Röstigraben – 06.03.2023

Antonio Fumagalli: Wenig kulinarisches Feingespür

Antonio Fumagalli ist Westschweiz-Korrespondent der NZZ und Kolumnist beim Tessiner Radio RSI.

Woher stammt er eigentlich, dieser Röstigraben? Wer auch immer diesen inflationär verwendeten Begriff erfunden hat – sie oder er hatte wenig kulinarisches Feingespür. Denn die Kartoffel-Spezialität wird im Westen wie im Osten der Schweiz ähnlich geschätzt.

Was solls, das Wortgebilde hat sich im helvetischen Sprachgebrauch seit einigen Jahrzehnten etabliert, und es ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, dass es ein existierendes Phänomen beschreibt: die Unterschiede zwischen der Deutsch- und der Westschweiz. Im politischen Kontext geben sie naturgemäss besonders zu reden – mit Vorliebe dann, wenn die Landeskarte nach einer Abstimmung aussieht wie die Zeichnung eines Primarschülers mit klarem Auftrag: Rot für die französisch­sprachigen Kantone, blau für die deutschsprachigen, vielleicht mit einem roten Tupfer bei Basel-Stadt. Bei sozial-, aussen- oder sicherheitspolitischen Themen tritt dieses Farbmuster besonders häufig auf. Die AHV-Vorlage von Ende September, die nur aufgrund des massiven Ja der Deutschschweiz eine Mehrheit fand, ist nur das letzte einer langen Reihe von Beispielen.

«Wir dürfen nicht vergessen, dass uns mehr eint, als wir meinen.»

Antonio Fumagalli

Der eindrücklichste Röstigraben jedoch ist nicht in politischer, sondern in kultureller Hinsicht festzustellen: Wie viele Deutschschweizerinnen kennen Henri Dès? Und wie viele Romands wissen, was Benissimo war? Sprache ist mächtig – und sie beeinflusst unseren Konsum von Musik, Bildschirm und Literatur mehr, als wir uns dies selbst eingestehen wollen. Während Deutschschweizer Medien Jean-Luc Godards Wirken nach seinem kürzlichen Tod höflich, aber zurückhaltend würdigten, gab es kaum eine Westschweizer Zeitung, die für den Filmemacher am Folgetag nicht die Frontseite grossflächig freiräumte.

Aber: Bei allen Unterschieden innerhalb der Willensnation Schweiz dürfen wir nicht vergessen, dass uns mehr eint, als wir meinen. Es sind dies Grundfesten wie die direkte Demokratie oder der Föderalismus, mit denen wir uns nicht zuletzt von unseren Nachbarländern abgrenzen. Oder auch weit profanere Dinge wie Wörter, die beidseits der Saane exakt gleich verwendet werden: zum Beispiel «Röstigraben».

Boris Busslinger: Es ist dasselbe

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