.05.2019
Sehr guter Beitrag. Danke für den Hinweis auf die Extinction Rebellion. Wir müssen etwas tun, und zwar KONKRET.

#4

Von Christian Schwägerl
03.05.2019
Ein wichtiges Thema, aber die pauschale Kritik an „den Umweltjournalisten“ und der Versuch, sie auf eine bestimmte Botschaft zu reduzieren, ist völlig daneben. Ich berichte seit 1995 für große Medien über die Klimakrise und habe mich mit allen Ebenen des Handelns befasst, Individuen, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Und so tun das auch viele hervorragende Kolleginnen und Kollegen. Uns auf eine ganz bestimmte Rolle zu reduzieren, würde dem Auftrag des Umweltjournalismus nicht gerecht. Wahr ist allerdings, dass unser Stellenwert in den Redaktionen zu gering ist. Das muss aber nicht an mangelndem Einsatz der Umweltjournalisten liegen. Der Beitrag bestärkt mich in einer gewissen Sorge, die ich als jemand habe, der weit 25 Jahren an dem
Thema dran ist: Am Ende wird man uns als Überbringer der Nachricht zusammen mit den Klimawissenschaftlern dafür verantwortlich machen, dass zu wenig geschehen ist. Ausdrücklich empfehlen möchte ich noxh das Angebot KlimaSocial bei RiffReporter, bei dem es exakt um den Weg vom Wissen zum Handeln geht.
Bestens, Christian Schwägerl

#5

Von Monika Bartel-Weber
03.05.2019
von Monika Bartel-Weber 3.05.2019
Die Schuldfrage für die Klimaveränderung ist meiner Meinung zu komplex und schwierig und eigentlich nicht zu beantworten.
Geophysikalisch : (Erdrotation) ; Astrophysikalisch; (Sonneneruption)
physikalisch; chemisch aus CO2 Kohle) usw

Es gibt zu viele Menschen mit zu vielen Kindern auf unserer Erde.
Alle wollen mehr.
Jeder muß bei sich selbst anfangen.

#6

Von Michael
05.05.2019
Ja, die klaren Nachrichten sind zu zögernd, zu spät gekommen. Guter Artikel, danke.

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