Bild: Reto Schlatter

Aktuell – 06.09.2017

«Langfristig ist das ein Husarenritt»

Sind Native Ads eine Täuschung des Publikums oder farbiger Journalismus? Dennis Bühler, Journalist und Presserats-Mitglied, und Maurice Thiriet, «watson»-Chefredaktor, sind nicht einer Meinung darüber.

EDITO: Der Presserat hat erstmals über Native Advertising geurteilt, über ein Quiz auf «watson», gesponsert von einem Krankenversicherer: Der Beitrag verletze die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht. Euer Fazit?

Dennis Bühler: Der Presserat hat die Beschwerde in diesem Einzelfall abgewiesen. Auf «watson» hiess es dann «Free watson!!! Unser NativeAd verstiess nicht gegen Presserats-Richtlinien». Das stimmt aber so nicht. Wir haben nach dem Prinzip «im Zweifel für den Angeklagten» entschieden. Gleichzeitig ist klar, dass so, wie ihr das bei «watson» macht, die Probleme inhärent sind: Wenn ein Auftraggeber am Ende eines Native-Ad-Herstellungsprozesses den Text zurückweisen oder abändern kann, ist das eine Verletzung des ­Pressekodexes.

Maurice Thiriet: Es war ein erfreulicher Entscheid für uns, denn «watson» stand als «first mover» bei den Native Ads oft in der Kritik. Der Punkt, Journalisten dürften nicht für Werbetreibende tätig sein, ist ein bisschen Auslegungssache. Ausserdem sind es zwei verschiedene Paar Schuhe, ob es deklariert und transparent ist und zum Geschäftsmodell gehört oder ob jemand über seine Reisen schreibt, ohne transparent zu machen, dass er von einem Tourismusbüro eingeladen wurde.

Ein Aufhänger für die Beschwerde war, dass bei «watson» die Redaktionsmitglieder die NativeAd-Texte schreiben. Warum?

Thiriet: Weil es niemand anderes machen kann. Bei uns gibt der Kunde einen Themenkreis vor, dann macht die Redaktion Vorschläge für Geschichten, und der Kunde wählt einen oder mehrere davon aus. Die Geschichten werden dann nach den normalen ­redaktionellen Mustern produziert. Der Kunde schliesslich entscheidet, ob er die Geschichte will oder nicht. Will er sie nicht, dann bringen wir sie trotzdem.

Bühler: Trotzdem?

Thiriet: Natürlich. Denn es ist eine Geschichte, wie wir sie auch sonst machen, nach journalistischen Kriterien verfasst, unterhaltsam und informativ …

Bühler: … aber ohne Kundenauftrag wäre sie nie entstanden …

Thiriet: Kann sein, muss nicht sein. Es ist mehr oder weniger egal, ob der Input von einem Kunden kam oder nicht. Ein Beispiel: Ein Kunde wollte Mafiageschichten, doch unsere Geschichte war ihm zu blutrünstig. Wir fanden, weniger blutrüstig geht nicht, denn die Mafia ist blutrünstig. Also haben wir die Geschichte trotzdem gebracht.

Tamedia, Ringier und NZZ haben eine separate Abteilung für die Native Ads, eine Art Agentur, abgetrennt von der Redaktion. Welche Form bevorzugt der Presserat?

Bühler: Das ist, wie immer bei der Wahl zwischen Pest und Cholera, ein schwieriger Entscheid. Entscheidend ist, dass das Transparenzgebot eingehalten wird. Wir Presseräte sind nicht so naiv, dass wir nicht wissen, dass der Journalismus neue Finanzierungsmodelle braucht. Es muss aber gestalterisch und optisch klar ausgewiesen werden, was Werbung und was redaktioneller Inhalt ist, und der Sponsor muss genannt werden. Ich sehe Native Ads grundsätzlich kritischer als du, Maurice: Für mich macht es letztlich keinen Unterschied, ob sie von Redaktoren oder von Externen stammen.

«Es ist ja Sinn und Zweck von Native Advertising, dass es auf Anhieb als Journalismus wahrgenommen wird.»

Denis Bühler

Ist der Presserat überhaupt zuständig, wenn die Native Ads nicht von Journalisten stammen?

Bühler: Wenn sie im redaktionellen Teil erscheinen, sind wir zuständig. Es ist ja Sinn und Zweck von Native Advertising, dass es auf Anhieb als Journalismus wahrgenommen wird. Deshalb ist es aus meiner Sicht nichts anderes als Schleichwerbung.

Thiriet: Das ist polemisch! Du sagst, Transparenz sei entscheidend, und Transparenz ist bei uns gegeben. Schleichwerbung ist, wenn du verdeckt für positive Berichterstattung über ein Produkt oder eine Bewegung Leistungen annimmst.

