Aktuell – 24.07.2017

«Die lokalen Medienhäuser sind eine Art Laboratorium»

Das «Geschäftsmodell Journalismus» funktioniert bei vielen Kleinverlagen noch. Die «Grossen» könnten von ihnen durchaus etwas lernen.

Von Bettina Büsser

Es gibt in der Schweiz mehrere hundert ­lokale und regionale Zeitungen, vom Gratisblättchen über den Dorfanzeiger bis zur ambitionierten Regionalzeitung. 142 solche Titel kommen in den Genuss von Posttaxenermässigungen durch den Bund – ein Kriterium dieser indirekten Presseförderung ist ein redaktioneller Anteil von mindestens 50 Prozent. Das heisst: In diesen Zeitungen wird Journalismus betrieben.

«Die Bereitschaft, Journalismus zu machen, ist wahrscheinlich bei den Medienhäusern im lokalen und regionalen Bereich noch stärker da als bei denjenigen im überregionalen Bereich», sagt Matthias Künzler, Medienwissenschaftler und Forschungsleiter des Instituts für Multimedia Production (IMP) an der HTW Chur. Das geschehe «nicht nur aus altruistischen Gründen oder aus einem publizistischen Credo heraus», sondern auch, weil es für diese Medienhäuser vom Geschäftsmodell her schwierig wäre, etwas anderes zu tun.

«Solange der Metzger seine Printwerbung schaltet, funktioniert das lokale Modell noch.»

Auftrag Journalismus. Den klaren Auftrag, Journalismus zu ermöglichen, legt zum Beispiel die Willisauer Bote Medien und Print AG in Willisau in ihren Statuten fest: Sie soll «mit einer unabhängigen, qualitativ hochstehenden Medienarbeit die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Ideale und Ziele auf der Luzerner Landschaft fördern durch (…) die Herausgabe von Medien aller Art, insbesondere den ‹Willisauer Boten› und den ‹Seetaler Boten›, und das Betreiben von elektronischen Informationsplattformen».

«Ich persönlich glaube ganz klar an die Zukunft des Geschäftsmodelles Journalismus. Gerade auch im regionalen und lokalen Markt», sagt Ramona ­Hodel, Vorsitzende der Geschäftsleitung des Unternehmens und Verlagsleiterin von SWS Medien AG Verlag. Letztere, eine Tochter der Willisauer Bote Medien und Print AG, gibt die beiden Lokalzeitungen heraus. Zum Mutterunternehmen gehören neben dem Verlag drei weitere Töchter: Bogenoffset- und Digitaldruckerei, Anzeigenvermarktung und Werbeagentur – eine schon fast klassisch anmutende Kombination für ein Lokalmedium.

Insgesamt arbeiten laut Hodel 55 Angestellte im Unternehmen, davon neun Journalisten beim «Willisauer Boten» und fünf beim «Seetaler Boten». Die Abozahlen der beiden Lokalzeitungen sind laut Hodel «konstant leicht rückläufig im kleinen einstelligen Prozent-Bereich», die digitalen Abonnemente legen zu, «jedoch auf kleinem Niveau». Im Werbemarkt sei in den letzten zehn Jahren rund ein Viertel des Umsatzes weggebrochen, so Hodel, der Markt bleibe volatil: «Wir müssen zusehen, dass wir nahe beim Kunden und bei seinen Bedürfnissen sind und ihm massgeschneiderte individualisierte Angebote unterbreiten.»

Eine Art direkter Medienförderung. Auch die «Kleinen» spüren die Werbekrise – doch ist laut Matthias Künzler das Werbegeschäft bei lokalen Medien auch im Print relativ stabil und nimmt langsamer ab als bei den regionalen und überregionalen Medien: «Solange der Metzger seine Printwerbung schaltet, funktioniert das lokale Modell noch.» Und, fügt Künzler hinzu, solange die Gemeinden diese Medien unterstützten. Denn viele der kleinen Zeitungen sind Amtsblätter, drucken Gemeinde- oder Bezirksinformationen ab und werden dafür bezahlt. «Eigentlich ist das eine Art direkte Medienförderung, auch wenn das nicht gerne gehört wird », sagt Künzler. Für die Zukunft vieler Lokalzeitungen spiele es deshalb eine wichtige Rolle, ob die Gemeinden sie weiterhin so unterstützten, und «möglicherweise ergeben sich dort mit der Zeit auch neue Modelle, etwa dass das lokale Medienunternehmen ein Informationsportal der Gemeinde mitbetreut».

