Aktuell – 21.09.2021

«Der Job setzt den Leuten zu»

Immer schneller, flexibler, multimedialer: Der Stress im Journalismus wächst. Darunter leiden zunehmend auch junge Medienschaffende. Das Netzwerk der Jungen Journalistinnen und Journalisten Schweiz warnt vor den Folgen. Wie reagieren die Ausbildungsstätten?

«Diese Arbeitsbedingungen halt man oft nur mit Leidenschaft aus.» Das sagt Robin, 32, ein junger Journalist. Und er steht mit seiner Einschätzung nicht allein.

Das belegt eine Aktion des Vereins Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz (JJS). «Wir wissen von mehreren Mitgliedern, die ein Burnout erlitten haben – ein Burnout mit unter 30», schreibt die Organisation. Als der JJS vor einem Jahr die Work-Life-Balance und die psychische Belastung durch den Job auf seinem Instagram-Kanal erwähnte, wurde er von Nachrichten überhäuft: «Viele schrieben uns, sie seien froh, dass jemand über diese Themen offen spricht.»

Daraus ist inzwischen eine kleine Kampagne erwachsen – mit eindrücklichen Fallbeispielen und Erfahrungsberichten. Wie reagieren die journalistischen Ausbildungsstätten auf dieses Phänomen? Welchen Stellenwert räumen sie der mentalen Gesundheit in ihrer Ausbildung ein? Und was raten sie den Studierenden, Redaktionen und Medienunternehmen?

EDITO hat nachgefragt. Die Antworten zeigen: Das Thema ist virulent. Der Bedarf an Unterstützung wächst. Namentlich die Medienhäuser sind gefordert: «Spart den Journalismus nicht kaputt – schon gar nicht auf dem Rücken junger Kolleginnen und Kollegen, die mit Elan und Enthusiasmus in den Beruf einsteigen», appelliert Bernd Merkel, Studienleiter am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern, an die Führungsetagen in der Medienwelt.

jjs.ch/mental-health

 

Junge Journalistinnen und Journalisten klagen über Stress, über die Vermischung von Arbeit und Freizeit, über die ungewisse berufliche Zukunft … Stellen Sie dies auch bei Studierenden fest?

Bernd Merkel, Studienleiter am MAZ – Die Schweizer Journalistenschule, Luzern: Seit drei, vier Jahren leiden mehr Studentinnen und Studenten unter Burnouts oder Erschöpfungszuständen als in den Jahren davor. Auch wenn solche Belastungen immer ein Mix aus mehreren Stressfaktoren und persönlichen Dispositionen sind, so besteht kein Zweifel: Der Job setzt den Leuten zu. Wir führen häufiger Gespräche mit gefährdeten oder bereits erkrankten Studenten als früher. Manchmal auch mit IV-Coaches.

Hannes Britschgi, Leiter der Ringier Journalistenschule, Zürich: Gegenüber früheren Jahrgängen reden die Volontäre der derzeitigen Klasse über solche Themen und thematisieren die Belastungen zum Teil direkt im Schulunterricht.

Claudia Sedioli, Studiengangleitung Kommunikation am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW, Winterthur: Mein subjektiver Eindruck ist, dass der Stress im Studium zugenommen hat. Die Gründe sind auf drei Ebenen zu suchen: Wer heute an einer Hochschule studiert, muss verglichen mit der Zeit vor Bologna meist in einem höheren Rhythmus Leistungsnachweise erbringen und Prüfungen ablegen. Das kann belastend sein. Zweitens haben coronabedingte Veränderungen wie die Fernlehre Studierende teilweise zusätzlich belastet. Dazu kommen drittens die Veränderungen im Berufsfeld Journalismus, die sich in den letzten Jahren akzentuiert haben.

Wird die mentale Gesundheit auch im Rahmen der journalistischen Ausbildung an Ihrem Institut thematisiert?

Bernd Merkel: Bei uns spielen solche Themen im Unterricht bewusst eine Rolle. Ganz gezielt im Kurs, in dem es um Selbstorganisation und Arbeitstechnik geht, sowie im Kurs «Burnout vermeiden». Aber immer wieder auch in anderen Kursen, etwa wenn wir diskutieren: Wie gelingt es, den redaktionellen Alltag nicht nur abzuspulen, sondern sich hin und wieder Zeit freizuschaufeln für ein Thema, das einem am Herzen liegt? Betroffene wissen zudem, dass sie mit der Studienleitung darüber sprechen können. Wir ziehen jedoch klar die Grenzen, wenn eine Krisenintervention angesagt sein könnte, und verweisen auf Hausarzt oder Therapiestellen.

Hannes Britschgi: Ja. Es gibt eine Nachfrage. Deshalb habe ich als Schulleiter ein Modul «Selbstorganisation, Stress- und Burn-out-Prophylaxe » ins Schulprogramm aufgenommen.

