Aktuell – 30.10.2013

Wo bleibt die Konvergenz-Debatte bei Radio SRF?

Gesucht: RadiodirektorIN! Die SRF-Konvergenz aus Radiosicht. Versuch einer Zwischenbilanz.

Von Daniel Hitzig

Seit ein paar Jahren verfolgt die SRG die Konvergenzstrategie, aus Radio DRS ist das R von SRF geworden. Die Zusammenführung unterschiedlicher Unternehmenskulturen war eine Herkulesaufgabe. Organisatorisch ist die Operation am offenen Herzen des elektronischen Service Public mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Zeit für eine Bilanz würde man meinen. Doch auf eine Analyse, was die Reorganisation gebracht hat und was nicht, warten die Mitarbeitenden vergebens – und die Gebühren zahlende Öffentlichkeit erst recht. Falls es diese Bilanz in der SRF-Geschäftsleitung (GL) gibt, steht zu vermuten, dass sie weniger Gewicht hat als das gegenseitige Schulterklopfen über das Erreichte.

Blenden wir zurück. Vorangetrieben wurde die Konvergenz von einem Steuerungsausschuss von Top-Kadern von Radio DRS und Schweizer Fernsehen SF, unterstützt von offenbar unvermeidlichen und branchenfremden BeraterInnen. Das Know-how des eigenen Mittelbaus, der mit Radio, TV und Web vertrauten Medienschaffenden, wurde, wenn überhaupt, nur alibimässig genutzt. So nahm der konvergente Supertanker SRF schliesslich ohne Kurskorrekturen Fahrt auf.

Keine Frage, auf Anhieb das perfekte Organigramm eines konvergenten Medienunternehmens zu entwerfen, hätte der Quadratur des Zirkels entsprochen. Ein Gewisses "Versuch und Irrtum-Vorgehen" beim Design einer effizienten SRF-Struktur war darum nicht nur legitim, sondern wäre – im besten Fall – auch zielführend gewesen. Bloss, dass Irrtümer als solche erkannt und korrigiert  worden wären, darauf warten ich und andere bis jetzt vergebens.

Wer sagt, wo’s langgeht beim Radio?

Bei Radio DRS gab es früher einen Radiodirektor, die letzten beiden waren Andreas Blum und Walter Rüegg. Ihnen oblag es, zwischen den verschiedenen Programmleitungen in Basel und Zürich, der Informationsabteilung in Bern und den Regionalstudios für Kohärenz und Ausgleich zu sorgen. Eine delikate Mission, es galt zwischen föderalistischen Befindlichkeiten, den Traditionen der Programme und Studiophilosophien zu navigieren und nebenbei für hohe Service public-Qualität im Bereich Information, Kultur und Unterhaltung zu sorgen.

Was im zunehmend komplexeren Umfeld von privater Konkurrenz, immer spezifischeren Publikumsinteressen, Digitalisierung und Spardruck zwar nicht immer gleich gut gelang, aber immerhin: Es gab einen Radiodirektor, der über divergierenden Interessen stand, bei Konflikten entschied und nicht zuletzt "sein" Radio in der Öffentlichkeit vertrat.

Meistgehörte nicht vertreten.

Den vielfältigen Herausforderungen im Radiobereich scheint die aktuelle SRF-GL nicht gewachsen. In der achtköpfigen SRF-GL sitzt mit der Leiterin der  "Chefredaktion Radio" Lis Borner eine einzige reine Radiovertreterin. Dazu kommt Kulturchefin Nathalie Wappler, die neben Radio SRF 2-Kultur auch die Kultursendungen, die Film-und Serienproduktionen des Fernsehens und anderes mehr verantwortet.

Mit anderen Worten: Die meistgehörten Schweizer Radioprogramme SRF 1 und SRF 3 sind nicht in der SRF-GL vertreten. Diese Verantwortung nimmt der stellvertretende SRF-Direktor Hansruedi Schoch mit seiner "Abteilung Programme" wahr. Schoch, ein gewiefter Kommunikator mit ausgeprägtem Machtinstinkt, war die treibende Kraft bei der Ausarbeitung des SRF-Organigramms. Ob er oder SRF-Direktor Rudolf Matter an eine Überarbeitung der Führungsstruktur denken, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher ist dagegen, dass Schoch aktuell über ein ansehnliches Portefeuille verfügt. Die SRF-Website gibt Auskunft:

"Die Abteilung Programme verantwortet das Gesamtangebot von SRF auf allen drei Vektoren: TV, Radio und Multimedia. (…) Zum Bereich TV gehört die programmplanerische Gesamtverantwortung für SRF 1, SRF zwei und SRF info. Der Bereich Radio umfasst das Gesamtangebot von SRF 1, SRF 3, SRF Musikwelle und SRF Virus inklusive einer Trimedialen Fachredaktion Pop/Rock. (…) Ausserdem sind der Abteilung die Bereiche Gestaltung und Marketing sowie Dokumentation und Archive (D+A) angegliedert."

Schoch, der seine SRG-Karriere bei der Tagesschau begann, kam nach einem Abstecher zu TV3 zum SF zurück, war dort u. a. zuständig für das Mittagsfernsehen, schaffte später das beliebte Service public-Format "Quer" ab und war für den Flop der Nachfolgesendung "Leben live" (mit)verantwortlich, amtete als stellvertretender Chefredaktor neben Ueli Haldimann. Er ist ein Fernseh-Profi, kennt das Medium aus dem Effeff. Radio hat er aber nie gemacht.