Bühler: In euren Unterlagen für die Kunden steht: «Selbstverständlich erstellen wir die Artikel in genau der Qualität, Tonalität und visuellen Aufmachung, in der sie die ‹watson›-User kennen, schätzen und gerne weiterverbreiten.» Das ist doch das Gegenteil von Transparenz. Der Leser soll getäuscht werden.

Thiriet: Nein. Ich zeig dir das. (Er zeigt Bühler Beispiele auf seinem Smartphone)

Thiriet: Hier, der «Good News»-Ticker, da siehst du oben links «Präsentiert von Somersby», klar ausgewiesen. Dann gibt es ein Böxli «Somersby», aber alles andere sind Good News, meist Agenturmeldungen, kein Sponsored Content.

Bühler: Das ist kein klassisches Native Ad, oder?

Thiriet: Hier ein anderes Beispiel: Bei der Geschichte steht oben rechts «präsentiert von Coop» und das Signet «präsentiert von Mondovino» bleibt unten rechts stehen, wenn du scrollst. Dann hat es im Text noch eine Box mit einem Link auf Mondovino. Sponsoring und Sponsor werden also an prominentester Stelle zweimal transparent gemacht und mitten im Text nochmals. So viel zum Vorwurf, man führe jemanden in die Irre.

Der Presserat hat vorgeschlagen, dass ihr Native Ads nicht mit «präsentiert von», sondern mit «bezahlt von» bezeichnet.

Thiriet: Das ist eine Begrifflichkeitsfrage. Ich finde, «bezahlt von» wirkt, als ob man das Publikum für debil hält.

Bühler: Machen deine Journalisten gerne Native Ads?

Thiriet: Ja. Manche von ihnen sogar sehr gerne.

Bühler: Lieber als journalistische Inhalte?

Thiriet: Es sind journalistische Inhalte!

Bühler: In denen man keine kritischen, aufklärerischen Töne unterbringen kann.

«Der Punkt, Journalisten dürften nicht für Werbetreibende tätig sein, ist ein bisschen Auslegungssache.»

Maurice Thiriet

Thiriet: Das ist ja auch nicht Sinn und Zweck jedes einzelnen journalistischen Erzeugnisses.

Bühler: Bei der Herangehensweise müsste es schon so sein.

Thiriet: Nein. Du hast ein völlig falsches Verständnis von Journalismus.

Bühler: Was ist denn dein Verständnis?

Thiriet: Für mich ist es ein völlig falsches Verständnis von Journalismus, wenn man sagt, jede einzelne Geschichte müsse aufklärerischer Service public sein. Die Demokratie-erhaltenden Inhalte kommen nur im Mix mit unterhaltenden Elementen beim breiten Publikum an.

Der Presserat hat beanstandet, dass Auftraggeber von Native Ads bei «watson» den Text überprüfen und ändern können. «Ein potenzieller Verstoss gegen Ziffer 10 der «Erklärung» gehört sozusagen zum Geschäftsmodell», schreibt er. Wird «watson» an seiner Praxis etwas ändern?

Thiriet: Nein. Wir schicken dem Kunden ja nicht ein halbfertiges Produkt, das er in seinem Sinn überarbeiten kann. Die Geschichten sind fertig, wenn er sie erhält. Und wenn du ein Porträt über jemanden schreibst oder ihn zitierst, lässt du es ihn ja auch gegenlesen.

Bühler: Das ist ein klarer Widerspruch. Ihr lagert die journalistische Abschlussredigatur, die Qualitätskontrollen, die ein Chef­redaktor oder ein Blattmacher übernehmen muss, an den Kunden aus.

Thiriet: Die Qualitätskontrolle wird doch nicht an den Kunden ausgelagert. Wenn er etwas erhält, um es anzuschauen, ist die Qualität perfekt. In 0,1 Prozent aller Fälle wird etwas bemängelt.

Bild: Reto Schlatter

Wie viele Fälle von Native Advertising gab es denn bisher?

Thiriet: Ich weiss nicht, wie viele es sind, aber ich würde es auch nicht sagen, wenn ich es wüsste.

Bühler: In der Beschwerdeantwort an den Presserat hat «watson» geschrieben, 20 bis 25 Prozent der Einnahmen stammten aus Native Ads.

Thiriet: Der Anteil ist jetzt kleiner.

Bühler: Kleiner? Erodiert das Geschäftsmodell bereits?

Thiriet: Nein, im Gegenteil, nur haben andere Bereiche auch zugelegt. Native Advertising ist, glaube ich, die attraktivste Form von Werbung, für das journalistische Produkt, den User, der es als Mehrwert wahrnimmt, und den Sponsor, dessen Marke gestärkt wird.

