Service public – 31.01.2018

Tod und Auferstehung des israelischen Service public

Fast dreissig Journalisten und Techniker in Tränen versammeln sich am Set, um ihr Publikum ein letztes Mal zu begrüssen. Wir erinnern uns an die Schliessung des staatlichen israelischen Rundfunkinstituts Rechout Hachidour am 9. Mai 2017, die in nur 45 Minuten über die Bühne gehen musste.

Von Aline Jaccottet

Während in der Schweiz die Initiative «No Billag» Monate vor der Abstimmung leidenschaftlich diskutiert wird, mobilisierte sich die Bevölkerung in Israel auch nach dem abrupten Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht wirklich. Erstens, weil Rechout Hachidour, in Englisch der «Israel Broadcasting Service» (IBA), ein paar Tage später als KAN («Hier» in Hebräisch) wiederauferstand. Vor ­allem aber, weil die Nachricht «fast unbemerkt» die Runde machte: «Niemand beachtete diesen Fernsehsender», sagt Tehilla Shwartz Altshuler, Medienanalytikerin am Israel Democracy Institute.

Dass sich die Israeli von ihrem Service public ­immer mehr entfremdeten, hat vielfältige Gründe. Aber das Hauptproblem bestand in den politischen Intrigen, denen der Service public ständig zum ­Opfer fiel. Das habe den Effekt gehabt, dass sich die Leute abgewandt hätten, so Oren Persico von «The Seventh Eye», einer unabhängigen, in Israel ansässigen investigativen Zeitschrift. Mehr als das öffentliche Radio ist es das Fernsehen, das alle Machtkämpfe auslöste, «vielleicht, weil mehr Geld auf dem Spiel steht», vermutet Nicolas Rosenbaum, Chefredaktor beim öffentlichen Radio.

Für Propagandazwecke. Von Anfang an ist das israelische Fernsehen untrennbar mit der Politik verbunden. Nicht nur wegen struktureller Gründe: Der IBA, der aus dem «Palestine Broadcasting Service» hervorgeht und im Jahr 1948 umbenannt wird, untersteht dem Ministerium für Kultur und Bildung. Sein Vorstand besteht aus sieben Personen, die für jeweils drei Jahre von verschiedenen Ministerien und vom Staatspräsidenten ernannt werden.

Vor allem ist das öffentliche Fernsehen für Propagandazwecke eingerichtet worden. Bis in die späten 1960er Jahre erlaubt die israelische Regierung Fernsehen nur für pädagogische Zwecke in Schulen, aus Angst vor dem Einfluss auf die Kinder und ­Jugendlichen. Der Sechstagekrieg bricht im Juni 1967 aus: Angegriffen von seinen Nachbarn, erobert Israel mehrere arabische Gebiete einschliesslich Ostjerusalem, das zu Jordanien gehört. Israel will sein Image in der Bevölkerung der besetzten Gebiete und darüber hinaus verbessern. «Fernsehen wurde als gute Möglichkeit angesehen, dies zu tun. Anfangs wurden die Sendungen hauptsächlich auf Arabisch ausgestrahlt», sagt Oren Persico. Die erste Sendung wurde am 2. Mai 1968 ausgestrahlt: die ­Militärparade am Unabhängigkeitstag.

Programme auf Hebräisch. Um sein Monopol zu etablieren, gibt das öffentliche Fernsehen allmählich Ara-bisch auf; es ist jetzt der einzige Kanal im gesamten Nahen Osten, der Programme auf Hebräisch anbietet. Anfang der 1990er Jahre geht alles schief, als private Konkurrenten wie der kommerzielle Kanal Arutz 2 (Canal 2) und dann etwa vierzig Kabelbetreiber an den Start gehen. Bald ist der Service public von der Dynamik dieser Neulinge überwältigt, die gnadenlos um ein kleines Publikum konkurrieren.

Von Anfang an ist das israelische Fernsehen untrennbar mit der Politik verbunden.

Im Laufe der Jahre wird der Service public immer unbeweglicher. «Das Gesetz über den öffent-lich-rechtlichen Rundfunk sah vor, dass jede Änderung sowohl von der Regierung als auch von den Ge-werkschaften bestätigt werden musste. Erstere wollte sicher sein, den Fernseher kontrollieren zu kön-nen, Letztere befürchteten, dass die technolo­gische Modernisierung zu Arbeitsplatzverlusten führt», sagt Oren Persico.