Schoch unterstellt ist, quasi als Schmalspur-Radiodirektor ohne Einsitz in der GL, der "Bereichsleiter Radio" Röbi Rückstuhl, der seinerseits die Radioprogrammleitenden von SRF 1, SRF 3, SRF Virus und SRF Musikwelle unter sich hat. Letztere führen ein Heer von Tagesverantwortlichen, ProjektleiterInnen und ProduzentInnen, das seinerseits dafür sorgt, dass – um im Bild zu bleiben – der Supertanker auf Kurs bleibt. Viele Hierarchiestufen, Schnittstellen a gogo. Versprochen wurden mit der Konvergenz eine Vereinfachung und ein Abbau der Hierarchien. Die Realität sieht anders aus: ein atemberaubender Koordinationsbedarf über Vektoren-, Programm- und Studiogrenzen hinweg, der der eigentlichen Programmarbeit der Journalistinnen und Journalisten Energie und Ressourcen entzieht, dass es einem schwindlig werden kann.

Das Gejammer eines Ehemaligen? Na ja, eine gewisse Enttäuschung darüber, was die (seinerzeit begrüsste) Konvergenz gebracht hat und was nicht, mag ich nicht bestreiten. Als Illustration einer bemerkenswerten Fehlentwicklung mag ein Kapitel aus der jüngeren Geschichte von Radio SRF 1 dienen: Seit den Zeiten von Radio Beromünster gibt es Spannungen zwischen der Info in Bern (Nachrichten, Rendez-vous/Tagesgespräch, Echo der Zeit, Regionaljournale) und dem restlichen Tagesprogramm aus Zürich.

Nebeneinander statt Miteinander.

Die vor zwei Jahren in Zürich angepackte Neuausrichtung der morgendlichen Primetime bot die Chance einer neuartigen, engen inhaltlichen und formalen Zusammenarbeit zwischen Bern und Zürich auf Augenhöhe. Das Schlüsselwort dafür hätte wohl Konvergenz gelautet. Doch das im Frühjahr 2012 von der SRF-GL abgesegnete entsprechende Konzeptpapier ist heute nur noch Makulatur. Die Idee, eine Service public-Morgensendung aus einem Guss zu produzieren, die ihre Inhalte Tag für Tag an Informationslage und -bedürfnis eines breiten Publikums anpasst, erlitt nach wenigen Wochen on air Schiffbruch. Also lange bevor das Publikum überhaupt merken konnte, dass auch innerhalb von SRF Radio eine neue, fruchtbare Konvergenz praktiziert wird. Was war geschehen? Statt gemeinsam einen – zwar vielleicht steinigen – Weg zu gehen, an dessen Ende innovatives Radio gestanden hätte, setzten sich die bisherigen Strukturen und Traditionen durch. Ein Nebeneinander statt Miteinander.

Kurz: Als es eine Radiodirektion gebraucht hätte, die mit Blick auf das Ganze die Richtung gewiesen hätte, war keine da. Bis heute vermisse ich eine zukunftsgerichtete Debatte über die Strategie von Radio SRF, bei der die Qualitätsfrage im Mittelpunkt steht. Oder eben die Handschrift eines Radiodirektors, der in der Öffentlichkeit steht und den – je länger desto hohler klingenden Ausdruck – Service public mit Inhalt zu füllen versteht.

Viele Radio DRS-Medienschaffende freuten sich mit der Konvergenz auf frischen Wind; da und dort war gar Aufbruchstimmung zu spüren. Heute fühlen sich viele Mitarbeitende verstrickt in schwerfälliger gewordene Strukturen und Abläufe, sehen sich als blosse Zuliefernde in einer zunehmend anonymen Produktionsmaschine.

Für Recherche, Voraussetzung für eigene Geschichten und Ansätze, die nicht von der Agenda diktiert werden, gibt es immer weniger Zeit. Und erst recht nicht erwünscht ist, dass intern über Qualität, Inhalte und Service public diskutiert wird.

 

Daniel Hitzig hat von 1986 bis 2013 in verschiedenen Funktionen bei Radio DRS und SF gearbeitet. Heute betreut er die Medienarbeit von Alliance Sud. Als Präsident des Herausgeberrats von EDITO+KLARTEXT gibt er hier seine persönliche Sicht wieder.

2 Kommentare

#1

Von Dörflinger André
03.11.2014
Für Frau Lis Borner: MoN, 3.11.14
Die DCHer Medienschaffenden auch des SRF2 haben offensichtliches Schriftsprach-Dauerproblem, bezw. deren Korrektoren: Gehört am 2.11.14 Mittags-nach-richten: a) Afghanisches "Spezial"gericht hat ... verurteilt > Nun, die richtige Bezeichnung heisst "Sondergericht", denn "Gericht" kann auch ein Mahl sein. Man sagt ja auch nicht "Spezialbund" von 1847, sondern "Sonderbund". b) Grammatischer Genitiv mit "von" ist mundartlich: ...südlich "von" philippinischer Hauptstadt > nein: Südlich der philippinischen Hauptstadt. // Ach, w o sind ihre qualifizierten Korrektoren geblieben ? Es ist halt so: "N o r m a l e " Schriftsprache hat keine Lobby in der Schweiz > Ihnen fehlen die älteren > quali-fizierten Mitarbeiter. Die Leute leben halt nicht mit Schrift-sprache wie die umliegenden Sprachkul-turen, sondern hören ständig nur Ausländisch um sich herum. Die (Deutsch-)Schweiz ist auch ein unverbesserlicher Schrift-Sprach-Sonderfall, Kunststück > das Abbild ihrer Medien.
adoerflinger@gmx.ch 3.11.14

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