Aktuell – 08.04.2013

World Press Photo 13: von Liebe, Krieg und Entwurzelung

Wer sich mit der Auswahl der diesjährigen World Press Photo Jury auseinandersetzt, wird feststellen, dass sich die Berichterstattung aus den Krisengebieten hauptsächlich auf den Nahen Osten beschränkt. Es gibt aber auch gesellschaftskritische Themen jenseits dieser Grenze. Ein kurzer Ausflug in den World Press Photo Contest 2013. Von Lea Truffer.

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Nachdem ich mich am Tag der Bekanntgabe der Sieger des "World Press Photo Contests 2013" durch die Bildgalerie durchgearbeitet hatte, war ich erst ratlos. Viele Bilder sind so nahe am Geschehen, dass einem jeglicher Spielraum zur Interpretation vergönnt wird und so die nötige Distanz fehlt, sich auf das Bild einzulassen. Das Schicksal wird an einer Person festgemacht, herangezoomt. Menschen werden in ihrer misslichen Lage blossgestellt. Ein sich immer wiederholendes Repertoire an blutverschmierten, schreienden Gesichtern, Kinderleichen tragenden Vätern und Müttern, zerbombten Städten, drogensüchtigen Prostituierten.

Zwei Arbeiten, welche aus diesem Rahmen fallen sind "The Pink Choice" von Maika Elan und "In The Shadow Of Wounded Knee" von Aaron Huey. Sie heben sich sowohl thematisch wie auch narrativ von den anderen Bildern ab: Thematisch, weil sie sich von den Mainstream-Themen unterscheiden, narrativ, weil sie uns einen tieferen Einblick in ihren Alltag gewähren und uns zeigen, was die Betroffenen bewegt.

Die vietnamesische Fotografin Maika Elan (mit bürgerlichem Namen Thanh Hai Nguyen) gewann mit ihrer Fotoarbeit "The Pink Choice" den ersten Preis in der Kategorie "contemporary issues stories". Es handelt sich um eine Portraitserie homosexueller Paare in Vietnam. Vietnam ist das erste Land im asiatischen Raum, dessen Regierung in Erwägung zieht gleichgeschlechtliche Ehen gesetzlich anzuerkennen. Maika Elan dokumentierte über einen längeren Zeitraum den Alltag homosexueller Paare in Vietnam und dringt tief in ihre Privatsphäre ein. Bemerkenswert ist, dass ihre Bilder dabei auf keine Weise voyeuristisch wirken.

In dem die Fotografin in ihrer gewohnten Umgebung fotografierte, konnte sie sich voll und ganz auf die Paare konzentrieren, das Essenzielle herausschaffen und zeigen, dass sich ihre Art, sich um einander zu kümmern, nicht von der eines heterosexuellen Paares unterscheidet:

Es sind die liebevollen Gesten, die stillen Momente und die zärtlichen Berührungen, die für die Zweisamkeit in einer Beziehung stehen – der eine massiert seinem Partner den Nacken während der mit seiner Körperpflege fortfährt. Sie wirken wie ein eingespieltes Team. Es ist morgen, die Sonne wirf einen schmalen Streifen Licht auf die Beiden. Plastikblachen bieten Schutz vor fremden Blicken. Man hört das morgendliche Treiben auf den Straßen Hanois. Es ist ein friedlicher Augenblick, der vom Alltag eines Liebespaares erzählt.

Elan zeigt uns mit ihrer Arbeit, dass es im Endeffekt nicht um Homo- oder Heterosexualität, sondern um Liebe geht. Und das ist das Wunderbare an dieser Arbeit.

Der amerikanische Fotograf Aaron Huey gewann mit seiner Fotoarbeit "In The Shadow Of Wounded Knee" den dritten Preis in der Kategorie "contemporary issues stories". Es handelt sich um ein Fotoessay über die Situation der indianischen Volksstämme Oglala und Lakota, die im Indianerreservat Pine Ridge Reservation im Südwesten des US-Bundesstaats South Dakota leben. Wounded Knee ist eine Ortschaft in der Pine Ridge Reservation und wurde durch zwei Ereignisse bekannt: das Massaker der US-Armee an Lakota-Indianern im Jahr 1890 und die Besetzung des Ortes durch das American Indian Movement im Jahr 1973. Während der Besetzung kam unter anderem der Oglala Lakota Buddy Lamot durch FBI-Scharfschützen zu Tode, worauf die Aufständischen kapitulierten. Die in den Reservaten lebenden indianischen Volksstämme sind geprägt von Entwurzelung, Armut, Krankheit und Alkoholismus. Ein dunkles Kapitel in der US Amerikanischen Geschichte, über das in der Weltpresse so gut wie gar nicht berichtet wird.

Zwei junge Männer zu Pferd schauen auf einen Schwatz in der Nachbarschaft vorbei. Sie reiten ihre Pferde ohne Sattel, ganz so wie es ihre Vorfahren getan haben. Der junge Mann, der uns anschaut, stützt seine Unterarme lässig auf den Nacken seines Pferdes. Eine Haltung, die ich von Bildern mit James Dean oder Marlon Brando, auf ihren Motorrädern posierend, kenne. Der junge Mann mit den kurzgeschorenen Haaren wirkt etwas zu gross und mächtig für sein Pferd. Eine Schar Kinder stehen vor dem selbst gezimmerten Gartenzaun. Das älteste von ihnen mit blondiertem Haar trägt ein Unterhemd mit Spitzen. Sie will schön sein. Es wirken alle etwas unbeteiligt in dieser kargen Gegend mit den trostlosen Hütten, die wie ein Provisorium wirken. Einzig die bunten Kleider und die lila Haarsträhnchen hauchen der Szene leben ein.

Huey’s Bilder veranschaulichen auf eindrückliche Weise den Kampf der Ureinwohner Amerikas zwischen Adaption einer fremden und Erhaltung ihrer eigenen Kultur.

Auch dieses Jahr geht die World Press Photo Ausstellung um die Welt und erreicht mehrere Millionen Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen. Ist es der World Press Photo-Jury gelungen uns mit ihrer Auswahl die Komplexität politischer und gesellschaftlicher Probleme näher zu bringen und uns dazu zu bringen hinzuschauen und zu verstehen? Entscheiden Sie selbst.

 

Lea Truffer ist Bildredaktorin beim Migros Magazine und führt (mit Nicole Aeby) auch dieses Jahr wieder für KEYSTONE durch die World Press Photo Ausstellung.

PS der Redaktion: Nach vielen Jahren (2006 Nicolas Righetti, 2007/2008 Jean Revillard, 2007/2008 Philippe Dudouit) hat es wieder ein Schweizer, Dominic Nahr, in die Auswahl geschafft – mit einem Bild aus der Sudan-Serie (siehe Edito +Klartext 5+6/12).

Ausstellung: Keystone zeigt vom 3.-26. Mai in Zürich (Sihlcity) die von World Press Photo prämierten Bilder. http://www.keystone.ch/bild-disp/keystone/de/cms_wpp.html

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