Service public – 15.02.2018

«Es geht darum, wer die Meinungsmacht hat»

Charlotte Theile berichtet aus Zürich für die «Süddeutsche» in Deutschland. «No Billag» erregt auch über die Landesgrenzen hinaus viel Aufmerksamkeit. Was die Korrespondentin über unser derzeit heissestes Medienthema sagt.

EDITO: Schon Monate im Voraus sorgt «No Billag» hierzulande für heisse Köpfe. Interessiert sich Ihre Leser­schaft in Deutschland für dieses Thema?
Charlotte Theile: Ja, denn in Deutschland gibt es ähnliche Diskussionen, auch ohne Volksabstimmung. Wie gross darf ein ­öffentlich-rechtliches Medium sein? Was muss es leisten, um Service public zu sein, und passt es überhaupt noch in unsere Zeit? Auch ARD und ZDF beobachten die Vorgänge in der Schweiz genau.

Wie haben in Deutschland diese Diskus­sionen angefangen?
Bestimmt hatte das AfD-Narrativ rund um Lügenpresse und Fake News einen Einfluss. Aber auch «Der Spiegel» hat kürzlich mit einer grossen Titelgeschichte aufgemacht, die die öffentlich-rechtlichen Medien kritisiert. Zu viel politische Einflussnahme, eine unklare Internetstrategie, zu wenig effizient – also ganz ähnliche Kritikpunkte wie in der Schweiz. Und natürlich gibt es die «junge neoliberale» Position, wonach man nur für das bezahlen soll, was man selbst konsumiert.

«Man hätte einen vernünftigen Gegenvorschlag ausarbeiten können.»

Wie lautet die konkrete Kritik am ZDF und an ARD?
Eine alte Kritik ist gegen die beamtenähnlichen Strukturen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die teilweise alles andere als effizient sind. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender machen sich ja in Deutschland sogar Konkurrenz, produzieren zwei Nachrichtensendungen, zwei Nachrichtenmagazine und so weiter. Ich denke, die SRG in der Schweiz ist im Vergleich deutlich schlanker.

Wie nehmen Sie diese Diskussion hierzulande wahr, was fällt Ihnen dabei besonders auf?
Sie hat, zumindest in der Medienbubble, extrem früh angefangen. Alle Argumente sind ausgetauscht, alles ist schon gesagt – und das auch von jedem. So sieht es zumindest in der Medienszene aus. In der Bevölkerung beginnt jetzt, wo der Abstimmungskampf wirklich in die heisse Phase geht, erst die Diskussion.

Der Leitartikel des NZZ-Chef­redaktors im Dezember hat aber viele Reaktionen aus der Bevölke­rung und nicht nur aus der Medien­bubble hervorgerufen.
Ja, der Text war auch für mich irritierend. Ich glaube, dass die Abonnenten der NZZ genau jene Leute sind, die auch die SRG sehr schätzen. Die NZZ und die SRG sind zwei traditionsreiche, sehr schweizerische Institutionen, die einer bestimmten Schicht sehr am Herzen liegen. Da hat Eric Gujer nach meinem Dafürhalten an seiner eigenen Zielgruppe vorbeigeschrieben.

Erleben Sie die Diskussionen zu «No Billag» ähnlich wie andere politische Diskussionen vor Abstimmungen oder neh­men Sie spezielle Töne wahr?
Ich denke, «No Billag» weckt nur bei den Schweizern die ganz grossen Emotionen. Aus dem Ausland betrachtet ist es eher interessant zu sehen, was passiert – und welche Rückschlüsse das für die eigene Medienlandschaft erlaubt.

Was ist Ihre persönliche Meinung zur Vorlage?
Ich stimme gegen «No Billag», denn ich sehe die SRF als wichtigen Pfeiler der schweizerischen Demokratie. Es geht darum, wer die Meinungsmacht hat in diesem Land, wer informiert – und worüber dann vielleicht einfach nicht mehr berichtet wird. Das heisst aber nicht, dass sich die SRG nicht reformieren müsste oder dass die Höhe der Gebühren, genau so, wie sie jetzt ist, angemessen ist.

Bei «No Billag» geht es allerdings um alles oder nichts.
Das stimmt, aber dieses Argument ist ja auch ein Zirkelschluss. Man hätte einen vernünftigen Gegenvorschlag ausarbeiten können. Das wollte man bewusst nicht – und deshalb finde ich es ein bisschen einfach, wenn man jetzt die zerstörerische Initiative anprangert. Dass es zu so einem Showdown kommt, in dem es um alles oder nichts geht, das liegt nicht nur an den Initianten.

«Die SRG in der Schweiz ist im Vergleich zu Deutschland deutlich schlanker.»

Die «No Billag»-Initianten träumen ja von einer Signal­wirkung in ganz Europa.
Das kann gut sein. Wenn die Initiative wuchtig angenommen würde, was ich für unwahrscheinlich halte, könnte sie ein Vorbild sein für Experimente in anderen Ländern. Es kann aber auch sehr abschreckend sein, wenn die schweizerische Medienlandschaft massiv geschwächt würde. Ich sehe immer wieder, dass Schweizer stolz sind auf die Schweiz und auf alles Schweizerische. Und die SRG ist ja wahnsinnig schweizerisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweizerinnen und Schweizer tatsächlich ihre «Arena», ihre «Tagesschau», ihr «Meteo» abschaffen. Und die Politiker erst – die lieben doch die SRG! Nirgendwo sonst bekommen sie so viel Redezeit.

Hätte eine solche Initiative Chancen in Deutschland?
Ich denke schon. Es ist ein Thema, das untere Gehaltsschichten stark betrifft und mobilisiert. Die Leute, die sonst eher nicht wählen gehen, und das sind oft jene mit kleinen Einkommen, könnte man mit so einer Abstimmung an die Urne bewegen.

Hängt man denn in Deutschland nicht an der Tagesschau?
Doch, die Deutschen hängen auch an ihren Sendungen, an ARD und ZDF, am rbb, am Hessischen Rundfunk und so weiter. Die Identifikation mit den Programmen ist gross. Studenten treffen sich in Bars und schauen gemeinsam «Tatort», die Sportschau, und ihre Moderatoren haben für viele Zuschauer Tradition. Man hat in Deutschland natürlich den Vorteil, dass man für ein grosses Publikum produziert und nicht in vier verschiedenen Sprachen.

Ist die SRG in der Schweiz näher bei den Leuten als das ZDF in Deutschland?
In der Schweiz war wohl jede Zuschauerin und jeder Zuschauer schon einmal auf dem Bildschirm oder im Radio. Dieses Mit-mach-Fernsehen ist eine echte Qualität. Man kennt mindestens einen Nachbarn, der bei der Fernsehsendung «Mini Beiz, dini Beiz» mitgemacht hat. In Deutschland ist das unwahrscheinlich.

Schauen Sie mehr SRF oder ZDF?
Ich schaue berufsbedingt SRF. Und als Privatmensch schaue ich deutsches Fernsehen oder Sendungen aus den USA. Und ich höre oft Schweizer Radio. Das sagen mir auch Freunde aus Deutschland, dass sie zum Beispiel das «Echo der Zeit» schätzen.

Das Interview führte Nina Fargahi und Alain Maillard.

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