Forschungsergebnisse aus dem Jahrbuch 2018 «Qualität der Medien», qualitaet-der-medien.ch

Aktuell – 14.01.2019

Den Mächtigen auf die Finger schauen

­Warum sind Medien wichtig für die Demokratie? Ist es ein Problem, wenn man nur «20 Minuten» liest? Und hat Nathalie Wapplers «Meinungsjournalismus» etwas mit Einordnung und Demokratie zu tun? EDITO fragte fög-Institutsleiter Mark Eisenegger.

Von Bettina Büsser

Die Qualität der Demokratie hängt von der Qualität der Medien ab», dies ist laut Jahrbuch 2018 «Qualität der Medien» des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) eine «bewährte Einsicht». Und: Medien – «öffentliche Kommunikation» – hätten «demokratierelevante Leistungsfunktionen», ist dort weiter zu lesen.

Inwiefern sind Medien demokratierelevant? Es gehe, sagt fög-Institutsleiter Mark Eisenegger, erstens um die Kontrolle von Macht: «Diesen Ansatz hatte ja bereits die Aufklärungsbewegung: Die Öffentlichkeit, die Medien sollen den Mächtigen kritisch auf die Finger schauen.» Zweitens gebe es ohne freie öffentliche Kommunikation keine legitime gesellschaftliche Ordnung; Politiker etwa müssten ihre Entscheide öffentlich erklären, nur so könnten die Bürger Einfluss nehmen. Dritte zentrale Funktion ist laut Eisenegger die Integration: «Wir sind nur via Öffentlichkeit oder Medien in der Lage, wahrzunehmen, welche Themen und Werte unsere Gesellschaft umtreiben.» Das sei die Voraussetzung dafür, dass wir unsere demokratischen Grundrechte wahrnehmen können.

«Fakten bewerten gehört zur journalistischen Aufgabe.»

«Qualitätsdimensionen» wie Relevanz, Vielfalt und Einordnungsleistung, die die Jahrbuch-Forschung jeweils untersucht, haben ebenfalls mit Demokratie zu tun. Eine demokratische Ordnung, so Eisenegger, könne nur funktionieren, wenn «man im öffentlichen Diskurs die relevanten Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur auf der Agenda hat». Und Vielfalt bedeute «im Sinn der Aufklärungsbewegung»: Die Gesellschaft könne nur dann kollektive Intelligenz ausbilden, wenn sie unterschiedliche Argumente austausche und so lange öffentlich debattiere, «dass sich am Schluss das überzeugendste Argument durchsetzen kann».

Kontrollfunktion leidet. Zur Vielfalt hält das Jahrbuch 2018 fest, sie sei markant gesunken – unter anderem wegen des Tamedia-Verbunds. Denn im «demokratiepolitisch sensitiven Bereich» der nationalen Politberichterstattung erschienen bereits 54 Prozent der Beiträge in mindestens zwei Zeitungen gleichzeitig. Doch die meisten Leute lesen, wenn überhaupt, sowieso nur eine Zeitung. Wo liegt also das Problem? Für Eisenegger blendet diese Argumentation die gesellschaftliche Ebene aus: Bei einem derartigen Vielfaltsverlust leide die wechselseitige Kontrollfunktion zwischen den Medien, die Gefahr für publizistische Fehlleistungen nehme zu. «Ausserdem, das zeigen unsere Untersuchungen bei Tamedia, nimmt seit der Einführung der Zentralredaktionen die Vielfalt insbesondere in meinungsbetonten Beiträgen, etwa in Form gleicher Abstimmungsempfehlungen, ab», sagt er: «Demokratie lebt jedoch von unterschiedlichen Positionen.»

Ohne Bewertung keine Kontrolle. Bei der Qualitätsdimension Einordnung sieht Eisenegger ebenfalls einen Bezug zu Volksabstimmungen: «Einordnungsleistung bedeutet, dass die öffentliche Kommunikation aufklärt, Ursachen- und Wirkungszusammenhänge wahrnimmt. Sonst können Bürgerinnen und Bürger an der Urne ihre Rechte nicht informiert wahrnehmen.» Doch kürzlich sagte die künftige SRF-Direktorin Nathalie Wappler in einem «NZZ am Sonntag»-Interview: «Wir müssen keinen Meinungsjournalismus machen.» Wäre da nicht bereits Einordnung ein Problem? Eisenegger vermutet, Wappler habe sich gegen einen «weltanschaulichen Journalismus» ausgesprochen, denn dieser vertrage sich nicht mit einer Service-public-Orientierung: «Es ist für mich aber ganz klar, dass es Aufgabe des Journalismus ist, sorgfältig Fakten und Argumente gegeneinander abzuwägen und am Schluss auch zu bewerten. Die Bewertung gehört dazu, auch bei Service-public-Medien, denn ohne sie kann man keine Kontrollfunktion wahrnehmen.»

Einen Monat nach dem Jahrbuch wurde der «Medienmonitor Schweiz» veröffentlicht, eine Studie der Publicom AG im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation. Laut «Medienmonitor» ist «20 Minuten» das einflussreichste Einzelmedium der Schweiz – ein Medium, dessen Print-Version im Qualitätsrating des Jahrbuchs auf Rang 49, dessen Online-Version auf Rang 54 von insgesamt 61 Rängen liegt. Was meint Eisenegger aus demokratiepolitischer Sicht dazu? «Nach unseren Befunden ist «20 Minuten» im Vergleich mit anderen Informationsmedien in den Bereichen Vielfalt und Einordnung weniger gut aufgestellt», sagt er. Das sei kein Problem, solange «20 Minuten» als Begleitmedium genutzt werde. Anders sehe es bei Nutzerinnen und Nutzern aus, die sich exklusiv nur via Pendlermedien und Social Media informieren: «Sie sind gemäss unseren Nutzungsstudien vor allem im Bereich der nationalen und internationalen Politik- und Wirtschaftsberichterstattung unterversorgt und nehmen politische Ereignisse vor allem dann wahr, wenn sie emotionalisiert sind, wenn es sich also zum Beispiel um Terroranschläge oder Katastrophen handelt. Dies kann ein bedrohliches Bild der Gesellschaft fördern.»

Bettina Büsser

Redaktorin EDITO

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