Aktuell – 14.10.2014

Wie der "Blick" die Frauen in Angst versetzt

"Übergriffe werden immer brutaler. Jede Frau kann Opfer werden". So titelte der "Blick" als Höhepunkt einer Artikelserie über den Fall einer jungen Frau, die in Aarau überfallen und verletzt worden war. EDITO+KLARTEXT hat dazu einige Fragen gestellt – und einige erstaunliche Antworten erhalten.

"Frauen in Angst" – diese Schlagzeile prangte am 10. Oktober auf dem "Blick" – ergänzt mit dem Bild erhalten.
einer Frau mit entsetzter Miene und einer Aufzählung: "Übergriffe werden immer brutaler. Jede Frau kann Opfer werden. Wie es so weit kam. So kann man gegen die Ohnmacht ankämpfen".

Wie es so weit kam

Der Frontaufmacher und der dazugehörige Artikel (Titel: "Sind Frauen in der Schweiz noch sicher? Die Gefahr lauert überall") bildeten den – vorläufigen? – Höhepunkt einer Geschichten-Serie im "Blick". Sie hatte am 7. Oktober mit einem Artikel über einen Überfall eines Asylbewerbers aus Eritrea auf eine junge Frau in Aarau begonnen (Schlagzeile: "Brutal-Attacke in Aarau. Rahel K. (30) von Asylbewerber überfallen"). Tags darauf wurde sie fortgesetzt (Schlagzeile: "‘Ich will, dass man mich so sieht‘. So brutal prügelte Asylbewerber Salomon I. in Aarau auf Rahel K. ein. Mit dem Schockfoto will sie die Politiker aufrütteln") – illustriert mit einem Bild des von der Gewalt gezeichneten Gesichts des Opfers. Weiter ging es am 9. Oktober (Schlagzeile: "Mitgefühl! Ärger! Hass! Die Prügel-Attacke von Aarau wühlt die Schweiz auf") u.a. mit einem Interview mit der für die öffentliche Sicherheit in Aarau zuständigen Politikerin.

Vom 7. bis 9. Oktober erzählte "Blick" also dreimal, dass ein Asylbewerber aus Eritrea eine junge Schweizerin angegriffen und verletzt hatte. Dass die "Blick"-Leserschaft die Sachlage verstanden hatte, bewiesen die entsprechenden Leserkommentare ("Jetzt ist Schluss mit den ganzen Asylanten!", "Links wählen, Opfer schaffen!!!" etc.). Am 10. Oktober legte der "Blick" nach dem Muster "ist kein Einzelfall" ein viertes Mal nach, fragte bang "Sind Frauen in der Schweiz noch sicher?" und beantwortete die Frage gleich im Lead: "Jede Frau kann Opfer werden. Täter werden immer skrupelloser."

Entsprechend zu diesen beiden Sätzen wurde im Text die Polizei zitiert: "Marco Cortesi von der Stadtpolizei Zürich bestätigt, dass die Brutalität der Täter zunimmt. ‚Wenn ein Opfer am Boden liegt, wird noch darauf eingetreten‘." Und Sicherheitsberater Andreas Bläsi von der Kantonspolizei Basel-Stadt wurde im Artikel unter anderem mit "Das Risiko für einen Überfall kann man nicht gänzlich ausschliessen" zitiert: Er beobachte, dass "die Täter in zunehmendem Mass keine Empathie für das Opfer zeigen".

Journalistin hat "allgemein gefragt"

Bloss: Von EDITO+KLARTEXT gefragt, ob sich seine Aussage explizit auf Fälle beziehe, in denen Frauen Opfer von Gewalt werden, sagt Marco Cortesi: "Nein. Die Journalistin hat allgemein gefragt, ob wir auch feststellen, dass die Intensität der Gewalt zugenommen habe. Ich habe das bestätigt. Es hat aber nicht nur mit Frauen zu tun." Dasselbe gilt für die Aussagen von Bläsi: Er wurde, wie er gegenüber EDITO+KLARTEXT sagt, von der Journalistin zuerst auf den konkreten Fall in Aarau angesprochen, zu dem er sich aber, da er den Fall nicht kannte, nicht äussern konnte. Seine Aussagen, die im Artikel von "Blick" zitiert wurden, bezogen sich allgemein auf Überfälle und nicht explizit auf die Frauenthematik.