«Eigentlich ist das eine Art direkte Medien-förderung.»

Das traditionelle Modell lokaler Anzeiger und Zeitungen besteht oft aus der Kombination von Druckerei und Zeitung; viele sind aus dem ­Druckereigeschäft entstanden. «Die konjunkturellen Schwankungen in der Druckerei wurden mit der Zeitung ausgeglichen und umgekehrt. Je nachdem haben die beiden Bereiche einander subventioniert», so Künzler. Dieses Modell sei gefährdet, weil die lokalen Druckereien auch unter Druck stünden. Künzler verweist aber auf lokale Medien, die es schaffen, die Druckerei etwa durch eine lokal tätige Webagentur oder einen Unternehmenszweig für digitale Entwicklungen zu ersetzen: «Ein Beispiel dafür ist die ‹Jungfrau Zeitung›.»

Auch die Herausgeberin der «Engadiner Post/Posta Ladina», die Gammeter Druck und Verlag AG in St. Moritz, hat einen Bereich «Web-Design und -Entwicklung» aufgebaut. Er trägt neben den Abonnements- und Inserateneinnahmen und dem Akzidenzdruck zu den Einnahmen des Unternehmens bei – wobei Zeitung und Druck nach wie vor klar die beiden wichtigsten Standbeine sind. Laut Geschäftsführerin Martina Gammeter wurde ausserdem Ende letzten Jahres die neue Informationsplattform engadin.online lanciert, «wir hoffen damit, die digitale Plattform für und über das Engadin zu werden und im digitalen Werbeumfeld in Zukunft besser Fuss fassen zu können». Denn auch bei der «Engadiner Post/Posta Ladina» gehen die Werbeeinnahmen zurück.

Einen laut Gammeter «leichten» Rückgang gibt es auch bei den Abonnementszahlen. Die Zahl der Digital-Abos nehme zwar stetig zu, liege aber mit unter 500 «auf tiefem Niveau». Online sind alle Inhalte, die über Kurznews hinausgehen, zahlungspflichtig – sie waren es von Beginn weg. Die Redaktion von «Engadiner Post/Posta Ladina», zu der auch ein Teil in den rätoromanischen Idiomen Vallader und Puter gehört, umfasst 750 Stellenprozent, 150 davon für die romanische Redaktion. Insgesamt kommen alle Bereiche der Gammeter Druck und Verlag AG auf knapp 40 Vollzeitstellen.

Relevanz und Exklusivität. Nach Einschätzung von Gammeter hat das «Geschäftsmodell Journalismus» – Einnahmen aus Abonnements und Werbung – im lokalen Bereich Zukunft, «solange der Inhalt für den Leser Relevanz und/oder Exklusivität bietet». Guter Journalismus werde geschätzt und sei Teil des öffentlichen Lebens im Lokalen, doch: «Die Qualität und nicht zuletzt auch der Unterhaltungswert müssen stimmen. Auch wenn das Modell weiterhin Bestand hat, die Entwicklung neuer Gefässe und Geschäftsmodelle darf nicht vernachlässigt werden.»

Ein neues Geschäftsmodell für lokale und regionale Medien sieht Matthias Künzler zum Beispiel darin, sich auf eine breite Trägerschaft abzustützen. So etwa die Thurgauer Regionalzeitung «REGI. Die Neue», die 2011 als Ersatz für die von Tamedia 2008 eingestellte «Regionalzeitung Hinterthurgau» gegründet wurde und von einer Genossenschaft getragen wird: «Das ist auch eine gute Möglichkeit, wie man sich in der Region verankern und zu Einnahmen kommen kann.»

Künzler geht davon aus, dass die Vielfalt der Finanzierungs- und Organisationsformen bei den Lokalmedien in Zukunft noch zunehmen wird: «Die lokalen Medienhäuser sind auch eine Art Laboratorium.» Ausserdem wüssten die Kleinen, wie man mit einer eher bescheidenen Gewinnquote leben könne – in diesem Bereich könnten die Grossen, die sich an den grossen Gewinnmargen von früher orientierten, von ihnen lernen: «Denn an den
verlangten Profitquoten zeigt sich, ob einem Medienunternehmen genau dieses Geschäft – der Journalismus – wichtig ist.»

Bettina Büsser

Redaktorin EDITO

1 Kommentar

Ihr Kommentar

Bitte füllen Sie alle Felder aus.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

* = erforderlich

Sicherheitscode *