Ab den 1980er Jahren prangern nicht weniger als 18 Kommissionen die veralteten Betriebsmittel, die tiefen Quoten und die Probleme des Managements an. Aber nichts bewegt sich. Inzwischen wächst die Frustration in der Öffentlichkeit weiter an. «Die Israeli haben es immer gehasst, die Gebühr zu zahlen. Diese Verpflichtung machte die Zuhörer wütend. Sie riefen an und beschwerten sich», erinnert sich der Radiojournalist Nicolas Rosenbaum.

Von 2003 bis 2005, als Benjamin Netanjahu Finanzminister war, wusste er diese Wut zu nutzen: Ein Gesetz wird verabschiedet, wonach die Höhe der Lizenzgebühren jedes Jahr sinken wird, bis sie endgültig verschwindet. Natürlich hilft dies dem öffentlichen Fernsehen nicht, sich zu modernisieren.

«Linkes Nest». 2008/09 schafften es die Regierung und die Gewerkschaften endlich, die Situation zu regeln, aber das Finanzministerium weigerte sich, das nötige Geld bereitzustellen und beschuldigte die von Netanjahu eingesetzte Geschäftsleitung der Korruption. «Als 200 000 Schekel für eine Show zur Verfügung gestellt wurden, verschwanden drei Viertel auf mysteriöse Weise», sagt Oren Persico. Netanjahu, der immer die öffentlichen Medien beschuldigt hat, ein «linkes Nest» zu sein, nutzt die Gelegenheit, das Parlament dazu zu bringen, ein ­Gesetz zur Schliessung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchzuwinken. Am 29. Juli 2014 wird das Gesetz verabschiedet und die Schliessung besiegelt. «Es war das erste Mal in der Geschichte Israels, dass die Gesetzgebung bestimmte, dass jede und ­jeder gefeuert werden musste», sagt Oren Persico.

In diesem Prozess schafft das Parlament eine neue Institution für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk namens KAN (Israeli Public Broadcasting Corporation), die alle Fernsehprogramme und die der sechs Nichtnachrichten-Radiosender überwachen wird. Es bleibt dahingestellt, ob der 15. Mai 2017 – der Tag der Erstausstrahlung von KAN – den Beginn einer wirklichen Renaissance des Service public in Israel markiert.

Isreals Ministerpräsident Netanjahu möchte den Service public kontrollieren.

Einige Zeichen verheissen nichts Gutes: So wird der Zuschuss einmal im Jahr vom Finanzministerium überprüft, «wodurch das Recht auf Einmischung der Regierung garantiert wird», sagte Nicolas Rosenbaum. Eine Regierung, deren Kulturministerin nicht zögerte, öffentlich zu sagen: «Ich verstehe nicht, warum wir eine neue Institution finanzieren, wenn wir sie nicht kontrollieren können!»

Andererseits arbeitet KAN nach einem Modell, das laut Nicolas Rosenbaum für Journalisten praktisch nicht nachhaltig sei. «Vorher arbeiteten die Teams getrennt. Jetzt sollen wir alle Radio, Fernsehen und Internet gleichzeitig machen», empört er sich. Fachspezialisten verlassen das Haus, sobald sie eine Gelegenheit finden. «Eine meiner Assistentinnen hat gekündigt, wir konnten sie nicht ersetzen», sagt er.

Allerdings vermag KAN die ganze Bandbreite an verschiedenen Meinungen und Kulturen in Israel zu repräsentieren. «Ganz allgemein sind heute alle Kreise in den Redaktionen vertreten, von israelischen Arabern bis hin zu ultraorthodoxen Juden. Wenn es in diesem Land eine Zukunft für den Pluralismus gibt, dann hier», sagt Tehilla Shwartz Altshuler. Vorausgesetzt, KAN-Journalisten schaffen es irgendwie, die Brücke zu schlagen zwischen einer unabhängigen Arbeit und den Einflussversuchen von Netanjahus Re-gierung.

1 Kommentar

Ihr Kommentar

Bitte füllen Sie alle Felder aus.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

* = erforderlich

Sicherheitscode *