Dennoch machte "Blick" daraus die "Frauen in Angst – Übergriffe werden immer brutaler – Jede Frau kann Opfer werden"-Schlagzeilen. Und setzte noch einen drauf:"Knapp die Hälfte der Täter sind Ausländer. In vielen Herkunftsländern werden Frauen geringgeschätzt", heisst es im Abschnitt nach Cortesis Aussage. Welche Herkunftsländer und welche Täter? Bezieht sich die "statistische Angabe" auf Cortesi, wären Täter gemeint, die bei Überfällen Gewalt anwenden – egal, ob es sich bei den Opfern um Männer oder Frauen handelt. Oder sind die Täter gemeint, die Frauen angreifen? Auch diejenigen, die es im Rahmen einer Beziehung tun? Oder alle Täter, die irgendwie gewalttätig sind? Oder überhaupt alle, die straffällig werden?

Keine "öffentliche Artikelkritik"

Gerne hätte EDITO+KLARTEXT von "Blick" Antwort auf diese und weitere Fragen erhalten. Hätte die Statistiken, die der "die Hälfte der Täter sind Ausländer"-Aussage zugrunde liegen, gesehen. Und erfahren, weshalb in einem Artikel über Gewalt gegen Frauen Äusserungen von Polizisten zitiert werden, die sich nicht explizit auf Gewalt gegen Frauen beziehen. Deshalb schickte EDITO+KLARTEXT "Blick"-Chefredaktor René Lüchinger und der Autorin des Textes, Sabine Klapper, einige Fragen. Lüchingers Antwort: "Ich mache Blattkritik oder eine Artikelkritik grundsätzlich nicht öffentlich, sondern intern." Klappers Antwort: "Herr Lüchinger hat Ihnen zu diesem Thema bereits geantwortet."

P.S.: Damit sie in der Aufzählung nicht vergessen gehen: Ergänzend zur Story gab es noch zwei zusätzliche Artikel auf "Blick Online": "Dem Täter droht nur eine Mini-Strafe!" und "Chef der Flüchtlingshilfe zu Brutalo-Attacke: ‚Eritreer müssen jetzt aktiv werden!‘".

8 Kommentare

#1

Von Marco Peters
15.10.2014
5 Sekunden googlen bringt folgenden Bericht zu Tage, aus dem recht eindeutig hervorgeht, dass Migranten gewalttätiger/krimineller sind.

http://www.bif-frauenberatung.ch/fileadmin/Dateien/Dokumente/InformationsblattMigration.pdf

Auszüge:

Gemäss Polizeidaten der Städte Zürich (Steiner 2004) und Biel (Petignat 2007) sind bei
den Tätern rund 65% Ausländer und etwa 35% Schweizer (bei einem Ausländeranteil
an der Bevölkerung von rund 28%).

Gemäss der Statistik des Bundesamtes für Statistik BFS zu Tötungsdelikten ist im
Bereich häuslicher Beziehungen der Anteil der registrierten Tatverdächtigen unter der
männlichen ausländischen Wohnbevölkerung in praktisch allen Altersgruppen deutlich
höher als unter der Schweizer Wohnbevölkerung. Auf einen schweizerischen
Tatverdächtigen kommen 3.1 ausländische (Zoder 2008).

Da die Zahlen recht alt sind, dürfte sich das Problem bis heute weiter verschärft haben.

MFG

#2

Von Bettina Büsser
15.10.2014
@Marco Peters: Wenn ich im Artikel frage, worauf sich die Angabe im "Blick" - "knapp die Hälfte der Täter sind Ausländer" - bezieht, geht es nicht darum, wie lange ich googeln müsste, um irgendwelche Zahlen zu finden. Es geht darum, dass in einem "Blick"-Artikel eine Zahlenangabe gemacht wird, ohne zu schreiben, auf welche Delikte und welche Betroffenen sie sich bezieht. Das ist journalistisch zumindest schwierig: Soll die "Blick"-Leserschaft dann auch ein bisschen googeln gehen, bis sie irgendwelche Deliktzahlen findet, die im Artikel vielleicht gemeint waren - oder vielleicht auch nicht?

#3

Von Marco Peters
15.10.2014
Wenn ich das richtig verstehe, hat "Blick" doch nur die Aussage von M. Cortesi (von der Stadtpolizei Zürich) zitiert, der auf Basis seiner Erfahrungen eine geschätzte (?) Zahl in den Raum geworfen hat. Wenn Sie einen für den schwarzen Peter suchen, wäre das eher Hr. Cortesi statt der "Blick".

Welche Zahlen vermissen Sie also? Hätte "Blick" den Artikel, mit den von mir genannten Daten, unterfüttert wäre die Stimmung bei Zielgruppe sicherlich nicht entspannter.

#4

Von Bettina Büsser
15.10.2014
Nein, Herr Peters: Die Aussage stammt nicht von Herrn Cortesi. Sonst stünde sie nämlich in direkter oder indirekter Rede (wie zwei Abschnitte weiter der zweite Teil der Aussagen von Herrn Bläsi). Die Zahl stammt offenbar von "Blick" - ohne Quellenangabe. Das ist das Problem. Es geht also weder um vermisste Zahlen noch um „schwarze Peter“ oder um unentspannte Zielgruppen, sondern ganz einfach um journalistisches Handwerk und journalistische Regeln.