Claudia Sedioli: «Mentale Gesundheit» wird nicht explizit thematisiert – implizit aber durchaus, zum Beispiel im Studienbereich «Berufspraxis». Hier lehren Berufsleute, Journalistinnen oder Kommunikationsexperten. Sie stellen den Studierenden Aufgaben, die den Zeit- und Arbeitsdruck der Praxis simulieren und Kritikfähigkeit und Stressresistenz fördern. Zudem ermöglichen unsere Praxistrainer den Studierenden immer wieder Einblick in ihren persönlichen Arbeitsalltag. Diskussionen zur Work-Life-Balance, zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, zur Karrieregestaltung oder zu kritischen Entwicklungen im Journalismus finden regelmässig statt.

Was raten Sie jungen Medienschaffenden, die sich in einer Notsituation befinden? Und was empfehlen Sie den Betrieben?

 Bernd Merkel: Wir raten: Vertraue dich jemandem an, sprich über deine Ängste und Sorgen, nimm dir professionelle Hilfe. Es ist keine Schande, in solchen Situationen Unterstützung zu suchen. Du bist nicht alleine damit. Gut wäre – und dies mein Rat an Betriebe –, wenn jemand aus dem Team als Ansprechpartner für solche Lagen aufgeführt ist – institutionalisiert. Und dass immer wieder jemand auf die Redaktion eingeladen wird (Ärztin, Therapeut, Gewerkschaft) und über die Gefahrensignale aufklärt, die vor einem Burn-out blinken. Und mein Appell an die Führungsetagen: Spart den Journalismus nicht kaputt, schon gar nicht auf dem Rücken junger Kolleginnen und Kollegen.

Hannes Britschgi: Wenn sich Mitarbeitende mit ihren persönlichen oder betrieblichen Problemen nicht an die Vorgesetzten oder ans HR wenden wollen, bietet Ringier die externe Mitarbeitenden-Beratung von Movis an. Dort können sie sich absolut anonym und unentgeltlich Rat holen. An der Schule wissen alle, dass ich jederzeit zu vertraulichen Gesprächen zur Verfügung stehe. Mit den Betroffenen suche ich dann jeweils den guten (selbstbestimmten) Weg aus ihren Sorgen und vermittle, wo es Sinn macht.

Claudia Sedioli: Studierende mit psychischen Problemen sollten sich professionelle Beratung suchen. Die ZHAW bietet psychologische Beratung und Coaching für Studierende, die Anliegen im privaten Bereich oder im Umfeld der Hochschule haben. Von Unternehmen erwarte ich, dass ein zeitgemässes HR den Mitarbeitenden diese Unterstützung bieten kann. Darüber hinaus sehe ich Empathie für mentale Befindlichkeiten der Mitarbeitenden als klassische Führungsaufgabe. Das heisst, als Führungsperson ein Klima zu schaffen, in dem diese Themen ohne Gesichtsverlust zur Sprache gebracht werden können, ein offenes Ohr zu haben und Zugang zu spezialisierter Beratung bieten zu können.

Stress und Unsicherheiten beeinträchtigen die Attraktivität des journalistischen Berufs. Teilen Sie diese Befürchtung? Wie hat sich die Zahl der Studierenden an Ihrem Institut entwickelt?

Bernd Merkel: Der Beruf hat an Anziehungskraft verloren, zweifellos. Aber: Noch immer stellen wir fest, dass viele Junge sich nicht beirren lassen. Dass die Begeisterung brennt wie bei den Einsteigern vor 10 oder 15 Jahren. Dass sie sich nicht von Warnungen vor schlechtem Image und mieser Bezahlung abhalten lassen. Die Studierenden-Zahlen sind ein wenig zurückgegangen, bleiben aber seit mehreren Jahren auf etwa gleichem Niveau. Von einem «Einbruch» zu sprechen, wäre falsch. 2011: 38 Studis, 2021: 34.

Hannes Britschgi: Unser Beruf stellt seit je hohe Anforderungen an die Belastbarkeit, Resilienz und Frusttoleranz. In den letzten Jahren hat der ökonomische Druck durch die digitale Disruption das Berufsbild heftig durchgeschüttelt. Das zeigt sich auch an den Zahlen. Die Klassengrösse ist seit rund zehn Jahren etwas unter Druck: Sassen 2011 noch 17 im Klassenzimmer, sind es heute noch 14 Auszubildende.

Claudia Sedioli: Stress ist nicht nur in Redaktionen und Kommunikationsabteilungen eine Herausforderung, sondern grundsätzlich im Arbeitsalltag. Junge Menschen, die voller Leidenschaft in ihren Wunschberuf eintreten, sollten von Vorgesetzten proaktiv unterstützt werden und die Gelegenheit bekommen, einen gesunden Umgang mit dem Arbeitsalltag zu finden. Die Zahl der Neueintritte ins Bachelorstudium Kommunikation bewegt sich seit zehn Jahren auf mehr oder weniger dem gleichen Niveau. 2011 waren es 132 Neustudierende, 2021 sind es 144.

Wie ist die Situation in der Romandie?
Die Antworten der Westschweizer Ausbildungsstätten
finden Sie auf edito.ch/fr


Umfrage: Ivo Bachmann / Bilder: zVg

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