Bühler: Hättest du früher, als kritischer Medienjournalist, der du einst warst, gleich über Native Ads geurteilt wie jetzt als Chefredaktor?

Thiriet: Vermutlich schon. Im Fall von «watson» ganz sicher, in anderen Fällen weniger.

Noch kurz zum Presserat: Er hat geurteilt und die Richtlinien zum Thema überarbeitet. Weshalb erst jetzt?

Bühler: Letztlich, weil relativ lange keine Beschwerde zum Thema eingegangen ist. Natürlich kann der Presserat auch von sich aus Fälle aufnehmen, gerade wenn sie für die ganze Branche von Bedeutung sind. Das hätte man aus meiner Sicht tun können, aber es wurde anders entschieden.

Geht ihr davon aus, dass es nun vermehrt Beschwerden zum Thema geben wird?

Bühler: Ja. Aufgrund dieses ersten Falles haben wir die Richtlinien angepasst, nun können sich Beschwerdeführer auf Richtlinie 10.1 und 10.2 beziehen. Ich würde es begrüssen, wenn mehr Beschwerden zu diesem Graubereich zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt eintreffen würden.

Thiriet: Graubereich klingt so negativ. Es ist der farbigste Bereich zwischen Journalismus und Werbung, nicht der graueste. Es ist Journalismus, aber er ist bezahlt.

Gibt es eine Vorstellung darüber, wie hoch der Anteil von gesponserten Geschichten bei «watson» sein darf?

Thiriet: Nein, es gibt keine Obergrenze. Denn die Native Ads sind bei uns einfach Geschichten wie andere auf «watson» auch. Alles, was transparent ist und dem User Mehrwert bringt, ist für mich okay. Ich teile die Auffassung von Dennis nicht, dass Journalismus immer aufklärerisch und demokratiebildend sein muss. Der Mix macht es aus.

Bühler: Journalismus muss vor allem immer glaubwürdig sein. Man mag sich bei Native Advertising kurzfristig über die Einnahmen freuen, laut Werbeunterlagen verlangt «watson» 11000 bis 15000 Franken pro Native Ad. Aber langfristig ist das ein Husarenritt. Du kannst ja nicht davon ausgehen, dass der Leser das Gefühl hat, die «watson»-Reporter würden unvoreingenommen über den Detailhandel berichten, wenn einen Monat lang Native Ads von Coop erscheinen.

Könntet ihr negativ über Coop berichten?

Thiriet: Ja, wenn es journalistisch sauber gemacht ist. Aber sorry, das ist nicht ein Problem, das mit den Native Ads entstanden ist. Coop und Migros haben riesige Werbebudgets. Wenn grosse Werbeausgaben auch eine totale Unterdrückung von negativer Berichterstattung bedeuten würden, gäbe es seit sicher 20 Jahren keine einzige negative Geschichte über Migros oder Coop. Auftraggeber und Werbebranche haben ein Interesse daran, dass die Medien glaubwürdig bleiben, sonst ist auch die Werbung darin nichts mehr wert. Sie brauchen die Glaubwürdigkeit des Journalismus, um ihrer Marke eine Wertigkeit zu geben.

Würdet ihr im Idealfall alles sponsern lassen?

Thiriet: Diese Frage stellt sich nicht. In einer idealen Welt würde es gehen, weil es kein Widerspruch wäre. Sogar bezahlt und demokratiebildend wäre kein Widerspruch.

Bühler: Aber du sagst doch, bezahlt und journalistisch sei kein ­Widerspruch.

Thiriet: Nein, denn journalistisch ist nicht gleich demokratie-
bildend. Es ist immer die Frage, wo du die Grenzen ziehst. Porträts von Bundesratskandidaten kann man nicht sponsern lassen.

Bühler: Dort ziehst du eine Linie?

Thiriet: Ja. Aber diese Frage stellt sich nicht, denn das fragt niemand nach.


Dennis Bühler, 30, ist seit Frühling 2016 Mitglied des Schweizer Presserats. Er arbeitet seit 2015 als Bundeshaus­redaktor für die «Südostschweiz» und die «Aargauer Zeitung/Nordwestschweiz».

Maurice Thiriet, 36, ist seit etwas mehr als einem Jahr Chefredaktor von «watson», wo er seit 2014, dem Start des Portals, arbeitet.

Das Gespräch führte Bettina Büsser am 27. Juli in Zürich.

2 Kommentare

#1

Von Johannes K.
26.09.2017
Native Advertising ist häufig leider vor allem auch noch eines: inhaltlich schlecht gemacht. Und schlecht gemachtes Native Advertising fällt bei Lesern ohnehin unten durch. http://editorial-blog.de/native-advertising-am-ende-wegen-verlust-von-glaubwuerdigkeit/

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