#5

Von Sabine Klapper, Blick
15.10.2014
Zu diesem Bericht gibt es folgende Anmerkungen zu machen:
1. Ich habe mit Herrn Cortesi zu keinem Zeitpunkt über Gewalt im Allgemeinen gesprochen, sondern immer explizit in Bezug auf Frauen.
2. Er sagte auch, dass es zwar keine gesonderte Statistik gibt zu Gewalt an Frauen, dass die Intensität der Gewalt aber insgesamt zugenommen hat. Das bedeutet: das gilt auch gegenüber den Frauen.
3. Heute bestätigte mir Herr Cortesi auch, dass er diese Zusammenhänge auch gegenüber Frau Büsser genau so artikuliert hat.
4. Herr Cortesi bestätigte auch nochmals, dass ich ihn korrekt zitiert habe.

Sabine Klapper

#6

Von Bettina Büsser
15.10.2014
Zu Frau Klappers Kommentar gibt es folgende Anmerkungen zu machen:
1. Die in meinem Artikel zitierte Aussage von Herrn Cortesi wurde von ihm autorisiert.
2. Ich habe sowohl René Lüchinger wie Sabine Klapper per Mail einige Fragen gestellt, darunter genau zu diesem Teil des Artikels und zur Aussage von Herrn Cortesi. Weder Herr Lüchinger noch Frau Klapper haben, wie schon im Artikel erwähnt, auf diese Fragen Antwort gegeben (aber beide haben auf meine Anfrage reagiert, sie haben sie also erhalten).

#7

Von mitm
15.10.2014
Danke für diese Dokumentation!

"....sondern ganz einfach um journalistisches Handwerk und journalistische Regeln."

Bei bestimmten Themen scheint das komplett in Vergessenheit geraten zu sein. Viele große Medien wollen offenbar nicht so sehr informieren, sondern mit gezielten Halb- oder Falschinformationen Stimmungen erzeugen und Meinungen lenken. Am auffälligsten ist das bei den Frauen, genauer gesagt deren Hilfsbedürftigkeit, Opferstatus, angebliche Diskriminierung im Berufsleben etc. Das wurde der Öffentlichkeit ungezählte Male mit getürkten Statistiken eingehämmert, um mehr Frauenschutzgesetze und Quoten zu begründen.

Die Gefahr durch Ausländer und/oder Muslime wird genauso aufgebauscht.

Die Desinformation bleibt allerdings immer weniger unbemerkt, die Leute fühlen sich immer häufiger für dumm verkauft. Das ist mMn auch ein wichtiger Grund für das Zeitungssterben.

#8

Von Matthias Buser
16.10.2014
Ich möchte Folgendes zu bedenken geben: Warum wird in diesem und ähnlichen Fällen überhaupt ein Fass «Gewalt gegen Frauen» aufgemacht? Wäre das betreffende Opfer ein Mann gewesen, hätte es sicher keine Schlagzeile «Männer in Angst» gegeben und es hätte nicht «Jeder Mann kann Opfer werden» und «Sind Männer in der Schweiz noch sicher?» geheißen. Warum also bei Frauen? Das liegt daran, dass Frauen als besonders schützenswert gelten, verstärkt dadurch, dass die Geschlechtszugehörigkeit bei Frauen als interessanter Umstand gilt, der gerne thematisiert wird, bei Männern hingegen nicht. Das macht sich Blick bei der Berichterstattung zunutze. Könnten sie bei einem männlichen Opfer nur die Gewalt an sich verurteilen, bietet ein weibliches Opfer die Gelegenheit, diesen Umstand unter dem Label «Gewalt gegen Frauen» auszuschlachten. Dabei geht es nur darum, so viel Empörung wie möglich zu erzeugen.

Natürlich darf auch die Unterstellung nicht fehlen, die ausländischen Täter seien frauenfeindlich. Das mag im Einzelfall so sein, aber bei männlichen Opfern wird den Tätern auch nie Männerfeindlichkeit unterstellt. Und wenn es heißt, es gäbe Länder in denen Frauen geringgeschätzt oder gar gehasst werden, dann frage ich mich, von wem? Immerhin machen Frauen überall etwa die Hälfte der Bevölkerung aus. Hassen die sich selbst? Und wenn Männer Frauen hassen, warum heiraten sie dann welche? Die Begriffe «Frauenfeindlichkeit» und «Gewalt gegen Frauen» werden völlig überstrapaziert, die gängige Sicht auf Frauen als Opfergruppe ist grotesk.

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